In Lehre und Rechtsprechung werden bei der Ungültigkeit 2 Rechtsfolgen unterschieden:
Anfechtbarkeit (Grundsatz)
Grundsätze der Anfechtbarkeit
Die Anfechtbarkeit einer Verfügung von Todes wegen
- ist nur auf Antrag zu beachten
- wirkt
- nur gegenüber dem/den Beklagten
- ex nunc (ab jetzt bzw. von nun an)
- begründet einen verwirkbaren Ungültigkeitserklärungs-Anspruch.
Anfechtungsgründe
Der Grundsatz „favor testamenti“ [im Zweifel soll der Bestand des Testaments begünstigt werden] führt dazu, dass bei heilbaren Situationen eher auf Fortbestand der Verfügung, auf Anfechtbarkeit und auf eine Befristung des Klagerechts geschlossen wird.
Der Anfechtung zugeordnet werden daher folgende (heilbaren) Mängel:
- Mangelhafte Verfügungen von Todes wegen
- Unsittlichkeit und Rechtswidrigkeit im Erbrecht (im Gegensatz zur Nichtigkeitsfolge von OR 20 im Allgemeinen)
Nichtanfechtung
Eine nicht rechtzeitige Anfechtung lässt die mangelhafte Verfügung gültig werden.
Zur zeitlichen Beschränkung des Klagerechtes vgl.
- Verwirkung-Anfechtbarkeit.
Nichtigkeit (Ausnahme)
Grundsätze der Nichtigkeit
Die Nichtigkeit einer Verfügung von Todes wegen
- ist von Amtes wegen zu beachten
- wirkt
- gegenüber jedermann
- ex tunc (von Anfang an, rückwirkend)1
- begründet einen unverjährbaren Feststellungsanspruch.
Nichtigkeitsgründe
Folgende (unheilbaren) Tatbestände bewirken eine Nichtigkeit der Verfügung2:
- extreme Verfügungsunfähigkeit
- extreme Rechts- oder Sittenwidrigkeit
- Verfügungen zugunsten erbunwürdiger oder erbunfähiger Personen
- physischer Zwang oder Drohung gegen den Erblasser
- unmöglicher Inhalt
- Absenz eines Testierwillens des Erblassers
- Dokumente, die keine Verfügungen von Todes wegen sind
- extreme Formmängel
Nichtigkeits-Beispiele
- Unmöglicher Inhalt:
- Vererbung fremden, unerreichbaren Eigentums
- Dokumente ohne schlüssigen Inhalt
- kein zielführender Inhalt
- Unklarheiten
- Widersprüche
- Absenz eines Testierwillens des Erblassers:
- Fremde Dokumente (Verfügungen, die nicht vom Erblasser stammen)
- Gefälschtes Testament
- Dokumente, die keine Verfügungen von Todes wegen sind:
- Schreibmaschinen-Entwürfe
- Scherztext
- Unmissverständlich widerrufenes Testament
- Extreme Formmangel:
- Missachtung der erbrechtlichen Verfügungsform (zB ununterzeichnetes „Schreibmaschinen-Testament“)
Judikatur
- BGE 132 III 319 f., Erw. 2.2 (testamentarische Einsetzung einer erbunwürdigen Person nach ZGB 540 Abs. 1 Ziff. 3: Nichtigkeit [nicht Ungültigkeit])
- BGE 131 III 603 f., Erw. 3.1 = Pra 95 / 466, Erw. 3.1 (nur teilweise von Erblasser verfasstes Testament)
- BGE 108 II 407 f., Erw. 2a = Pra 72 / 235, Erw. 2b (Nichtigkeit eines Vorvertrages auf Abschluss eines Erbvertrages)
- BGE 98 II 80, Erw. 3a („Handführungs-Testament“)
- BGE 96 II 273 ff. (Nichtigkeit einer erbvertraglich errichteten Stiftung)
- BGE 90 II 479 f., Erw. 2 (Vermächtnis ohne sachenrechtliche Verfügungsbefugnis)
- BGE 89 II 184 (Nichtigkeit eines nicht bestimmbaren Vermächtnisses)
Teilnichtigkeit
Gestützt auf die Ungültigkeitsklage, ZGB 7 iVm OR 20 Abs. 2 kann das Gericht auch auf blosse Teilnichtigkeit erkennen.
Art. 7 ZGB
D. Allgemeine Bestimmungen des Obligationenrechtes
Die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes1 über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge finden auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse.
Art. 20 OR
II. Nichtigkeit
1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2 Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
Judikatur
Konversion
Auch bei nichtigen Verfügungen ist aufgrund des Grundsatzes „favor testamenti“ und des hypothetischen Willens (Testament) bzw. Parteiwillens (Erbvertrag) zu prüfen, ob die Möglichkeit zu einer Konversion [Umdeutung des nichtigen in ein gültiges Rechtsgeschäft] besteht.
Judikatur
Geltendmachung der Nichtigkeit in irgend einem Verfahren
Die Nichtigkeit kann nicht nur in einer Ungültigkeitsklage, sondern in jedem beliebigen Prozess geltend gemacht werden:
- Erbschaftsklage (ZGB 598 ff.)
- Vermächtnisklage (ZGB 601)
- Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit
- Herabsetzungsklage (ZGB 522)
- Erbteilungsklage (ZGB 604)
Zulässig ist auch bei entsprechenden Voraussetzungen eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit.
Die Nichtigkeitsklage kann auch mit anderen Klageverfahren kombiniert werden:
- Erbschaftsklage (ZGB 598 ff.)
- Vermächtnisklage (ZGB 601)
- Erbteilungsklage (ZGB 604)
Nichtigkeitseinrede
Selbstverständlich ist auch (in jedem beliebigen Prozessverfahren) die Nichtigkeitseinrede zulässig.
1 Nichtige Rechtsgeschäfte entfalten keinerlei Wirkungen; daher Wirkung ex tunc (von Anfang an).
2 Auch nichtige Verfügungen sind dem Eröffnungsrichter (ZGB 556 Abs. 1) einzureichen und zu eröffnen bzw. mitzuteilen (ZGB 557 f.), kann doch erst später über Nichtigkeit, blosse Teilnichtigkeit oder Konversion bzw. favor testamenti entschieden werden.