Ausgangslage
Mit der Übernahme eines Vermögens oder Geschäftes ist nur der Übergang der Aktiva, sondern auch der Passiva verbunden. Der bisherige Vermögens- bzw. Geschäftsinhaber haftet bis zum Uebergang, grundsätzlich längstens während einer Frist von 3 Jahren weiter.
Obwohl heute viele Privatpersonen und Unternehmer ihr Vermögen und insbesondere ihre Unternehmen im Rahmen eines separaten Rechtsträgers halten, entsprechen solche Übertragungen immer noch einem wirtschaftlichen Bedürfnis:
- Verbindung der Elemente von Zession und Schuldübernahme
- Nicht zu verhindernder Schuldübergang kraft Gesetzes stellt im Ergebnis eine Annäherung an die Universalsukzession dar
Charakteristika
Die Übernahme eines Vermögens oder Geschäfts folgt eigenen Gesetzmässigkeiten und charakterisiert sich wie folgt:
Begriff
- Gesamtübernahme der einzelnen Schulden bei Übertragung eines Vermögens oder Geschäfts, von Gesetzes wegen
Gesetzliche Grundlage
- OR 181
- Eigentlich wäre die Norm von OR 181 dem kaufmännischen Unternehmensrecht zuzuordnen (OR 182 aufgehoben)
Abgrenzung zur Vermögensübertragung nach FusG
- Bei der Vermögensübertragung nach FusG wird ein ganzes oder Teil-Vermögen von einem im Handelsregister eingetragenen Rechtsträger auf einen anderen Rechtsträger übertragen, wobei man sich hier für die Übertragung von Einzelgegenständen des Übertragungsvorgangs der Universalsukzession bedient (Handelsregistereintrag, HR und SHAB als Publizitätsmittel)
Voraussetzungen / Elemente
- Vermögens- bzw. Geschäftsübertragungsvereinbarung
- Mitteilung an die Gläubiger in Bezug auf das Vermögen oder das Geschäft, mit der Folge, dass die übernommenen Schulden von Gesetzes wegen auf den Erwerber übergehen
- Weiterhaftung des bisherigen Schuldners noch während dreier Jahre solidarisch zusammen dem Übernehmer
Parteien
- Veräusserer
- Erwerber
- Drittparteien
- Schuldner des Veräusserers
- Gläubiger des Veräusserers
Inhalt
- Abrede, wonach sich der Veräusserer eines Vermögens oder Geschäftes zur Übertragung von Aktiven und Passiven auf den Erwerber verpflichtet (OR 181)
- Der Vermögensübernahme-Tatbestand ist auch erfüllt, wenn die Parteien einzelne Aktiven von der Übertragung ausschliessen (vgl. BGE 79 II 290 f.)
- Grundsatz
- Vertrags- und Dispositionsfreiheit
- Sogar Zulässigkeit der Abrede, wonach die Passiva nicht oder nur zum Teil auf den Erwerber übertragen werden (vgl. auch BGE 79 II 291)
- Im Falle einer Gläubigerschädigung bleiben die Artikel SchKG 285 ff. vorbehalten
- Vgl. Paulianische Anfechtung
- Ausnahme
- Keine Verkürzung der kumulativen dreijährigen Haftungsdauer des Altschuldners (vgl. OR 181 Abs. 2)
- Schuldübergang von Gesetzes wegen auf den Erwerber (OR 181 Abs. 1)
- Dauerschuldverhältnisse gehen grundsätzlich nicht auf den Übernehmer über
- Ausnahme
- Arbeitsvertrag bei Betriebsübernahme (OR 333)
Form
- Grundsatz
- Die Verpflichtung zur Übertragung eines Vermögens oder Geschäfts ist formfrei zulässig.
- Ausnahmen
- Hinweise
- Die Zession von Forderungen bedarf eines schriftlichen Zessionsvertrags (vgl. OR 165 Abs. 19)
- Die Übertragung von Fahrnisgegenständen bedarf zur ihrer Gültigkeit der Tradition (Übergabe) durch den Veräusserer an den Erwerber (vgl. ZGB 714 Abs. 1)
Mitteilung
- Gegenstand
- Haftung des Vermögens- oder Geschäfts-Erwerbers gegenüber den Gläubigern des Veräusserers nur, wenn diesen der Vermögens- bzw. Geschäftsübergang mitgeteilt wurde (vgl. BGE 49 II 250 ff.)
- Vgl. OR 181 Abs. 2
- Rechtsnatur der Mitteilung
- Rechtsnatur dogmatisch unklar
- Ergebnisbeschreibende Natur
- Befristete kumulative Schuldübernahme von 3 Jahren, die bei Fristablauf dieser 3 Jahre von Gesetzes wegen automatisch zur externen Schuldübernahme durch den Neuschuldner mutiert
- Inhalt
- Mitteilung, die auch erkennen lässt, dass der Erwerber auch die Passiven eintreten will (vgl. BGE 79 II 154 f.)
- Absender dieser Mitteilung
- Erwerber / Schuldübernehmer
- Ermächtigter Vertreter des Erwerbers / Schuldübernehmers
- ev. auch der Schuldner wie bei der gewöhnlichen Schuldübernahme nach OR 176 Abs. 2 (vgl. BGE 75 II 304)
- Wirkungen bei Ungültigkeit des Übernahmevertrags
- Mitteilung für sich alleine bewirkt keine Schuldübernahme
- Grund: Erfordernis eines gültigen Übernahmevertrags mit Mitteilung (vgl. BGE 60 II 107)
- Form
- Keine besondere Form (Formfreiheit)
- Üblicherweise durch Information bzw. Lieferanten- bzw. Kundenbrief
- Keine sofortige Befreiung
- Keine sofortige Befreiung des Altschuldners, sondern Fortbestehen seiner Haftung kumulativ neben der Verpflichtung des Übernehmers
- Vgl. OR 181 Abs. 2
- Dauer der Weiterhaftung des Altschuldners
- 3 Jahre
- Rechtsnatur der 3 Jahres-Frist
- = Verwirkungsfrist (vgl. BGE 108 II 109)
- Beginn des Fristenlaufs für die 3 Jahres-Frist
- für fällige Forderungen
- mit der Mitteilung
- bei auf eine Kündigung gestellten Forderungen
- mit dem Tag, auf den erstmals hätte gekündigt werden können (vgl. BGE 63 II 16)
- bei noch nicht fälligen Forderungen
- mit Eintritt der Fälligkeit (vgl. BGE 63 II 16)
- für fällige Forderungen
- Wirkung der Mitteilung nach OR 181 Abs. 2
- OR 181 Abs. 2 gibt dem Gläubiger ein Wahlrecht, den Altschuldner oder den Neuschuldner zu belangen
- Vorkehren des Gläubigers, dass der Altschuldner nach Ablauf der 3-Jahresfrist nicht automatisch befreit wird?
- Gesetz schweigt sich zur Thematik aus
- u.E. Fälligstellung und Veranlassung der Schuldentilgung oder Erklärung des Altschuldners, dass er weiterhin hafte (= weiterer (fortgesetzter) Schuldbeitritt)
Wirkung der Gesamtschuldübernahme
- Verweisung auf die Einzelschuldübernahme (vgl. OR 181 Abs. 3)
- Gleichwohl gegen daher nur die einzelnen Schulden und Pflichten auf den Erwerber bzw. Neuschuldner über (kein Vertragsübergang / kein Vertragsbeitritt!)
Vereinigung von zwei Geschäften
- exOR 182 (aufgehoben: durch Anhang Ziff. 2 des Fusionsgesetzes vom 3. Okt. 2003, mit Wirkung seit 1. Juli 2004 (AS 2004 2617; BBl 2000 4337)
- Nach altem Recht wurde die Vereinigung von 2 Geschäften mit Aktiven und Passiven und die Einbringung Betriebes eines Einzelkaufmanns in eine Kollektivgesellschaft (KollG) oder Kommanditgesellschaft (KommG) den Wirkungen der Vermögensübernahme unterstellt (vgl. exOR 182 Abs. 1 und 3), sodass das neuen Unternehmen für alle Schulden haftbar wurde
- Der Gesetzgeber stellt neu hiefür die Fusion oder die Vermögensübertragung zur Verfügung
Weiterführende Informationen
- Literatur
- BUCHLI G., Die Übernahme eines Vermögens oder eines Geschäftes nach Art. 181 OR, Diss. Zürich 1953
- BÜHLER A., Die Vermögens-, Geschäfts- und Unternehmensübernahme nach schweizerischem Recht, Diss. Zürich 1947
- DES GOUTTES R., Cession et fusion des patrimoines et des fonds de commerce en droit suisse et en droit comparé, thèse Genève 1938
- DES GOUTTES R., Geschäft und Vermögen, SJK 70 ((1969)
- EISEMANN H., Die Haftung aus Vermögensübernahme …, AcP 176 (1976) S. 487, S. 517 ff.
- GAUCH P., Der Zweigbetrieb im schweizerischen Zivilrecht, Zürich 1974, N 1884 ff.
- GIGER M., Die Einbringung eines Geschäftes in eine Kollektivgesellschaft, Diss. Freiburg 1940
- HURNI, Die Vermögensübertragung im Spannungsfeld zwischen Vermögens- und Unternehmensrecht, Diss. Bern 2007
- LOSER-KROGH, Die Vermögensübertragung, Kompromiss zwischen Strukturanpassungsfreiheit und Vertragsschutz im Entwurf des Fusionsgesetzes, AJP 2000, S. 1095 ff.
- MEZGER R., Die Schuldübernahme kraft Mitteilung bei der Geschäfts- und Vermögensübernahme, Art. 181/II OR, Diss. Basel 1955
- SCHUMACHER, Die Vermögensübertragung nach dem Fusionsgesetz, Diss. Zürich 2005
- WATTER, Unternehmensübernahmen, Zürich 1990, S. 53 ff.
- WATTER / KÄGI, Der Übergang von Verträgen bei Fusionen, Spaltungen und Vermögensübertragungen, SZW 2004, S. 231 ff.
- ZÜLLIG R.E., Die internationale Fusion im schweizerischen Gesellschaftsrecht unter bes. Berücksichtigung des deutschen und italienischen Rechts, Diss. Basel 1973
- Links