Gefragte Unabhängigkeit
Einleitung
Gelegentlich stellen sich Klienten die Frage, weshalb ihr Anwalt das eine Getan oder das Andere unterlassen hat. Schnell kommt der Gedanke auf, der Anwalt sei nicht unabhängig oder stehe bei der Berufsausübung unter dem Einfluss eines Dritten, womöglich der Gegenpartei.
In solchen Fällen geht es letztlich um den Verdacht des Vorliegens eines Interessenkonflikts.
Es ist Standard, dass der angefragte Anwalt vor Mandatsannahme einen sog. „Interessenkonflikt-Check“ macht. Nur so ist gewährleistet, dass keine Unvereinbarkeiten vorliegen und das Mandat nicht im Vertretungsverlaufe aus ursprünglichen Konfliktgründen niedergelegt werden muss. Nachträgliche Unvereinbarkeiten – wie durch Übertritt des Mandatssachbearbeiters zum Gegenanwalt (Stellenwechsel) – und zu einer Mandatsniederlegung führen, sind oft nicht vorhersehbar; dagegen ist weder der Anwalt, noch der Kunde gefeit.
Zurück zum Verdacht. Die nachfolgenden Ausführungen sollen die Grundlagen und die hauptsächlichsten Interessenkonfliktgefahren darlegen, um es dem Leser zu ermöglichen, sich mit dem Thema des Interessenkonflikts auseinanderzusetzen. Der Leser und Kunde eines Anwalts soll so in der Lage sein, sich beim Anwalt zu erkundigen, weshalb er das eine Getan oder das andere Unterlassen hat. Vielleicht aus strategisch-taktischen Gründen, vielleicht aber auch aus verpönten, nicht denkfreien Gründen. Es ist wichtig, Vorurteile auszuräumen oder Entscheide treffen zu können.
Anwälte als Garanten der Unabhängigkeit
Rechtsanwälte sollen aufgrund ihrer besonderen Funktion im Rechtspflegesystem Garanten der Rechtsstaatlichkeit sein.
Zum Kernbereich des anwaltlichen Berufsbildes zählen:
- anwaltliche Unabhängigkeit
- anwaltliches Berufsgeheimnis
- Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen.
Gesetzliche Grundlage
Das Interessenkollisionsverbot für Rechtsanwälte stützt sich einerseits unmittelbar auf Auftragsrecht (OR 398 Abs. 2) und andererseits auf Berufs- bzw. Standesrecht (BGFA 12 lit. c):
- Auftragsrecht
- Das Anwaltsmandat basiert in aller Regel auf Auftragsrecht
- Die Rechte und Pflichten des Beauftragten sind umfassend umschrieben und enthalten die Vorgabe, das Mandat getreu und sorgfältig auszuführen:
- „Er haftet dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes.“ (OR 398 Abs. 2)
- Berufs- bzw. Standesrecht
- Das berufsrechtliche Verbot, gegenläufige Interessen zu vertreten, ergibt sich aus der oberwähnten auftragsrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflicht
- Der Gesetzgeber hat – ergänzend zum Auftragsrecht – angesichts der vielen möglichen Gefährdungen im Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte („Anwaltsgesetz“; SR 935.61) eine weite Formulierung gewählt, um Klienten und Publikum einen umfassenden Schutz gewähren zu können; den Anwälten ist daher folgende Pflicht auferlegt:
- „Sie meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen.“ (BGFA 12 lit. c)
Interessenkonflikt?
Ein Interessenkonflikt ist gegeben, wenn ein Rechtsanwalt die Wahrung Mandanten-Interessen übernommen hat und dabei Entscheidungen zu treffen hat, bei welchen er sich möglicherweise in Konflikt zu eigenen oder anderen ihm zur Wahrung übertragenen Interessen begibt.
Dabei wird unterschieden in:
- Potenzieller Interessenkonflikt
- Es liegt die erhöhte Gefahr eines möglichen Interessenkonflikts vor
- Latenter Interessenkonflikt
- Es sind zwar divergierende Interessen vorhanden, der Interessenkonflikt hat sich aber noch nicht verwirklicht; der Interessenkonflikt realisiert sich, wenn der Anwalt konkrete Handlungen für den Klienten vorzunehmen oder zu unterlassen hat, die von seinen Interessen oder denjenigen eines Dritten abweichen
- Akuter Interessenkonflikt
- Der akute Interessenkonflikt beinhaltet eine ernst zu nehmende Gefahr für die Interessen des Mandanten
- Punktueller Interessenkonflikt
- Der Interessenkonflikt in einer Vertretung betrifft nur einen Aspekt oder nur wenige Punkte
- Permanenter Interessenkonflikt
- Beim permanenten Interessenkonflikt liegt ein grundsätzlich gegenläufiges Interesse von Mandant und Anwalt vor
- Konkreter Interessenkonflikt
- Vorhandener Konflikt
- Persönlicher Interessenkonflikt
- Ein persönlicher Interessenkonflikt besteht dann, wenn der Rechtsanwalt Entscheidungen zu treffen hat, die sich zu seinem persönlichen Vor- oder Nachteil auswirken
- Doppelvertretung
- Der Rechtsanwalt vertritt gleichzeitig verschiedene Parteien, deren Interessen sich widersprechen oder gar ausschliessen
- Der Anwalt darf nicht gleichzeitig „zwei Herren“ dienen
- Parteiwechsel
- Der Rechtsanwalt vertritt in derselben Streitsache zuerst die Interessen für die eine Partei, später aber für die andere Partei, den vormaligen Prozessgegner.
Denkbar sind natürlich noch weitere Interessenkonflikt-Fälle oder Interessengegensätze.
Je nach Situation ist die anwaltliche Vertretung als verbotenes Handeln zu qualifizieren.
Typische Interessenkonflikt-Gefahren
Die unabhängige Berufsausübung steht in folgenden Konstellationen oft auf dem „Interessenkonflikt-Prüfteller“:
- Vorbefassung
- Doppelfunktion als Notar und Rechtsanwalt
- Rechtsanwalt als Nachlassplaner und anschliessender Willensvollstrecker
- Rechtsanwalt als Mitglied des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft
- Kanzleiwechsel des Anwalts
- etc.
Einzelfallprüfung erforderlich
Jeder Fall ist wieder anders. Deshalb ist der Sachverhalt und Freiheit oder Bindungen des Anwalts im konkreten Einzelfall zu prüfen.
Wie einleitend erwähnt, kann ein klärendes Gespräch weiterhelfen; umgekehrt wird dadurch natürlich ein Misstrauen manifest und es entsteht die Gefahr, dass auch der „unbefangene Anwalt“ das Mandat niederlegt. Für ein solches Gespräch ist daher eine individuelle Beurteilung notwendig. Jeder Anwaltswechsel kostet und bei der Gegenpartei wird die Hoffnung auf ein besseres Obsiegen geweckt.
Für die Entscheidfindung, ob und wenn ja, wie in einer solchen Situation vorgegangen werden soll, kann auch auf die Unterstützung eines dritten Anwalts zurückgegriffen werden; dieser kann aus der Fachoptik das Verhalten des mandatieren Anwalts besser analysieren und einschätzen.
Weiterführende Informationen:
Quelle
LawMedia Redaktionsteam