Formelle Prüfungspflicht
In (zumindest) formeller Hinsicht hat das Gericht zu prüfen, ob das bestellte Sachverständigengutachten Mängel aufweist.
Mängel
Als Mängel gelten:
- Offensichtliche Mängel
- Gutachten ist unvollständig (siehe Ziff. 4 nachfolgend)
- Experte hat offensichtlich falsche tatsächliche Annahmen getroffen
- Experte hat offensichtlich falsche Schlussfolgerungen aus der strittigen Tatsache gezogen
- Offensichtlichkeit wird dann angenommen, wenn der Fehler ohne Fachkunde bemerkt wird.
- Berücksichtigung von sog. „verdeckter Informationen“
- verletzt rechtliches Gehör der Parteien
- verfälscht richterliche Beweiswürdigung
- Sachverständigengutachten darf nicht verwendet werden
- Verarbeitung von sog. „Geheimakten“
- verletzt rechtliches Gehör der Parteien
- verfälscht richterliche Beweiswürdigung
- Sachverständigengutachten darf nicht verwendet werden
- Verletzung des Anspruches auf eine vollständiges Sachverständigengutachten
- alle Lösungswege geprüft, aber gewisse Argumente nicht erwähnt: Gutachten gilt trotzdem als vollständig
- unvollständige Begründung:
- Verletzung des rechtlichen Gehörs
- bewirkt auch mangelhafte Begründung des richterlichen Urteils
Mängelbehebung am fehlerhaften Objekt
Die Mängelbehebung kann unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes erfolgen durch:
- primär:
- Verbesserung (Nachbesserung)
- Erläuterungsgutachten
- Ergänzungsgutachten
- Voraussetzungen:
- Ungenügende, unklare oder widersprüchliche Begründung
- Unklare oder widersprüchliche Schlussfolgerungen
- Sachverständiger ist von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen
- Sachverständiger ist von einem prozessual unbeachtlichen Sachverhalt ausgegangen
- Gutachten ist nicht vollständig
- Verbesserung (Nachbesserung)
- sekundär:
- ein formell und/oder materiell ungenügendes Gutachten ist nicht verwertbar und daher aus den Akten zu entfernen
- Neubegutachtung durch einen anderen Sachverständigen
Mängelbehebung durch neue Sachverständige
- Ein anderer Sachverständiger ist beizuziehen, wenn
- das Sachverständigengutachten trotz Erläuterung oder Ergänzung
- als nicht genügend erwartet wird
- zum Vorneherein kein Erfolg verspricht
- sich der Sachverständige als
- befangen erweist
- nicht genügend fachkundig
- das Sachverständigengutachten trotz Erläuterung oder Ergänzung
- Ein Obersachverständiger ist einzusetzen, wenn
- wenn das Gericht selbst ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Schlussfolgerungen des Sachverständigen hat (Untersuchungsgrundsatz und Anspruch rechtliches Gehör bzw. Beweisaufnahme)
- sich das Stellen von Ergänzungsfragen oder einer Neubegutachtung als nicht zielführend erweist
- sich das zusätzliche Beweismittel als verhältnismässig rechtfertigen lässt; ein Abstellen auf das nicht schlüssige Sachverständigengutachten bei gleichzeitiger Unterlassung der Erhebung gebotener weiterer Beweismittel würde BV 4 bzw. 29 Abs. 2 verletzen (Verbot willkürlicher Beweiswürdigung).
Andere Gutachterbeurteilung ist noch lange kein Grund für eine Neubegutachtung
- Die Tatsache, dass ein Privatgutachter zu einer anderen Auffassung gelangt, macht weder das Gerichtsgutachten mangelhaft noch begründet es einen Anspruch auf Neubegutachtung.
- Voraussetzung für eine erfolgreiche Beanstandung ist das Vorliegen von offensichtlichen Mängeln.
Judikatur
- BGer 9F_5/2018 vom 16.08.2018 (Einholung eines neuen, unabhängigen Gutachtens)