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Erbrecht

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Das revidierte Erbrecht: Ein Überblick über die am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen (Teil 7)

Datum:
25.11.2022
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Erbrecht
Stichworte:
Bindungswirkung, Erbeinsetzung, Erbrechtsrevision, Erbvertrag, Herabsetzung, Inkrafttreten am 01.01.2023
Autor:
RA Urs Bürgi und RA Marc Peyer
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Teil 7 – Erbvertrag: Bindungswirkung

von
RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notarpatentes, und
RA Marc Peyer, Fachanwalt SAV Erbrecht

Einleitung

Wie bereits berichtet tritt am 01.01.2023 die Erbrechtsrevision in Kraft.

Diese Artikelfolge soll auf das gesamte Erbrechts-Reformvorhaben des Bundes und die einzelnen, am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen näher eingehen.

Zunächst zur Agenda der Artikelfolge:

Altes Recht

Definition des Erbvertrags

Der Erbvertrag (im Sinne eines sog. positiven Erbvertrags) gilt als

  • Vertragliches, zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft von Todes wegen,
    • mit welchem mindestens eine Vertragspartei in bindender Weise Anordnungen für ihren Todesfall trifft.

Vgl. ZGB 494.

Wirkungen des Erbvertrags

Als Verfügung von Todes wegen zeitigt der Erbvertrag folgende Wirkungen:

  • grundsätzlich erstab demAbleben des Erblassers;
  • Recht des Erblassers,trotz Abschluss eines Erbvertrages über sein Vermögen lebzeitig frei zu verfügen  (vgl. ZGB 494 Abs. 2)
    • Dererbvertragsverpflichtete Erblasser kann also Gegenstände, welche zu seinem künftigen Nachlass zählen könnten, grundsätzlich veräussern und / oder verbrauchen.

Literatur

  • WOLF STEFAN / HRUBESCH-MILLAUER STEFANIE, Schweizerisches Erbrecht, SjL, Bern 2020, N 897

Dem Erbvertrag widersprechende Verfügungen über das Vermögen

Verfügungen von Todes wegen und Schenkungen, welche mit den Verpflichtungen des Erblassers aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterstehen der Anfechtung.

Vgl. ZGB 494 Abs. 3.

Anfechtung durch Herabsetzung

Eine Anfechtung von Dispositionen des Erblassers, welche die Rechte des Erbvertragsbedachten verletzen, kann erfolgen:

  • nach dem Ableben des Erblassers und
  • nach den Bestimmungen zur Herabsetzungsklage (per analogia).

Vgl. ZGB 522 ff.

Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen, die dem Erbvertrag widersprechenden

Dem Erbvertrag

  • zeitlich nachfolgende und
  • ihm widersprechende Verfügungen von Todes wegen

lassen sich mit der Anfechtungsklage grundsätzlich ohne erhebliche Schwierigkeiten aus folgendem Grunde beseitigen:

  • Die Dispositionen von Todes wegen sind noch nicht ausgerichtet wie lebzeitige Zuwendungen.

Anfechtung von dem Erbvertrag widersprechenden lebzeitigen Zuwendungen

Anders liegt die Situation bei lebzeitig vollzogenen Zuwendungen wie Schenkungen,

  • a. wenn sich der Gegenstand bereits beim Beschenkten befindet.

Anfechtung lebzeitiger Zuwendungen, die dem Erbvertrag widersprechen

Rechtsprechung

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Schenkungen im Prinzip mit dem Erbvertrag vereinbar,

  • sofern und soweit dieser nicht – explizit oder implizit –dasGegenteil vorsieht (BGE 70 II 255 ff., Erw.. 2).

Fehlt es an einer Schenkungsfreiheits-Abrede,

  • kann ZGB 494 Abs. 3 trotzdessen zur Anwendung gelangen,
    • wenn der Erblasser mit seinen Schenkungen offensichtlich
      • seine Verpflichtungen aus dem Erbvertrag zu untergraben versucht und daher vorliegt:
        • ein Rechtsmissbrauch (ZGB 2 Abs. 2)
        • eine Schädigung des Erbvertragspartners (vgl. BGer 71/2001 vom 28.09.2001, Erw. 3b, a.E.; vgl. auch BGE 140 III 193 ff., Erw. 2.1).

Kritik der Lehre / Handeln des Gesetzgebers

Diese Judikatur wurde durch einen Teil der Lehre kritisiert, weshalb das Korrekturanliegen vom Gesetzgeber aufgenommen wurde:

  • Mit der Revision wird die heutige Rechtsprechung obsolet (vgl. BotschaftErbrecht, S. 5884)

Neues Recht

Anpassung der Definition des Erbvertrags

Nach dem neuen Erbrecht unterliegen Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, der Anfechtung, sofern und soweit sie:

  1. mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag unvereinbar sind,
    • namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
  1. im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.

Vgl. nZGB 494 Abs. 3.

Paradigmenwechsel

Die Erbrechtsrevision führt zu einen eigentlichen Paradigmenwechsel:

  • Bisher:
    • Grundsätzliche Schenkungsfreiheit
  • Neu:
    • Grundsätzliches Schenkungsverbot.

nZGB 494 Abs. 3 wirft neue Fragen auf

Die Neuredaktion von nArt. 494 Abs. 3 ZGB durch den Gesetzgeber wirft neue Fragen auf:

  • Konkrete Bedeutung der Beschreibung
    • «mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar»
  • Umfang der Beschreibung
    • «Zuwendungen unter Lebenden»
  • Erbvertragserbe erwirbt eine überschuldete Erbschaft

nZGB 494 Abs. 3 ist dispositives Recht

Die Norm von nZGB 494 Abs. 3 bildet dispositives Recht:

  • Abweichung von der Norm möglich
    • Erbvertragsparteien können vom Wortlaut des Gesetzes in nZGB 494 Abs. 3 abweichen.
    • Massgebend ist der Parteiwille der Erbvertragsparteien.
      • Will der Erblasser auch nach Abschluss des Erbvertrages in Bezug auf seine Dispositionsfähigkeit frei bleiben und Zuwendungen unter Lebenden und / oder Verfügungen von Todes wegen ganz oder teilweise frei vornehmen können, so erfordert dies
        • Eine entsprechende redaktionelle Ausgestaltung des Erbvertrags mit  entsprechendem Vorbehalt (vgl. nZGB 494 Abs. 3 Ziffer 2).
  • Abweichung von der Norm erfordert eine ausdrückliche Abrede im Erbvertrag
    • Sollen lebzeitige Zuwendungen und / oder Verfügungen von Todes wegen nach Erbvertragsschluss grundsätzlich weiterhin möglich bleiben, sollte dies zur Vermeidung einer Anfechtung im öffentlich vor zwei Zeugen zu beurkundenden Erbvertrag ausdrücklich geregelt sein.

Übergangsrecht

Das neue Recht wird auf bestehende Erbverträge anwendbar sein (SchlTzZGB 16 Abs. 3):

  • Diese Übergangsregelung erscheint rechtlich als zweifelhaft, wird doch von Gesetzes wegen nachträglich („Rückwirkung“) in Erbverträge eingegriffen und bei deren Abschluss nicht bestehende Schranken aufgestellt.
  • Es ist daher denkbar, dass ein ursprünglich ausgewogener Erbvertrag durch das Übergangsecht der Erbrechtsrevision als unausgewogen erscheint und nicht mehr dem Parteiwillen der Erbvertragsparteien entspricht.

Im Moment gehen die Autoren von der Geltung der vorbeschriebenen Übergangsordnung aus.

Fazit

Die Anwartschaft des Erbvertragsbedachten wird mit dem im neuen Erbrecht vorgesehenen (dispositiven) „grundsätzlichen Schenkungsverbot“ gestärkt.

Bei vorbestandenen Erbverträgen, in welchen die Abrede zur alt-rechtlichen Schenkungsfreiheit fehlt, kann durch das neue Recht nachträglich die Leistungsparität verletzt und für die einen Vertragsparteien stossend sein.

Noch komplexer wird die Situation, wenn eine Vertragspartei unter altem Recht verstorben ist und eine klärende erbvertragliche Abrede nicht mehr möglich ist.

Die Rechtsprechung wird hier helfen müssen.

RA Urs Bürgi

Urs Bürgi berücksichtigt bei seiner Beratungstätigkeit die betriebswirtschaftlichen Aspekte und strebt pragmatische Lösungen an, um seiner Klientschaft einen Mehrwert zu generieren.

RA Marc Peyer

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