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Auftragsrecht

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Vorausverzicht auf die Ablieferung von Retrozessionen

Datum:
22.12.2023
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Auftrag / Auftragsrecht, Retrozession
Thema:
Retrozessionen
Stichworte:
Ablieferung von Retrozessionen, Vorausverzicht
Autor:
RA Urs Bürgi
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

von
RA Urs Bürgi, Inhaber des Zürcher Notar-, Grundbuch- und Konkursverwalter-Patentes,
Bürgi Nägeli Rechtsanwälte, Zürich

Einleitung

Der Regelfall ist, dass Retrozessionszahlungen an den Kunden des Vermögensverwalters herauszugeben sind, v.a. dann, wenn der Kunde über den Anfall solcher Zahlungen nicht informiert wurde.

Seit einem Leitentscheid des Bundesgerichts von 2006 kann ein Kunde auf die Abführung solcher Gelder rechtsgültig verzichten.

Rechenschaftspflicht

Gemäss OR 400 Abs. 1 ist der Beauftragte – auch bei einem gemischten Vertrag aus Hinterlegungsvertrag und Auftrag – verpflichtet, auf Verlangen über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm aus irgendeinem Grund zugekommen ist, offenzulegen und zu erstatten.

Ablieferungspflicht

Die Ablieferungspflicht betrifft

  • neben den Vermögenswerten, welche der Beauftragte direkt vom Auftraggeber zur Erfüllung des Auftrags erhalten hat,
  • auch indirekte Vorteile, welche dem Beauftragten infolge seiner Auftragsausführung von Dritten zugekommen sind.

Herausgabe – ausser Honorar

Der Beauftragte soll durch die Auftragsausführung – abgesehen von seinem Honorar – weder gewinnen noch verlieren:

  • Der Beauftragte hat daher alle Vermögenswerte herausgeben, welche mit der Auftragsausführung in einem sog. «inneren Zusammenhang» stehen.
  • Der Beauftragte darf nur behalten, was er lediglich bei Gelegenheit der Auftragsausführung, ohne «inneren Zusammenhang» mit der Auftragsausführung von Dritten erhalten hat 1).

Treupflicht-Einhaltung

Die Ablieferungspflicht garantiert dem Auftraggeber folgendes:

  • Die Einhaltung der Treuepflicht gemäss OR 398 Abs. 2;
  • die Interessenwahrungsprävention des Auftraggebers, dass der Beauftragte trotz der Zuwendung des Dritten die Auftraggeberinteressen ausreichend wahrt 2).
  • die klare Zuordnung der vermögenswerten Positionen von Auftraggeber und Beauftragtem, wie es bei einer blossen Konto-/Depotbeziehung im Vordergrund steht 3).

Anforderungen an den Herausgabeverzicht

Auf die Ablieferungspflicht gemäss OR 400 kann der Berechtigte grundsätzlich verzichten.

Die Gültigkeit eines solchen Verzichts setzt jedoch folgendes voraus;

  • Der Auftraggeber muss
    • über die zu erwartenden Retrozessionen vollständig und wahrheitsgetreu informiert sein und
    • sein Wille, auf deren Ablieferung verzichten sollte, aus der Vereinbarung entsprechend deutlich hervorgehen 4).
  • Damit der Auftraggeber das Quantitativ der zu erwartenden Retrozessionen erfassen und dem vereinbarten Honorar gegenüberstellen kann, muss er
    • zumindest die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten kennen;
    • die Grössenordnung der zu erwartenden Rückvergütungen kennen 5);
    • die Möglichkeit haben, sich ein Bild über die gesamte Entschädigung des Beauftragten machen zu können 6).

Gültiger Verzicht

Die Rechtsprechung verlangt für einen gültigen Verzicht auf die Herausgabe von Retrozessionen folgendes:

  • Der Auftraggeber muss die Höhe der Retrozession in Relation zum verwalteten Vermögen abschätzen können.
  • Eine Prozentangabe auf Basis des investierten Vermögens wird vom Bundesgericht als ungenügend erachtet 7), was allerdings nur für die Vermögensverwaltung gelten kann, verwaltet doch der Auftraggeber bzw. Bankkunde bei einer blossen Konto-/Depotbeziehung (Execution-only-Verhältnis) sein Vermögen selbst.
    • In sog. «Execution-only-Verhältnissen» kann daher einzig die Investitionssumme als Basis für die Angabe der Grössenordnung von Retrozessionen zu Grunde gelegt werden 8).

Zeitpunkt des Verzichts bei «Execution-only-Verhältnissen»

Laut Bundesgericht ist bei sog. «Execution-only-Verhältnissen» der Zeitpunkt des Verzichts zu berücksichtigen, d.h. insbesondere auch, ob bei Übernahme der Allgemeinen Bankbestimmungen (AGB) bereits feststeht, in welche Anlagen der Auftraggeber investieren wird.

Die Bank bzw. der Vermögensverwalter wird dem Auftraggeber meistens eine Übersichtstabelle (auch: «Bandbreitentabelle») vorlegen, in welcher die Bandbreiten der Entschädigungen nach Produktkategorien aufgelistet sind, damit der Auftraggeber einen besseren Überblick erhält über:

  • die dem/der Beauftragten insgesamt zufliessenden Entschädigungen;
  • die Gesamtkosten der Konto-/Depotbeziehung.

Der «Execution only»-Kunde sollte mit einer solchen «Bandbreiten-Tabelle» vor Übernahme der AGB bzw. vor Abgabe der Verzichtserklärung hinreichend genau berechnen können, wie hoch

  • allfällige Retrozessionen maximal ausfallen;
  • die gesamte der/dem Beauftragten zufliessenden Entschädigung für das Führen der Konto-/Depotbeziehung ausfällt 9).

Jedenfalls muss der Auftraggeber für einen Vorausverzicht auf Retrozessionen informiert entscheiden können.

Fazit

Für ein gültigen Verzicht auf die Herausgabe der im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung erhaltenen Retrozessionen sind die vorstehenden Ausführungen bzw. Voraussetzungen zu beachten.

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1) BGE 137 III 393, Erw. 2.1; BGE 132 III 460, Erw. 4.1
2) BGE 138 III 755, Erw. 5.3; BGE 137III 393, Erw. 2.3
3) Handelsgericht des Kantons Zürich, HG190234 vom 05.10.2021, E. 3.2
4) BGE 132 III 460, Erw. 4.2
5) BGE 137 III 393, Erw. 2.4
6) Handelsgericht des Kantons Zürich, HG190234 vom 05.10.2021, E. 3.2
7) BGer 4A_355/2019 vom 13.05.2020, Erw. 3.1 und 3.2
8) AGGTELEKY TOBIAS, Zivil- und aufsichtsrechtliche Verhaltenspflichten beim Execution-only-Geschäft, Diss. 2022, S. 233 Rz 526
9) Obergericht des Kantons Zürich, Urteil vom 12.07.2023 (NP230015)

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