Teil 7 – Erbvertrag: Bindungswirkung
RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notarpatentes, und
RA Marc Peyer, Fachanwalt SAV Erbrecht
Einleitung
Wie bereits berichtet tritt am 01.01.2023 die Erbrechtsrevision in Kraft.
Diese Artikelfolge soll auf das gesamte Erbrechts-Reformvorhaben des Bundes und die einzelnen, am 01.01.2023 in Kraft tretenden Änderungen näher eingehen.
Zunächst zur Agenda der Artikelfolge:
ERBRECHTSREVISION – DIE ARTIKELFOLGE
Teil 2 – Gesetzliches Erbrecht: Keine Änderungen
Teil 3 – Eltern-Pflichtteil: Abschaffung
Teil 4 – Nachkommen-Pflichtteil: Reduktion
Teil 5 – Ehegüterrecht + Ehegatten-Erbrecht
Teil 6 – Nutzniessung nach ZGB 473
Teil 7 – Erbvertrag: Bindungswirkung
Teil 8 – Gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a): Berücksichtigung im Ehegüter- und Erbrecht
Agenda zu Teil 7
- Altes Recht
- Definition des Erbvertrags
- Wirkungen des Erbvertrags
- Dem Erbvertrag widersprechende Verfügungen über das Vermögen
- Anfechtung durch Herabsetzung
- Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen, die dem Erbvertrag widersprechen
- Anfechtung von dem Erbvertrag widersprechenden lebzeitigen Zuwendungen
- Anfechtung lebzeitiger Zuwendungen, die dem Erbvertrag widersprechen
- Neues Recht
- Weiterführende Informationen
Altes Recht
Definition des Erbvertrags
Der Erbvertrag (im Sinne eines sog. positiven Erbvertrags) gilt als
- Vertragliches, zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft von Todes wegen,
- mit welchem mindestens eine Vertragspartei in bindender Weise Anordnungen für ihren Todesfall trifft.
Vgl. ZGB 494.
- Davon abzugrenzen ist der sog. negative Erbvertrag:
Weiterführende Informationen
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 ZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung.
Wirkungen des Erbvertrags
Als Verfügung von Todes wegen zeitigt der Erbvertrag folgende Wirkungen:
- grundsätzlich erstab demAbleben des Erblassers;
- Recht des Erblassers,trotz Abschluss eines Erbvertrages über sein Vermögen lebzeitig frei zu verfügen (vgl. ZGB 494 Abs. 2)
- Dererbvertragsverpflichtete Erblasser kann also Gegenstände, welche zu seinem künftigen Nachlass zählen könnten, grundsätzlich veräussern und / oder verbrauchen.
Literatur
- WOLF STEFAN / HRUBESCH-MILLAUER STEFANIE, Schweizerisches Erbrecht, SjL, Bern 2020, N 897
Judikatur
- BGE 140 III 193 ff.
- BGE 70 II 255 ff.
Weiterführende Informationen
Dem Erbvertrag widersprechende Verfügungen über das Vermögen
Verfügungen von Todes wegen und Schenkungen, welche mit den Verpflichtungen des Erblassers aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterstehen der Anfechtung.
Vgl. ZGB 494 Abs. 3.
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 ZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung.
Anfechtung durch Herabsetzung
Eine Anfechtung von Dispositionen des Erblassers, welche die Rechte des Erbvertragsbedachten verletzen, kann erfolgen:
- nach dem Ableben des Erblassers und
- nach den Bestimmungen zur Herabsetzungsklage (per analogia).
Vgl. ZGB 522 ff.
Weiterführende Informationen
Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen, die dem Erbvertrag widersprechenden
Dem Erbvertrag
- zeitlich nachfolgende und
- ihm widersprechende Verfügungen von Todes wegen
lassen sich mit der Anfechtungsklage grundsätzlich ohne erhebliche Schwierigkeiten aus folgendem Grunde beseitigen:
- Die Dispositionen von Todes wegen sind noch nicht ausgerichtet wie lebzeitige Zuwendungen.
Anfechtung von dem Erbvertrag widersprechenden lebzeitigen Zuwendungen
Anders liegt die Situation bei lebzeitig vollzogenen Zuwendungen wie Schenkungen,
- a. wenn sich der Gegenstand bereits beim Beschenkten befindet.
Anfechtung lebzeitiger Zuwendungen, die dem Erbvertrag widersprechen
Rechtsprechung
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Schenkungen im Prinzip mit dem Erbvertrag vereinbar,
- sofern und soweit dieser nicht – explizit oder implizit –dasGegenteil vorsieht (BGE 70 II 255 ff., Erw.. 2).
Fehlt es an einer Schenkungsfreiheits-Abrede,
- kann ZGB 494 Abs. 3 trotzdessen zur Anwendung gelangen,
- wenn der Erblasser mit seinen Schenkungen offensichtlich
- seine Verpflichtungen aus dem Erbvertrag zu untergraben versucht und daher vorliegt:
- ein Rechtsmissbrauch (ZGB 2 Abs. 2)
- eine Schädigung des Erbvertragspartners (vgl. BGer 71/2001 vom 28.09.2001, Erw. 3b, a.E.; vgl. auch BGE 140 III 193 ff., Erw. 2.1).
- seine Verpflichtungen aus dem Erbvertrag zu untergraben versucht und daher vorliegt:
- wenn der Erblasser mit seinen Schenkungen offensichtlich
Kritik der Lehre / Handeln des Gesetzgebers
Diese Judikatur wurde durch einen Teil der Lehre kritisiert, weshalb das Korrekturanliegen vom Gesetzgeber aufgenommen wurde:
- Mit der Revision wird die heutige Rechtsprechung obsolet (vgl. BotschaftErbrecht, S. 5884)
aZGB 494
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 aZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung.
Art. 2 ZGB
1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2 Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
Neues Recht
Anpassung der Definition des Erbvertrags
Nach dem neuen Erbrecht unterliegen Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, der Anfechtung, sofern und soweit sie:
- mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag unvereinbar sind,
-
- namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
- im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.
Vgl. nZGB 494 Abs. 3.
Art. 494 Abs. 3 nZGB
3 Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie:
1. mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
2. im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.
Paradigmenwechsel
Die Erbrechtsrevision führt zu einen eigentlichen Paradigmenwechsel:
- Bisher:
- Grundsätzliche Schenkungsfreiheit
- Neu:
- Grundsätzliches Schenkungsverbot.
aZGB 494
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 aZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen jedoch der Anfechtung.
nZGB 494
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 nZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie:
1. mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
2. im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.
nZGB 494 Abs. 3 wirft neue Fragen auf
Die Neuredaktion von nArt. 494 Abs. 3 ZGB durch den Gesetzgeber wirft neue Fragen auf:
- Konkrete Bedeutung der Beschreibung
- «mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar»
- Umfang der Beschreibung
- «Zuwendungen unter Lebenden»
- Erbvertragserbe erwirbt eine überschuldete Erbschaft
- In concreto wird aufgrund von nZGB 494 Abs. 3 zu differenzieren sein, welche Vertragsart vorliegt?
- Positiver Erbvertrag:
- Negativer Erbvertrag:
- In concreto wird aufgrund von nZGB 494 Abs. 3 zu differenzieren sein, welche Vertragsart vorliegt?
nZGB 494 Abs. 3 ist dispositives Recht
Die Norm von nZGB 494 Abs. 3 bildet dispositives Recht:
- Abweichung von der Norm möglich
- Erbvertragsparteien können vom Wortlaut des Gesetzes in nZGB 494 Abs. 3 abweichen.
- Massgebend ist der Parteiwille der Erbvertragsparteien.
- Will der Erblasser auch nach Abschluss des Erbvertrages in Bezug auf seine Dispositionsfähigkeit frei bleiben und Zuwendungen unter Lebenden und / oder Verfügungen von Todes wegen ganz oder teilweise frei vornehmen können, so erfordert dies
- Eine entsprechende redaktionelle Ausgestaltung des Erbvertrags mit entsprechendem Vorbehalt (vgl. nZGB 494 Abs. 3 Ziffer 2).
- Will der Erblasser auch nach Abschluss des Erbvertrages in Bezug auf seine Dispositionsfähigkeit frei bleiben und Zuwendungen unter Lebenden und / oder Verfügungen von Todes wegen ganz oder teilweise frei vornehmen können, so erfordert dies
- Abweichung von der Norm erfordert eine ausdrückliche Abrede im Erbvertrag
- Sollen lebzeitige Zuwendungen und / oder Verfügungen von Todes wegen nach Erbvertragsschluss grundsätzlich weiterhin möglich bleiben, sollte dies zur Vermeidung einer Anfechtung im öffentlich vor zwei Zeugen zu beurkundenden Erbvertrag ausdrücklich geregelt sein.
nZGB 494
H. Erbverträge
I. Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag
Art. 494 nZGB
1 Der Erblasser kann sich durch Erbvertrag einem andern gegenüber verpflichten, ihm oder einem Dritten seine Erbschaft oder ein Vermächtnis zu hinterlassen.
2 Er kann über sein Vermögen frei verfügen.
3 Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie:
1. mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
2. im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.
Übergangsrecht
Das neue Recht wird auf bestehende Erbverträge anwendbar sein (SchlTzZGB 16 Abs. 3):
- Diese Übergangsregelung erscheint rechtlich als zweifelhaft, wird doch von Gesetzes wegen nachträglich („Rückwirkung“) in Erbverträge eingegriffen und bei deren Abschluss nicht bestehende Schranken aufgestellt.
- Es ist daher denkbar, dass ein ursprünglich ausgewogener Erbvertrag durch das Übergangsecht der Erbrechtsrevision als unausgewogen erscheint und nicht mehr dem Parteiwillen der Erbvertragsparteien entspricht.
Im Moment gehen die Autoren von der Geltung der vorbeschriebenen Übergangsordnung aus.
Unverändert
II. Verfügungen von Todes wegen
Art. 16
1 Eine vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgte Errichtung oder Aufhebung einer Verfügung von Todes wegen kann, wenn sie nach dem Recht, das zur Zeit ihrer Errichtung gegolten hat, von einem verfügungsfähigen Erblasser errichtet worden ist, nicht deshalb angefochten werden, weil der Erblasser nach dem Inkrafttreten des neuen Rechtes gestorben ist und nach dessen Bestimmungen nicht verfügungsfähig gewesen wäre.
2 Eine letztwillige Verfügung kann wegen eines Formmangels nicht angefochten werden, wenn die Formvorschriften beobachtet sind, die zur Zeit der Errichtung oder des Todes gegolten haben.
3 Die Anfechtung wegen Überschreitung der Verfügungsfreiheit oder wegen der Art der Verfügung richtet sich bei allen Verfügungen von Todes wegen nach den Bestimmungen des neuen Rechtes, wenn der Erblasser nach dessen Inkrafttreten gestorben ist.
Fazit
Die Anwartschaft des Erbvertragsbedachten wird mit dem im neuen Erbrecht vorgesehenen (dispositiven) „grundsätzlichen Schenkungsverbot“ gestärkt.
Bei vorbestandenen Erbverträgen, in welchen die Abrede zur alt-rechtlichen Schenkungsfreiheit fehlt, kann durch das neue Recht nachträglich die Leistungsparität verletzt und für die einen Vertragsparteien stossend sein.
Noch komplexer wird die Situation, wenn eine Vertragspartei unter altem Recht verstorben ist und eine klärende erbvertragliche Abrede nicht mehr möglich ist.
Die Rechtsprechung wird hier helfen müssen.
Weiterführende Informationen
- Erbrechtsrevision im ZGB (1. Reformetappe)
- Neue Gesetzesbestimmungen
- Chronologie
- Revision der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge (2. Reformetappe)
- Revision der technischer Anliegen (3. Reformetappe)
- Reform des Internationalen Erbrechts (IPRG)