Zum leicht missverständlichen Wortlaut von OR 201, der Käufer solle die Sache untersuchen, ist folgendes zu bemerken:
Gesetzliche Grundlage
- OR 201
Grundsätzliches
- Kein vorvertraglicher Untersuchungszwang
- Der Käufer ist nicht gehalten, die Untersuchung vor oder bei Vertragsschluss vorzunehmen
- Eine vorgängige Untersuchung ist aber zu empfehlen; bei negativem Ausgang könnte ein Kaufgeschäft vermieden werden, welches man bei Kenntnis des Untersuchungsergebnisses im Falle der nachvertraglichen Untersuchung nicht geschlossen hätte
- Autokäufer beschränken sich für ihren Kaufentscheid in der Regel auf eine
- Besichtigung aussen und innen
- Probefahrt
- Der Käufer ist nicht gehalten, die Untersuchung vor oder bei Vertragsschluss vorzunehmen
Rechtsnatur: Obliegenheit
- Untersuchung ist richtigerweise eine Obliegenheit des Autokäufers und keine Rechtspflicht
- Unterlässt der Käufer, seine Obliegenheit wahrzunehmen, gewärtigt er die Verwirkungsfolge seiner Sachgewährleistungsrechte, was er vielleicht „in Kauf nimmt“
Untersuchung als Rechtspflicht
Parteiabrede
- Parteien können Obliegenheit durch Abrede zur Rechtspflicht erheben
- Vereinbarung der Untersuchung durch einen Fahrzeugsachverständigen
- Autokäufer-Interesse
- Autokäufer möchte sich durch eine Fachmann-Beurteilung absichern (suspensiv bedingter Kauf)
- Autoverkäufer-Interesse
- Autoverkäufer möchte eine Autorücknahme oder Kaufpreis-Minderung vermeiden
- Autokäufer-Interesse
- Vgl. Käufer-Pflichten
- Vereinbarung der Untersuchung durch einen Fahrzeugsachverständigen
Usanz (Verkehrsübung)
- Occasionserwerb durch Autohändler (Inhaber von Sachkunde und Untersuchungsinfrastruktur)
- Bewusster Untersuchungsverzicht des Autohändlers
- = Autoerwerb „so wie es ist“
Besondere Umstände
- konkrete Verdachtsmomente
- Entdeckung von Unfallspuren, ohne dass der Autoverkäufer plausible Erklärungen geben kann
- Nennung einer unglaubwürdig unterdurchschnittlichen Laufleistung
Mängelinformation durch Dritten
- Sofortige Mängelrüge nach Mängelinformation durch Dritten, zB Vorbesitzer, kann – trotz versäumter Untersuchung – ausreichend sein (vgl. hiezu GIGER HANS, a.a.O., N 5 zu Art. 201 OR
Ort der Untersuchung
Gesetzlicher Prüfungsort
- Als Untersuchungsort gilt grundsätzlich der Ablieferungsort, d.h. am Ort des Übergangs der Verfügungsmacht vom Verkäufer an den Käufer
- Eigenprüfung oder
- Prüfen lassen durch einen Dritte (zB Fahrzeugsachverständigen)
Verabredeter Prüfungsort
- Ausdrückliche Ortsbestimmung
- Die Parteien dürfen als Untersuchungsort einen andern Ort als der Ablieferungsort vereinbaren
- zB Werkstatt eines Dritten, eines Garagisten
- Die Parteien dürfen als Untersuchungsort einen andern Ort als der Ablieferungsort vereinbaren
- Mittelbare Ortsbestimmung
- Anwendbarkeit von OR 201 Abs. 1, wonach die Untersuchung zu erfolgen habe, „sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist“
Untersuchungsfrist
- Grosszügige Bemessung der Untersuchungsdauer in der Praxis
- zu Gunsten des Käufers
- v.a. im nichtkaufmännischen Verkehr
- keine Anrechnung der (vorvertraglichen) Autobesichtigung und Autoprobefahrt an die gesetzliche Untersuchungsfrist
Untersuchungsbeginn / Untersuchungsdauer
- frühester Zeitpunkt
- Ablieferung
- Gesetzesvorgabe (OR 201)
- Untersuchung, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgang tunlich ist
- Usanz
- Übung im betreffenden Geschäftszweig
- Fehlen einer Usanz
- Massgeblichkeit
- konkrete Umstände des Einzelfalls
- Natur des Kaufgegenstandes
- Mängelart
- Verdachtsmomente, dass ein Mangel bestehen könnte, für den der Verkäufer einstehen müsste
- sofortige Abklärung
- kein Zuwarten bis zur Feststellung der Mangelgewissheit
- Beizug einer fachkundigen Person
- Gerichtspraxis (vgl. BGE 75 II 218, BGE 118 II 148)
- Massgeblichkeit
- Hinausschieben des Untersuchungstermins
- Gründe
- Technische Gründe
- Gründe, die nicht in der Person des Käufers liegen
- zB Herstellung der Inverkehrsetzungsfähigkeit
- Untersuchung im Anschluss an die Zulassungsbewilligung des Strassenverkehrsamtes
- zB Herstellung der Inverkehrsetzungsfähigkeit
- Vgl. BGE 72 II 417 (Erprobungsmöglichkeit eines im Sommer gekauften Motorschneepflugs erst im Winter)
- Gründe
Untersuchungsart / Untersuchungsumfang
- Untersuchungsanforderungen
- Keine abstrakte Anforderungsumschreibung möglich
- Aber auch keine Überwälzung der Pflichten jenes zu suchen, was der Verkäufer eigentlich von sich aus hätte melden sollen
- Untersuchungsgründlichkeit
- Je älter das Auto und je höher die Laufleistung, desto gründlicher die Prüfungsobliegenheit des Käufers
- Untersuchungsumfang
- Das technisch Mögliche
- Das wirtschaftlich Zumutbare
- Prüfungsobliegenheiten
- Autohändler
- Abstellen auf Autohandelsgepflogenheit
- Kein Abstellen auf seine individuellen Fähigkeiten und seine Hilfsmittelausstattung
- Laienkäufer
- Weil dem Privatkäufer die Fachkenntnisse, die fahrzeug-affine Beobachtungsgabe und einschlägige Erfahrungen fehlen, wird von einer durchschnittlichen Aufmerksamkeit ausgegangen, bei der auch bestimmte Mängel verborgen bleiben können
- Bei fehlenden Durchschnittskenntnissen muss sich ein unaufmerksamer Privatkäufer vorwerfen lassen, dass er hätte einen Untersuchungsgehilfen beiziehen müssen
- Autohändler
- Sachverständigenbeizug oder Werkstattkontrolle
- nur wenn Verdachtsmomente bestehen
- trotzdessen nur einmalige und nicht wiederholte Prüfung
- ohne besondere Verdachtsmomente grundsätzlich keine Pflicht des Käufers, einen Sachverständigen beizuziehen oder das Auto eine Werkstatt zur Prüfung zu bringen
- nur wenn Verdachtsmomente bestehen
Untersuchungskosten
- zu Lasten des Autokäufers
- Die Prüfungskosten für eine allfällige Mängelfeststellung trägt der Autokäufer
- Sachgewährleistungsprozess
- Ersatzpflicht des Verkäufers (OR 208 Abs. 29
- Umfang der Ersatzpflicht
- Kosten einer üblichen Untersuchung
- Umfang der Ersatzpflicht
- Verdachtsmomente
- Verkäufer hat dem Käufer die Sachverständigenkosten zu ersetzen, wenn letzter nicht dazu in der Lage war, die erforderliche Untersuchung selber vorzunehmen
- Ersatzpflicht des Verkäufers (OR 208 Abs. 29
Art. 201 OR
4. Mängelrüge
a. Im Allgemeinen
1 Der Käufer soll, sobald es nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich ist, die Beschaffenheit der empfangenen Sache prüfen und, falls sich Mängel ergeben, für die der Verkäufer Gewähr zu leisten hat, diesem sofort Anzeige machen.
2 Versäumt dieses der Käufer, so gilt die gekaufte Sache als genehmigt, soweit es sich nicht um Mängel handelt, die bei der übungsgemässen Untersuchung nicht erkennbar waren.
3 Ergeben sich später solche Mängel, so muss die Anzeige sofort nach der Entdeckung erfolgen, widrigenfalls die Sache auch rücksichtlich dieser Mängel als genehmigt gilt.
Weiterführende Informationen
Judikatur zur Untersuchungsfrist
- SemJud 79 (1957) S. 519 ff. (Untersuchung Fz-Baujahr am selben Tage des Fahrzeugausweis-Zugangs verlangt; in der Lehre als zu streng abgelehnt)
- BGE 75 II 218
- BGE 118 II 148
- BGE 72 II 417
Judikatur zu Art und Umfang der Untersuchung
- BGE 46 II 62
- BGE 76 II 224
- ZR 74 (1975) 231
- ZBJV 81 (1945) 488