Der Erblasser kann zu Lebzeiten über sein Vermögen frei disponieren. Abgesehen von erwachsenenschutz-rechtlichen Massnahmen ist der Erbe gegen Verbrauch, Misswirtschaft und unentgeltliche Rechtsgeschäfte zu Lebzeiten des Erblassers machtlos.
ZGB 527 bietet dem Pflichteilserben nach Ableben des Erblassers ein – wenn auch nicht absolut umfassendes – Korrekturmittel gegen die im Gesetzeswortlaut unter Ziff. 1 – 4 erwähnten lebzeitigen Zuwendungen.
Art. 527 ZGB
3. Bei Verfügungen unter Lebenden
a. Fälle
Der Herabsetzung unterliegen wie die Verfügungen von Todes wegen:
1. die Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil, als Heiratsgut, Ausstattung oder Vermögensabtretung, wenn sie nicht der Ausgleichung unterworfen sind;
2. die Erbabfindungen und Auskaufsbeträge;
3. die Schenkungen, die der Erblasser frei widerrufen konnte, oder die er während der letzten fünf Jahre vor seinem Tode ausgerichtet hat, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke;
4. die Entäusserung von Vermögenswerten, die der Erblasser offenbar zum Zwecke der Umgehung der Verfügungsbeschränkung vorgenommen hat.
Voraussetzungen
Lebzeitige Zuwendungen sind nur in folgenden Fällen herabzusetzen:
- Herabsetzung der Verfügungen von Todes wegen reicht für Wiederherstellung der Pflichtteile nicht aus
- Lebzeitige Zuwendungen unterliegen bei der Herabsetzung nur im Umfange der noch vorhandenen Bereicherung der Rückerstattungspflicht (vgl. ZGB 528)
- Die Person des Zuwendungsempfänger ist ohne Bedeutung
- Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Bewusstseins des präsumtiven Erblassers, seine Verfügungsfreiheit zu überschreiten, ist ohne Relevanz
- Ausnahme: Umgehungsgeschäfte (vgl. ZGB 527 Ziff. 4)
- Der Zuwendungszeitpunkt ist ohne Belang
- Ausnahme: Schenkungen (vgl. ZGB 527 Ziff. 3).
Judikatur
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- BGE 145 III 1 ff. (gemischte Schenkung + Herabsetzung / Beweis des Schenkungswillens)
- BGer 5A_629/2015
- BGer 5A_802/2014
- BGer 5A_662/2009
Weiterführende Informationen
Numerus clausus
Der Numerus clausus der lebzeitigen Zuwendungen wird durch ZGB 527 Ziff. 1 – 4 bestimmt:
- Zuwendungen mit Erlass der Ausgleichungspflicht (ZGB 527 Ziff. 1)
- Erbauskäufe (ZGB 527 Ziff. 2)
- Schenkungen (ZGB 527 Ziff. 3)
- Umgehung der Verfügungsbeschränkung (ZGB 527 Ziff. 4).
Nicht erfasste Vermögensverminderungen
Vermögensminderungen, die der Ausgleichung unterliegen
Keine Herabsetzungspflicht bei unverzinslichen Darlehen an Kinder
- Die Gewährung unverzinslicher Darlehen an Kinder
- ist nicht nach ZGB 527 Ziff. 1 herabsetzungspflichtig;
- unterliegt nicht der Ausgleichungspflicht nach ZGB 626 Abs. 2.
- vgl. BGE 136 III 305 ff.
Herabzusetzende Zuwendungen
- Zuwendungen mit Erlass der Ausgleichungspflicht (ZGB 527 Ziff. 1)1
- Nicht der Ausgleichung unterliegende Zuwendungen auf Anrechnung an den Erbteil als Heiratsgut, Ausstattung und Vermögensabtretung (ZGB 626)
- Erbvorbezug
- Gemischte Schenkung
- Erbauskäufe (ZGB 527 Ziff. 2)
- Schenkungen (ZGB 527 Ziff. 3)
- frei widerrufbare Schenkungen (Ausnahme: Gelegenheitsgeschenke)
- Gebrauchsleihe
- Erfüllung einer sittlichen Pflicht
- Umgehungsgeschäfte (ZGB 527 Ziff. 4)2
1 Die Beweislast für den Erbvorbezugs-Charakter einer Zuwendung hat der die Herabsetzung beantragende Pflichtteilserbe (vgl. BGE 76 II 188, Erw. 3).
2 Die Beweislast der Umgehungsabsicht trägt der die Herabsetzung verlangende Pflichtteilserbe, auch für solche Zuwendungen, die mehr als 5 Jahre vor dem Tode des Erblassers stattfanden.