Das Bundesgericht (BGer) hat sich in drei Entscheiden zur Tragweite der 2019 neu eingeführten Gesetzesbestimmung für zusätzlichen Schutz vor ungerechtfertigten Betreibungen äussern müssen.
Einleitung
Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)(SR 281.1) sieht verschiedene Möglichkeiten vor, wie man sich vor ungerechtfertigten Betreibungen schützen und für seine Kreditwürdigkeit wehren kann.
In Umsetzung der parlamentarischen Initiative Abate wurde per 01.01.2019 ein zusätzlicherRechtsbehelf (SchKG 8a Abs. 3 lit. d) eingeführt, mit welchem verhindert werden kann, dass das Betreibungsamt (BA) Dritten Auskunft über eine Betreibung gibt.
2. Einsichtsrecht
Art. 8a13 SchKG
1 Jede Person, die ein Interesse glaubhaft macht, kann die Protokolle und Register der Betreibungs- und der Konkursämter einsehen und sich Auszüge daraus geben lassen.
2 Ein solches Interesse ist insbesondere dann glaubhaft gemacht, wenn das Auskunftsgesuch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Abwicklung eines Vertrages erfolgt.
3 Die Ämter geben Dritten von einer Betreibung keine Kenntnis, wenn:
- die Betreibung nichtig ist oder aufgrund einer Beschwerde oder eines gerichtlichen Entscheids14aufgehoben worden ist;
- der Schuldner mit einer Rückforderungsklage obsiegt hat;
- der Gläubiger die Betreibung zurückgezogen hat;
- 15 der Schuldner nach Ablauf einer Frist von drei Monaten seit der Zustellung des Zahlungsbefehls ein entsprechendes Gesuch gestellt hat, sofern der Gläubiger nach Ablauf einer vom Betreibungsamt angesetzten Frist von 20 Tagen den Nachweis nicht erbringt, dass rechtzeitig ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlages (Art. 79-84) eingeleitet wurde; wird dieser Nachweis nachträglich erbracht oder wird die Betreibung fortgesetzt, wird sie Dritten wieder zur Kenntnis gebracht.
4 Das Einsichtsrecht Dritter erlischt fünf Jahre nach Abschluss des Verfahrens. Gerichts- und Verwaltungsbehörden können im Interesse eines Verfahrens, das bei ihnen hängig ist, weiterhin Auszüge verlangen.
13 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. Dez. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1997 (AS 1995 1227; BBl 1991 III 1).
14 Ausdruck gemäss Anhang 1 Ziff. II 17 der Zivilprozessordnung vom 19. Dez. 2008, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1739; BBl 2006 7221).
15 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. Dez. 2016, in Kraft seit 1. Jan. 2019 (AS 2018 4583; BBl 2015 3209 5785).
IX. Fortsetzung der Betreibung173
173 Eingefügt durch Ziff. I des BG vom 16. Dez. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1997 (AS 1995 1227; BBl 1991 III 1).
Art. 88174 SchKG
1 Ist die Betreibung nicht durch Rechtsvorschlag oder durch gerichtlichen Entscheid eingestellt worden, so kann der Gläubiger frühestens 20 Tage nach der Zustellung des Zahlungsbefehls das Fortsetzungsbegehren stellen.
2 Dieses Recht erlischt ein Jahr nach der Zustellung des Zahlungsbefehls. Ist Rechtsvorschlag erhoben worden, so steht diese Frist zwischen der Einleitung und der Erledigung eines dadurch veranlassten Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens still.
3 Der Eingang des Fortsetzungsbegehrens wird dem Gläubiger auf Verlangen gebührenfrei bescheinigt.
4 Eine Forderungssumme in fremder Währung kann auf Begehren des Gläubigers nach dem Kurs am Tage des Fortsetzungsbegehrens erneut in die Landeswährung umgerechnet werden.
174 Fassung gemäss Ziff. I des BG vom 16. Dez. 1994, in Kraft seit 1. Jan. 1997 (AS 1995 1227; BBl 1991 III 1).
1) Die betreibungs-betroffene Person, also der Schuldner, kann dazu zunächst
- nach Ablauf von 3 Monaten seit der Zustellung des Zahlungsbefehls beim Betreibungsamt (BA) ein Gesuch um Nichtbekanntgabe der Betreibung stellen.
2) Der Gläubiger muss dann innert einer vom BA angesetzten Frist von 20 Tagen den Nachweis erbringen,
- dass er rechtzeitig ein Verfahren zur Beseitigung des vom Schuldner erhobenen Rechtsvorschlages eingeleitet hat.
3) Erbringt der Gläubiger den Nachweis nicht,
- gibt das BA Dritten von der Betreibung keine Kenntnis.
Drei Entscheide
Das BGer musste in drei Urteilen Fragen zur Tragweite dieser Neuregelung klären:
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Fall 1 (5A_656/2019; BGE 147 III 41)
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Sachverhalt
- Eine betriebene Frau erhob Rechtsvorschlag gegen die eingeleitete Betreibung.
- Die Gläubigerin stellte in der Folge ein Rechtsöffnungsgesuch, welches jedoch erfolglos blieb.
- Die Betriebene gelangte ans BA und ersuchte um Nichtbekanntgabe der Betreibung, was abgelehnt wurde.
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Entscheid
- Das BGer hat die Beschwerde der betriebenen Frau abgewiesen.
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Erwägungen
- Gemäss der parlamentarischen Debatte zur neuen Gesetzesbestimmung von SchKG 8a Abs. 3 lit. d soll eine Betreibung Dritten dann nicht mitgeteilt werden, wenn der Gläubiger «keine Anstalten macht», die Betreibung fortzuführen.
- Die massgebliche Ernsthaftigkeit des Gläubigers sollte lediglich daran gemessen werden, ob er ein Verfahren zur Beseitigung des Rechtsvorschlages einleitet.
- Das BGer kommt aufgrund von diesem und von weiteren Auslegungselementen zum Schluss, dass das Unterliegen des Gläubigers im Rechtsöffnungsverfahren keinen Grund für die Nichtbekanntgabe der Betreibung ist.
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Fall 2 (5A_701/2020)
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Sachverhalt
- Ein Schuldner erhob Rechtsvorschlag in der für die Forderung eingeleiteten Betreibung.
- Später bezahlte er den verlangten Betrag und ersuchte anschliessend das Betreibungsamt um Nichtbekanntgabe der Betreibung. Das wurde abgewiesen.
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Entscheid
- Das BGer bestätigte auch diesen Entscheid.
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Erwägungen
- Im Parlament wurde betont, dass vor Einführung der neuen Regelung eine Betreibung nicht aus dem Register gelöscht wurde, wenn die Forderung im Verlauf des Betreibungsverfahrens bezahlt wurde; daran solle sich durch die neue Bestimmung SchKG 8a Abs. 3 lit. d nichts ändern.
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Fall 3 (5A_927/2020)
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Sachverhalt
- Aus der Fortsetzung des Falls No. 1 ergab sich folgendes:
- Nach Unterliegen der Gläubigerin im Rechtsöffnungsverfahren blieb sie über ein Jahr lang untätig, womit ihr Recht auf Fortsetzung der Betreibung erlosch (SchKG 88).
- Die betriebene Frau gelangte danach wiederum ans BA und ersuchte erneut um Nichtbekanntgabe der Betreibung, was ihr auch dieses Mal verwehrt wurde.
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Entscheid
- Das BGer bestätigt den vorinstanzlichen Entscheid.
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Erwägungen
- Weder der Wortlaut, noch die Entstehungsgeschichte der neuen Norm SchKG 8a Abs. 3 lit. d lassen den Schluss zu,
- dass die betriebene Person das Gesuch um Nichtbekanntgabe erst nach Ablauf eines Jahres stellen könnte.
- Weil der Gläubiger nach Ablauf der Frist von SchKG 88 gar nicht mehr reagieren kann, ist das Vorgehen nach SchKG 8a Abs. 3 lit. d unter diesen Umständen nicht geeignet,
- um zu unterscheiden zwischen
- gerechtfertigten Betreibungen und
- ungerechtfertigten Betreibungen und
- das Betreibungsregister daher offen zu halten.
- um zu unterscheiden zwischen
- Die neu geschaffene Möglichkeit, die Bekanntgabe einer Betreibung zu begrenzen, kann in diesem Rahmen als
- sachgerechte und angemessene Antwort auf ungerechtfertigte Betreibungen verstanden werden.
- Das Zwangsvollstreckungsrecht sieht für den Schuldner weitere Möglichkeiten vor, um
- sich zu schützen und
- seine Kreditwürdigkeit zu verteidigen.
- Weder der Wortlaut, noch die Entstehungsgeschichte der neuen Norm SchKG 8a Abs. 3 lit. d lassen den Schluss zu,
BGer 5A_927/2020 vom 23.08.2021
BGer 5A_656/2019 vom 22.06.2020
BGer 5A_701/2020 vom 23.07.2021
Weiterführende Informationen
Quelle
LawMedia Redaktionsteam