OR 337; OR 321b; OR 82; ZGB 895
Sachverhalt
„… A.________ (Kläger, Beschwerdeführer) trat per 1. Mai 2011 mit einem Arbeitspensum von je 50 % als Technischer Leiter in den Dienst der B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) und der C.________ AG. In den beiden Arbeitsverträgen wurde unter Ziffer 1 «Vertragsbeginn» unter anderem festgehalten, dass «ein analoger und gekoppelter Arbeitsvertrag für die 50 % Technischer Leiter bzw. Geschäftsführer» für die jeweils andere Unternehmung erstellt werde. «Diese Aufteilung erfolgt aus internen Gründen. Beide Unternehmen haften solidarisch für die integrale Erfüllung der beiden Anstellungsverträge.»
Mit Schreiben vom 27. Juli 2011 kündigte die C.________ AG das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger in der Probezeit unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von einer Woche. Mit E-Mail vom 29. Juli 2011 hielt D.________, einziger Verwaltungsrat der Beklagten und der C.________ AG, gegenüber dem Kläger fest, dass «der nun seit Mittwoch 27.7.2011 vorliegende Arbeitsvertrag von Dir » nicht dem unterzeichneten Arbeitsvertrag entspreche. Er enthalte viele geänderte Punkte, die er niemals unterschrieben habe. Er stelle damit den Arbeitsvertrag in Abrede und akzeptiere ihn in keiner Weise.
Mit Urteil vom 12. August 2011 wurde über die C.________ AG der Konkurs eröffnet.“
„… Der Kläger setzte der Beklagten mit Schreiben vom 5. September 2011 Frist an, um ihm «100 % Lohn» für August 2011 zu überweisen. Zugleich hielt er «der guten Ordnung halber» fest, dass er «seinen Arbeitsvertrag zu 100 % in der B.________ AG erfülle». Die Beklagte antwortete, der Arbeitsvertrag mit der C.________ AG sei aufgelöst worden und das Arbeitspensum mit der Beklagten betrage 50 %. Dafür sei ihm der Augustlohn ausbezahlt worden.
Am 21. September 2011 und 12. Oktober 2011 betrieb der Kläger die Beklagte für den nach seiner Auffassung noch ausstehenden August- und Septemberlohn. Die Beklagte erhob Rechtsvorschlag.“
„… Mit Schreiben vom 12. Oktober 2011 forderte die Beklagte den Kläger unter anderem zur Übergabe von zurückbehaltenen Ausmassen auf, insbesondere die aktuellsten Ausmasse der Baustelle E.________. Sie setzte ihm dazu Frist an bis zum 14. Oktober 2011. Eine zweite Abmahnung unter Androhung der fristlosen Kündigung erging am 14. Oktober 2011. Der Kläger wies die Abmahnung und die Androhung der fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 16. Oktober 2011 vollumfänglich zurück. Am 19. Oktober 2011 setzte die Beklagte dem Kläger eine «allerletzte Frist, den abgemahnten Verpflichtungen nachzukommen bis Freitag 21.10.2011 um 11:00 Uhr», widrigenfalls sie sich veranlasst sehe, ihm fristlos zu kündigen.
Der Rechtsvertreter der Beklagten teilte dem Kläger am 21. Oktober 2011 mit, die beiden Arbeitsverträge würden wegen absichtlicher Täuschung und Grundlagenirrtum angefochten und für ungültig erklärt. Er kündigte die Arbeitsverhältnisse sodann «rein vorsorglich» fristlos und stellte dem Kläger Strafanzeigen wegen Urkundenfälschung und allenfalls Nötigung in Aussicht.
Das Bezirksgericht Hinwil sprach den Kläger am 30. Oktober 2014 wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung, Nötigung und Datenbeschädigung frei. Den Freispruch bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 22. Oktober 2015. Auf die dagegen erhobene Beschwerde der Beklagten trat das Schweizerische Bundesgericht mit Urteil 6B_284/2016 vom 25. Mai 2016 nicht ein.“
History
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Bezirksgericht Hinwil
- „… Am 31. Mai 2012 reichte der Kläger am Bezirksgericht Hinwil (Arbeitsgericht) Klage gegen die Beklagte ein. Er forderte die Bezahlung von 50 % des Bruttolohns für die Monate August und September 2011, von 100 % Bruttolohn für den Monat Oktober 2011, eine Ersatzleistung für die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten und den anteilsmässigen 13. Monatslohn, jeweils zuzüglich den in den Rechtsbegehren spezifizierten Spesen, Zinsen und Sozialabgaben. Sodann sei die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung zu zahlen. Sie habe ihm ein Arbeitszeugnis mit dem im Rechtsbegehren genannten Wortlaut auszustellen. Zudem seien die beiden Rechtsvorschläge zu beseitigen, ihm sei die provisorische Rechtsöffnung für die verlangten Beträge zu erteilen und die Beklagte sei zu verpflichten, ihm die Kosten der Zahlungsbefehle zu bezahlen.
Mit Urteil vom 22. August 2017 hiess das Arbeitsgericht die Klage grösstenteils gut. Es verpflichtete die Beklagte, dem Kläger den 50 % Bruttolohn für die Monate August und September 2011 von jeweils Fr. 6’740.– (Ziff. 1 und 2) zu leisten, den 100 % Bruttolohn für den Monat Oktober 2011 von Fr. 13’480.– (Ziff. 3), die Ersatzleistung für die Einhaltung der ordentlichen Kündigung von sechs Monaten über Fr. 53’256.90 (Ziff. 4), jeweils zuzüglich Spesen und Zins sowie Sozialabgaben. Sodann verpflichtete das Arbeitsgericht die Beklagte, dem Kläger den 13. Monatslohn von Fr. 13’480.– zuzüglich Zins und Sozialabgaben (Ziff. 5) und eine Entschädigung für die ungerechtfertigte, fristlose Kündigung von Fr. 26’960.– zu zahlen (Ziff. 6). Das Arbeitsgericht erteilte sodann die definitive Rechtsöffnung für die beiden Betreibungen (Ziff. 7 und 8) und verpflichtete die Beklagte dem Kläger ein Arbeitszeugnis mit dem im Dispositivziffer 9 spezifizierten Wortlaut aus- und zuzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab (Ziff. 10).“
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Obergericht des Kantons Zürich
- „… Dagegen erhob die Beklagte Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses merkte mit Beschluss und Urteil vom 16. November 2018 vor, dass die Dispositivziffer 10 des Urteils des Arbeitsgerichts in Rechtskraft erwachsen sei. Das Obergericht hiess die Berufung der Beklagten sodann in ihrem 135-seitigen Urteil grösstenteils gut. Es erwog, die fristlose Kündigung vom 21. Oktober 2011 sei mit dem Zurückbehalten verschiedener Ausmasse begründet worden, insbesondere derjenigen der Baustelle E.________. Es sei daher in erster Linie zu prüfen, ob der Kläger Ausmasse der Baustelle E.________ trotz Abmahnung durch die Beklagte nicht herausgegeben habe. Entgegen der Erstinstanz sei es als erstellt zu betrachten, dass der Kläger das Ausmass der Baustelle E.________ bis am 21. Oktober 2011, 11.00 Uhr, nicht an die Beklagte ausgehändigt habe, obwohl er mehrfach dazu aufgefordert worden sei. Er habe dadurch seine in Art. 321b Abs. 2 OR geregelte Herausgabepflicht verletzt. Er könne sich dabei weder auf Art. 82 OR noch auf Art. 895 ZGB berufen. Der Kläger habe dadurch einen wichtigen Grund gesetzt, der die Beklagte zur fristlosen Kündigung nach Art. 337 Abs. 1 OR berechtige. Die Beklagte habe dem Kläger somit Lohn bis zur fristlosen Kündigung am 21. Oktober 2011 zu bezahlen. Da der Kläger nicht nachzuweisen vermöge, dass er ab dem 6. August 2011 zu 100 % bzw. zu mehr als 50 % für die Beklagte tätig gewesen sei, schulde ihm diese nur den vereinbarten 50 % Lohn bis am 21. Oktober 2011. Schliesslich gelänge dem Kläger der Beweis der Echtheit der ersten drei Seiten der Arbeitsverträge nicht.
Entsprechend verpflichtete das Obergericht die Beklagte, dem Kläger Fr. 4’648.30 (50 % Bruttolohn für den 1. bis 21. Oktober 2011) zuzüglich Spesen, Zins und Sozialabgaben (Ziff. 1) und den anteilsmässigen 13. Monatslohn von Fr. 3’195.70 zuzüglich Zins und Sozialabgaben zu bezahlen (Ziff. 2). Es verpflichtet die Beklagte, dem Kläger ein Arbeitszeugnis mit dem in der Dispositivziffer 3 spezifizierten Wortlaut aus- und zuzustellen. Im Übrigen wies das Obergericht die Klage ab (Ziff. 4) und regelte die Kosten- und Entschädigungsfolgen (Ziff. 5 – 10).“
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Bundesgericht
- „… Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Beschwerdeführer Beschwerde in Zivilsachen. Er beantragte, es seien die Dispositivziffern 1, 2, 4, 6, 7, 9 und 10 des Urteils des Obergerichts aufzuheben und es seien die folgenden Rechtsbegehren des Beschwerdeführers gutzuheissen: Die Beschwerdegegnerin sei zur Bezahlung von 50 % des Bruttolohns für die Monate August und September 2011 über jeweils Fr. 6’740.– zu verpflichten, von 100 % Bruttolohn für den Monat Oktober 2011 von Fr. 13’480.–, eine Ersatzleistung für die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten von Fr. 53’256.90 und den 13. Monatslohn von Fr. 13’480.–, jeweils zuzüglich den im Rechtsbegehren spezifizierten Spesen, Zinsen und Sozialabgaben. Sodann sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung von Fr. 26’960.– zu zahlen. Zudem seien die beiden Rechtsvorschläge zu beseitigen und ihm sei die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. …“
Erwägungen des Bundesgerichts
Die Vorinstanz erwog zutreffend,
- der Arbeitnehmer habe trotz dreimaliger Aufforderung das Ausmass für die Baustelle nicht abgeliefert,
- obwohl OR 321b Abs. 2 die sofortige Herausgabe erfordert hätte
- [in der Baubranche würden die Mengen der zuEinheitspreisen erbrachten Bauleistungen, je nach den Bedingungen des Werkvertrags
- entweder nach dem tatsächlichen Ausmass ermittelt —durch Messen, Wägen oder Zählen —
- oder nach dem plangemässen theoretischen Ausmass berechnet];
- dass der Arbeitnehmer als technischer Leiter zu besonderer Treue gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet sei;
- dass die Kündigung aus einem wichtigen Grund im Sinne von OR 337 erklärt worden sei;
- dass dem Arbeitnehmer weder ein Retentionsrecht nach ZGB 895, noch ein Leistungsverweigerungsrecht nach OR 82 bezüglich den zurückgehaltenen Ausmassunterlagen zustehe;
- dass sich der Arbeitnehmer nicht auf OR 82 berufen könne, da es sich bei den Ausmassunterlagen um nicht verwertbare Urkunden handle;
- dass das obligatorische Retentionsrecht wie dasjenige nach ZGB 895 die Verwertbarkeit des Retentionsobjekts voraussetze;
- dass im zu beurteilenden Fall die Retentionsvoraussetzungen nicht gegeben seien, weil nur die Arbeitsleistung, nicht aber das Arbeitsergebnis zur [hier ausstehenden] Lohnzahlung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stünde.
Entscheid
- Die Beschwerde wurde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.
- (Gerichtskosten)
- (Entschädigung der Beschwerdeführerin an den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren).
- (Mitteilungen)
BGer 4A_56/2018 vom 15.03.2019
(ex Obergericht des Kantons Zürich, Urteil vom 16.11.2018)
Weiterführende Informationen
IV. Fristlose Auflösung
Art. 337
1 Aus wichtigen Gründen kann der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer jederzeit das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen; er muss die fristlose Vertragsauflösung schriftlich begründen, wenn die andere Partei dies verlangt.196
2 Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf.
3 Über das Vorhandensein solcher Umstände entscheidet der Richter nach seinem Ermessen, darf aber in keinem Fall die unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung als wichtigen Grund anerkennen.
III. Rechenschafts- und Herausgabepflicht
Art. 321b
1 Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber über alles, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit für diesen von Dritten erhält, wie namentlich Geldbeträge, Rechenschaft abzulegen und ihm alles sofort herauszugeben.
2 Er hat dem Arbeitgeber auch alles sofort herauszugeben, was er in Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit hervorbringt.
Art. 82
Wer bei einem zweiseitigen Vertrage den andern zur Erfüllung anhalten will, muss entweder bereits erfüllt haben oder die Erfüllung anbieten, es sei denn, dass er nach dem Inhalte oder der Natur des Vertrages erst später zu erfüllen hat.
Art. 895
1 Bewegliche Sachen und Wertpapiere, die sich mit Willen des Schuldners im Besitze des Gläubigers befinden, kann dieser bis zur Befriedigung für seine Forderung zurückbehalten, wenn die Forderung fällig ist und ihrer Natur nach mit dem Gegenstande der Retention in Zusammenhang steht.
2 Unter Kaufleuten besteht dieser Zusammenhang, sobald der Besitz sowohl als die Forderung aus ihrem geschäftlichen Verkehr herrühren.
3 Der Gläubiger hat das Retentionsrecht, soweit nicht Dritten Rechte aus früherem Besitze zustehen, auch dann, wenn die Sache, die er in gutem Glauben empfangen hat, nicht dem Schuldner gehört.
Quelle
LawMedia Redaktionsteam