OR 398 Abs. 2 / BGFA 12 lit. a + BGFA 17 Abs. 1
Das Bundesgericht (BGer) musste sich im Fall 2C_233/2021 mit der sog. „Anwaltssorgfalt“ befassen, weil ein Rechtsanwalt trotz der vom Zivilgericht eindeutig festgestellten Sorgfaltsverletzung Disziplinarmassnahmen mittels Beschwerde abwehren wollte:
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Auftragsrechtliche Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht
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Grundlagen
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- Die Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht des Anwalts ist für sein Verhältnis zum Klienten von so zentraler Bedeutung, dass ihre Verletzung einen Verstoss gegen die berufsrechtliche Pflicht gemäss BGFA 12 lit. a darstellt und disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.
- Der Anwalt hat seinen Klienten möglichst objektiv aufzuklären über
- die Prozesschancen und Prozessrisiken sowie
- die Kostenrisiken.
- Die Berufsregeln verbieten es dem Anwalt, seinen Klienten leichtfertig oder mutwillig zu einem Prozess zu verleiten, der von Anfang an aussichtslos ist.
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Klienten-Belehrung + Einverständnis als Vorbehalt
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- Daraus kann aber keine allgemeine Pflicht des Anwalts abgeleitet werden, nur risikolose Prozesse zu führen.
- Ist der Klient von ihm entsprechend belehrt worden und hat er zum gewählten Vorgehen sein Einverständnis erteilt, kann in der Prozessführung – vorbehältlich gravierender Fälle – auch bei geringen Erfolgsaussichten keine berufsrechtlich relevante Pflichtverletzung gesehen werden.
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Im konkreten Fall
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Ohne Prozess- und Kostenrisiken-Aufklärung mit überhöhtem Streitwert geklagt
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- Vorliegend war erstellt, dass der beschwerdeführende Anwalt – ohne seinen ehemaligen Klienten hinreichend über die Prozess- und Kostenrisiken aufzuklären – vor dem Bezirksgericht Liestal eine Klage mit überhöhtem Streitwert eingeleitet hatte.
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Zivilgerichtliche festgestellte Chancenlosigkeit des Prozessvorhabens
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- Sowohl das Bezirksgericht Zürich als auch das Obergericht kamen übereinstimmend zum Schluss, dass keine vernünftigen Chancen bestanden hätten, auch nur annähernd einen Prozessgewinn in der Grössenordnung der eingeklagten Streitsumme zu realisieren, und, dass der Verzeiger bei einer ordnungsgemässer Aufklärung über die Prozess- und Kostenrisiken das Verfahren vor dem Bezirksgericht Liestal mit überwiegender bzw. an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geführt hätte.
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Beurteilung mit Reflex auf Disziplinarrecht
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- Ein solches Verhalten des Anwalts liegt nicht im Interesse des Klienten und ist mit einer sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung nicht vereinbar.
- Bereits aus diesem Grund war nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen das Vorgehen des beschwerdeführenden Anwalts als unverantwortlich bzw. als Verletzung auftragsrechtlicher Pflichten, die gestützt auf BGFA 12 lit. a zur Anordnung einer Disziplinarmassnahme führen kann, qualifiziert haben.
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Disziplinierung
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Regelverstoss
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- Die Verletzung der Aufklärungs- und Benachrichtigungspflicht kann ein Verstoss gegen die berufsrechtliche Pflicht gemäss BGFA 12 lit. a darstellen und disziplinarische Konsequenzen nach sich ziehen.
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Zivilurteile als Beurteilungsgrundlage
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- Bei der Prüfung der Einhaltung der Berufspflichten kann im Disziplinarverfahren auf die Urteile der Zivilgerichte abgestellt werden.
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Bundesgerichtliche Beurteilungszurückhaltung
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- In Bezug auf die auszufällenden Massnahmen übt das BGer aber Zurückhaltung:
- Es greift nur ein, wenn eine Disziplinarsanktion als klar unverhältnismässig oder geradezu willkürlich erscheint.
- In Bezug auf die auszufällenden Massnahmen übt das BGer aber Zurückhaltung:
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Urteil des Bundesgerichts 2C_233/2021 vom 08.07.2021 | bger.ch
i.S. A. Limited c. Aufsichtskommission über die Anwältinnen und Anwälte im Kanton Zürich c/o Obergericht des Kantons Zürich betreffend Verletzung von Berufsregeln
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam