Die Prokura wird durch folgendes charakterisiert:
- Begriff
- Gesetzliche Grundlage
- Abgrenzung
- Bedeutung
- Rechtsnatur
- Ziele
- Motive
- Funktion / Hierarchie
- Subjekt des Prinzipals
- Subjekt des Prokuristen
- Entstehung
- Vollmachtsumfang
- Ausübung / Prokurazusatz / Zeichnung
- Konkurrenzverbot
- Untergang der Prokura
- Tod und Handlungsunfähigkeit
- Haftung für deliktisches Handeln
- Prozessuales
- Internationales Verhältnis (IPR)
Begriff
- Die Prokura (auch: Prokuravollmacht) berechtigt den Prokuristen, für das Arbeitgeber-Unternehmen alle Arten von Rechtshandlungen vorzunehmen, die dessen Geschäfts- bzw. Gewerbezweck mit sich bringen kann
Gesetzliche Grundlage
- OR 458 – OR 461, OR 464 und OR 465
Art. 458 OR
A. Prokura
I. Begriff und Bestellung
1 Wer von dem Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines anderen nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigt ist, für ihn das Gewerbe zu betreiben und «per procura» die Firma zu zeichnen, ist Prokurist.
2 Der Geschäftsherr hat die Erteilung der Prokura zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, wird jedoch schon vor der Eintragung durch die Handlungen des Prokuristen verpflichtet.
3 Zur Betreibung anderer Gewerbe oder Geschäfte kann ein Prokurist nur durch Eintragung in das Handelsregister bestellt werden.
Art. 459 OR
II. Umfang der Vollmacht
1 Der Prokurist gilt gutgläubigen Dritten gegenüber als ermächtigt, den Geschäftsherrn durch Wechsel-Zeichnungen zu verpflichten und in dessen Namen alle Arten von Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Zweck des Gewerbes oder Geschäftes des Geschäftsherrn mit sich bringen kann.
2 Zur Veräusserung und Belastung von Grundstücken ist der Prokurist nur ermächtigt, wenn ihm diese Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist.
Art. 460 OR
III. Beschränkbarkeit
1 Die Prokura kann auf den Geschäftskreis einer Zweigniederlassung beschränkt werden.
2 Sie kann mehreren Personen zu gemeinsamer Unterschrift erteilt werden (Kollektiv-Prokura), mit der Wirkung, dass die Unterschrift des Einzelnen ohne die vorgeschriebene Mitwirkung der übrigen nicht verbindlich ist.
3 Andere Beschränkungen der Prokura haben gegenüber gutgläubigen Dritten keine rechtliche Wirkung.
Art. 461 OR
IV. Löschung der Prokura
1 Das Erlöschen der Prokura ist in das Handelsregister einzutragen, auch wenn bei der Erteilung die Eintragung nicht stattgefunden hat.
2 Solange die Löschung nicht erfolgt und bekannt gemacht worden ist, bleibt die Prokura gegenüber gutgläubigen Dritten in Kraft.
Art. 462 OR
B. Andere Handlungsvollmachten
1 Wenn der Inhaber eines Handels-, Fabrikations- oder eines andern nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes jemanden ohne Erteilung der Prokura, sei es zum Betriebe des ganzen Gewerbes, sei es zu bestimmten Geschäften in seinem Gewerbe als Vertreter bestellt, so erstreckt sich die Vollmacht auf alle Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Gewerbes oder die Ausführung derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.
2 Jedoch ist der Handlungsbevollmächtigte zum Eingehen von Wechselverbindlichkeiten, zur Aufnahme von Darlehen und zur Prozessführung nur ermächtigt, wenn ihm eine solche Befugnis ausdrücklich erteilt worden ist.
Art. 463* OR
C. …
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* Aufgehoben durch Ziff. II Art. 6 Ziff. 1 des BG vom 25. Juni 1971, mit Wirkung seit 1. Jan. 1972 (AS 1971 1465; BBl 1967 II 241). Siehe auch die Schl- und UeB des X. Tit
Art. 464 OR
D. Konkurrenzverbot
1 Der Prokurist, sowie der Handlungsbevollmächtigte, der zum Betrieb des ganzen Gewerbes bestellt ist oder in einem Arbeitsverhältnis zum Inhaber des Gewerbes steht, darf ohne Einwilligung des Geschäftsherrn weder für eigene Rechnung noch für Rechnung eines Dritten Geschäfte machen, die zu den Geschäftszweigen des Geschäftsherrn gehören.*
2 Bei Übertretung dieser Vorschrift kann der Geschäftsherr Ersatz des verursachten Schadens fordern und die betreffenden Geschäfte auf eigene Rechnung übernehmen.
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* Fassung gemäss Ziff. II Art. 1 Ziff. 10 des BG vom 25. Juni 1971, in Kraft seit 1. Jan. 1972 (AS 1971 1465; BBl 1967 II 241). Siehe auch die Schl- und UeB des X. Tit.
Art. 465 OR
E. Erlöschen der Prokura und der andern Handlungsvollmachten
1 Die Prokura und die Handlungsvollmacht sind jederzeit widerruflich, unbeschadet der Rechte, die sich aus einem unter den Beteiligten bestehenden Einzelarbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag, Auftrag od. dgl. ergeben können.*
2 Der Tod des Geschäftsherrn oder der Eintritt seiner Handlungsunfähigkeit hat das Erlöschen der Prokura oder Handlungsvollmacht nicht zur Folge.
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* Fassung gemäss Ziff. II Art. 1 Ziff. 11 des BG vom 25. Juni 1971, in Kraft seit 1. Jan. 1972 (AS 1971 1465; BBl 1967 II 241). Siehe auch die Schl- und UeB des X. Tit.
Abgrenzung
- Abgrenzung von der Handlungsvollmacht, die weniger weiter geht, d.h.
- Vertretung bloss auf Stufe Betrieb oder eines bestimmten Rechtsgeschäftes gegenüber der Prokura, die auf Stufe Unternehmen zur Vertretung berechtigt
- Vertretung für Angelegenheiten, die der Betrieb gewöhnlich mit sich bringt gegenüber der Prokura, die zur Vertretung aller Belange des Unternehmens ermächtigt
Bedeutung
- In KMU sehr verbreitet
- In Grossunternehmen rückläufiger Institutseinsatz (Trend zur Reduktion der Handelsregistereinträge)
Rechtsnatur
- Gesetzlich fixierte Vertretungsmacht
- Gesetzliches Vertretungsverhältnis für weitere Personen nebst den gesetzestypischen Exekutivorganen juristischer Personen
Ziele
- Transparenz
Motive
- Vertretung in Handels- bzw. Massengeschäften
Funktion / Hierarchie
- In KMU sind die Prokuristen wichtige Personen des Tagesgeschäfts
- In Grossunternehmen besetzen die Prokuristen den Unterbau, nebst den Handlungsbevollmächtigten die erste Hierarchiestufe
Subjekt des Prinzipals
- Prinzipal und Prokurist müssen verschiedene Personen sein (keiner kann sich selbst zum Vertreter bestellen, vgl. BGE 67 I 349)
- Denkbare Prinzipale
- Einzelfirma
- Kollektivgesellschaft (KollG)
- Kommanditgesellschaft (KommG)
- Aktiengesellschaft (AG)
- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
- Genossenschaft (Gen)
- Denkbare Prinzipale
- Keine Regel ohne Ausnahme
- Stiller Gesellschafter
- Stiller Gesellschafter als Prokurist des nach aussen in Erscheinung tretenden Hauptgesellschafters
- Kommanditär mit finanziell beherrschender Stellung
- Kommanditär als Prokurist, obwohl er möglicherweise als nicht operativer, Geld gebender Gesellschafter die KommG beherrscht
- Stiller Gesellschafter
Subjekt des Prokuristen
- Als Prokurist ernannt werden können nur natürliche Personen, die urteilsfähig sein müssen (ein Teil der Lehre verlangt gar Handlungsfähigkeit)
Entstehung
- Begründung
- Üblicherweise wird die Prokura vom Prinzipal formell bzw. ausdrücklich erteilt
- Form
- Die Prokura-Erteilung ist formfrei, auch stillschweigend, möglich (vgl. OR 458 Abs. 1 und BGE 94 II 117)
- Es genügt auch das konkludente Verhalten des Geschäftsherrn, welches als Zustimmung zum Auftreten des Prokuristen zu werten ist (entscheidend: nicht Vollmachterteilung, sondern Verhalten des GH, welches auf eine Vollmachterteilung schliessen lässt, aus der Optik des Dritten; vgl. BGE 96 II 439 ff.)
- Handelsregistereintrag
- Kaufmännische Prokura
- Recht und Pflicht (Ordnungsvorschrift) zur Eintragung der Prokura im Handelsregister
- Nichtbeachtung der Eintragungspflicht berührt den Prokura-Bestand nicht, weil es sich lediglich um eine Ordnungsvorschrift handelt
- Stillschweigende Prokura-Begründungen ohne HR-Eintrag sind in der Praxis oft anzutreffen
- Der Eintragung im Handelsregister kommt keine konstitutive Wirkung zu (vgl. OR 458 Abs. 2)
- HR-Eintragung kann bestimmte Beschränkung des Vollmachtsumfangs ermöglichen (siehe gewillkürte Einschränkungen)
- Recht und Pflicht (Ordnungsvorschrift) zur Eintragung der Prokura im Handelsregister
- Nichtkaufmännische Prokura
- Handelsregistereintrag hat für die nichtkaufmännische Prokura konstitutive Wirkung, d.h. der HR-Eintrag ist zwingend; er ist Gültigkeitsvoraussetzung (vgl. OR 458 Abs. 3; HRegV 149)
- Der Betrieb eines nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes ist nicht notwendig
- Kaufmännische Prokura
Vollmachtsumfang
- Grundsatz
- Massgeblichkeit der gesetzlichen Vertretungsmacht (vgl. OR 933 Abs. 1, OR 460 Abs. 3 e contrario)
- Gesetzlicher Vertretungsausschluss
- Veräusserung oder Belastung von Grundstücken (vgl. OR 459 Abs. 2)
- Vertretungsausschluss der Gerichtspraxis
- Selbstkontrahieren
- Doppelvertretung
- Gewillkürte Einschränkungen
- Filialprokura
- Beschränkung auf den Geschäftskreis einer Zweigniederlassung (vgl. OR 460 Abs. 1)
- Kollektivprokura
- Beschränkung des subjektiven Umfangs, auf eine Kollektivvollmacht, d.h. die „Zeichnungsberechtigung zu zweien“ (vgl. OR 460 Abs. 2)
- sog. „halbseitige Prokura“
- Prokurist kann nur gemeinsam zusammen mit zB dem einzigen Mitglied des Verwaltungsrates zeichnen (vgl. BGE 60 I 395; für drei oder mehr Personen bzw. spezielle Kombinationen: BGE 121 III 373)
- Filialprokura
- Weitergehende Einschränkungen
- Interne Einschränkungen der Prokuravollmacht zwischen Geschäftsherrn und Prokurist muss sich der Dritte nur dann entgegenhalten lassen, wenn davon wusste (Schriftliche Anzeige des Geschäftsherrn über den Vollmachtsumfang des Prokuristen an Lieferanten, Kunden, Banken etc.)
- Anwendungsfälle
- Kreditgewährung nur bis zu einer bestimmten Summe
- Keine Bankkreditaufnahme
- Anwendungsfälle
- Die Anrechnung eines grobfahrlässigen Nichtwissens des Dritten ist in der Lehre umstritten
- Interne Einschränkungen der Prokuravollmacht zwischen Geschäftsherrn und Prokurist muss sich der Dritte nur dann entgegenhalten lassen, wenn davon wusste (Schriftliche Anzeige des Geschäftsherrn über den Vollmachtsumfang des Prokuristen an Lieferanten, Kunden, Banken etc.)
- Weitergehende (ausdrückliche) Ermächtigung
- Recht auf Veräusserung und Belastung von Grundstücken
- Eine solche Befugnis muss vom Prinzipal ausdrücklich erteilt werden (vgl. OR 459 Abs. 2)
Ausübung / Prokurazusatz / Zeichnung
- Der Prokurist zeichnet in der Regel mit dem Zusatz „ppa.“ oder „p.p.“ oder „p.pa.“ (= per procura) vor seinem Namen bzw. seiner Unterschrift
- Der Prokurazusatz ist eine blosse Ordnungsvorschrift und hat bei Missachtung keine nachteiligen Folgen
Konkurrenzverbot
- Prokurist darf weder in eigenem Namen noch im Namen eines Dritten Geschäfte tätigen
- Im Verletzungsfalle hat der Geschäftsherr Anspruch auf Schadenersatz oder das Recht zur Selbstübernahme
- Handlungsvollmachtskonkurrenzverbot
- Vgl. OR 464
Untergang der Prokura
- Es gelten die Erlöschensgründe wie für die VOLLMACHT, vor allem
- jederzeitige Widerrufbarkeit (OR 465 Abs. 1)
- einseitige, empfangsbedürftige Erklärung an den Prokuristen
- Konkurs des Prinzipals
- Liquidation des Prinzipals
- Ausnahmen: Tod oder Handlungsunfähigkeit haben nicht das Prokura-Erlöschen zur Folge
- vgl. Vollmachtserlöschen bzw. OR 465
- jederzeitige Widerrufbarkeit (OR 465 Abs. 1)
- Der Prokura-Untergang ist im HR einzutragen, selbst wenn ihre Begründung nie eingetragen wurde (vgl. OR 461 Abs. 1)
- Ohne Löschungseintragung bleibt die Prokura gegenüber dem gutgläubigen Dritten in Kraft (vgl. OR 461 Abs. 2); daher ist die Löschungsanmeldung eine Obliegenheit des Prinzipals
- vgl. ferner OR 3 Abs. 2 und OR 933 Abs. 2
- Trotz Löschung der Prokura besteht das Grundverhältnis (zB Arbeitsvertrag, Auftrag, Gesellschaftsvertrag) fort (vgl. OR 465 Abs. 1)
Tod und Handlungsunfähigkeit
- Der Tod und die Handlungsunfähigkeit des Vollmachtgebers sind keine Erlöschensgründe für eine Prokura (vgl. OR 465 Abs. 2, anders als OR 35 Abs. 1).
Haftung für deliktisches Handeln
- Haftung des Unternehmens auch für unerlaubte Handlungen des Prokuristen bei der Ausübung seiner geschäftlichen Tätigkeit
Prozessuales
- Allgemein
- Es gelten die gleichen Regeln wie für die RECHTSGESCHÄFTLICHE STELLVERTRETUNG (OR 32 ff.)
- Vollmachtsüberschreitung
- Intern
- Die Behauptungs- und Beweislast, dass die Vertretungsmacht des Prokuristen begrenzt war, obliegt dem Prinzipal
- Der Geschäftsherr, der Schadersatz fordert, hat darzutun, dass er bei korrektem Verhalten seines Prokuristen das Geschäft hätte abschliessen können (vgl. SG GVP 1986, Nr. 42, S. 83 ff.)
- Extern
- Die Behauptungs- und Beweislast, dass der Prokurist nicht zum Geschäftsabschluss befugt war, dass der Dritte dies wusste (Bösgläubigkeit) oder kennen musste (mangelnde Sorgfalt)
- Streitverkündung des Dritten an den Prokuristen (vgl. OR 39)
- Intern
Internationales Verhältnis (IPR)
- Filialprokurist der schweizerischen Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens
- „Die Vertretungsmacht einer solchen Zweigniederlassung richtet sich nach schweizerischem Recht. Mindestens eine zur Vertretung befugte Person muss in der Schweiz Wohnsitz haben und im Handelsregister eingetragen sein“ (IPRG 160 Abs. 2)
- Filialprokurist ohne Geschäftsniederlassung in der Schweiz
- Für den kaufmännischen Vertreter im Arbeitsverhältnis ohne Geschäftsniederlassung in der Schweiz, ist – gleichlaufend mit der organschaftlichen Vertretung – das Recht des Staates anwendbar, in dem der Prinzipal seinen Sitz hat (vgl. IPRG 126; vgl. ferner IPRG 155 lit. i)