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Öffentlich-rechtliche Forderungen: Inskünftig Konkurs- statt Pfändungsbetreibung

Datum:
02.06.2023
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Betreibungsrecht, Konkursrecht (Generalexekution), Steuer- und Abgaberecht, Strafrecht
Thema:
Öffentlich-rechtliche Forderungen: Wechsel von der Pfändungs- zur Konkursbetreibung
Stichworte:
Konkursbetreibung, Öffentlich-rechtliche Forderungen, Pfändungsbetreibung
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Aufhebung von Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG

Einleitung

Nach längeren Beratungen hatte das Parlament 2022 das Bundesgesetz zur Bekämpfung des Konkursmissbrauchs verabschiedet.

Der nachfolgende Beitrag beschränkt sich auf den Aspekt der Zwangsvollstreckungsänderung für öffentlich-rechtliche Forderungen. Auf die bevorstehenden weiteren Gesetzesänderungen wird nur eingegangen, sofern und soweit sie Einfluss auf das rechtliche Inkasso öffentlich-rechtlicher Ansprüche hat.

Bisheriges Recht

Im bisherigen Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG ist vorgesehen, dass die Konkursbetreibung ausgeschlossen ist für Forderungen aus öffentlichem Recht.

Diese Einschränkung hatte zur Folge, dass Schuldner, welche ansonsten der Betreibung auf Konkurs unterliegen, für öffentlich-rechtliche Forderungen auf Pfändung zu betreiben sind.

Für öffentlich-rechtliche Geldforderungen sind somit – unter Ausschluss der Konkursbetreibung – ausschliesslich anwendbar:

  • die Betreibung auf Pfändung, und

falls ein (gesetzliches) Pfandrecht besteht,

  • die Betreibung auf Pfandverwertung.

Damit eine Betreibung auf Pfändung bzw. auf Pfandverwertung anstatt auf Konkurs fortgesetzt wird, ist nebst des Bestehens einer nach öffentlichem Recht begründeten Forderung weiters vorausgesetzt:

  • Der Gläubiger muss ein Rechtssubjekt des öffentlichen Rechts sein.

Letztlich liegt eine Durchbrechung des Prinzips der Gleichbehandlung der Gläubiger öffentlichen und privaten Rechts vor.

Aufhebung von Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG

Das Parlament hat 2022 entschieden, die Ausnahmen von Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG aufzuheben.

Gesetzesänderungen

Die Anpassung der erwähnten Gesetze wurde veröffentlicht in:

  • BBl 2022 702.

Das Gesetzgebungsvorhaben hat die Änderung von Gesetzesbestimmung in mehreren Gesetzen zur Folge:

  • Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
  • Schweizerischen Obligationenrecht (OR)
  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Militärstrafgesetz (MStG)
  • Strafregistergesetz (StReG)
  • Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (BdBSt)

Die einzelnen Änderungen können nachgelesen werden im

  • Bundesgesetz über die Bekämpfung des missbräuchlichen Konkurses (Änderung des Obligationenrechts, des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs, des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzes, des Strafregistergesetzes und des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer):




Fundamentaler Konzeptwechsel

Der Wechsel von der Betreibung auf Pfändung für öffentlich-rechtliche Forderungen auf Betreibung auf Konkurs ist ein gravierender Konzeptwechsel:

  • Bisher
    • Auch im Handelsregister eingetragene Unternehmen konnten für Forderungen der öffentlichen Hand nur auf Pfändung betrieben werden.
      • Gesetzliche Grundlage
        • Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG
    • Dadurch wurden die Regeln der Spezialexekution angewandt:
    • Ausnahmeregelung im Interesse des Schuldners.
    • Fortbestand des Unternehmens trotz Betreibung.
  • Neu
    • Die Zwangsvollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen gegenüber Unternehmen ist der Geltendmachung zivilrechtlicher Forderungen gleichgestellt.
    • Die Aufhebung der Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG bewirkt, dass die Regeln über die Generalexekution Anwendung finden werden:
      • Alle Aktiven werden zur möglichsten Deckung aller Passiven bzw. Schulden liquidiert.
    • Liquidation des Unternehmens.

Ziele des Gesetzgebers

Der Konzeptwechsel soll ermöglichen:

  • Eine Bekämpfung der Konkursmissbräuche
  • die Vollstreckung von Strafurteilen mit einem Tätigkeitsverbot für fehlbare Organe
  • die Behörden-Koordination.

Überschiessende Gesetzes-Ausgestaltung

Das betreffende Gesetz ist deutlich tituliert:

  • Bundesgesetz über die Bekämpfung des missbräuchlichen Konkurses

Die Aufhebung von Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG geht aber wesentlich weiter:

  • Sie wird nicht nur diejenigen Unternehmen treffen, die absichtlich oder vorsätzlich durch Nichtbezahlung öffentlich-rechtlicher Forderungen den Staat schädigen, sondern auch jene, die unabsichtlich staatliche Ansprüche nicht tilgen bzw. unverschuldet oder leistungsschwach in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind.
  • Letztlich wird Politik betrieben:
    • Strukturpolitik
      • Schwache Unternehmen sollen wegrationalisiert und starke dadurch stärker gemacht werden.
    • Aufwand- und Administrationspolitik
      • Der Staat soll sich nur noch mit Schuldnern befassen müssen, die die Steuern und Abgaben tilgen können.
    • Ausschluss des Ermessens + Billigkeit
      • Der Wechsel zur Konkursbetreibung lässt dem Grundsatz kein Ermessen und Billigkeit zu.
  • Keine Berücksichtigung exogen-nachteiliger Einflussfaktoren:
    • Covid-19-Ursachen
    • Manchmal reicht Arbeitsamkeit und umsichtiges Wirtschaften nicht aus, zB wenn die Konkurrenz mit kartell- bzw. wettbewerbsrechtlichen Massnahmen oder gar mit strafrechtlichen Mitteln wie Bestechung usw. Marktanteile abgräbt und ein Unternehmen so in die Spirale der Unternehmenskrise treibt:
    • Produktionsanlagen oder Tochtergesellschaften in instabilen Ländern
    • Branche mit Lieferkettenschwierigkeiten
    • Verwerfungen in den internationalen Märkten des Kreditnehmers
    • Fachkräftemangel
    • Annahmen / zu erwarten:
      • Ablehnung einer Erneuerung von bei der Credit Suisse (CS) aufgenommener Kredite
        • zB kurzfristige Refinanzierung langfristiger Kredite durch die CS
        • zB Annahme eines Doppelrisikos, weil Kreditnehmer bereits bei UBS finanziert
        • zB Gesamtrisiko-Beurteilung
        • usw.
      • Schwierigkeiten beim Finden eines schweizerischen Kreditgebers für ein internationales Vorhaben
    • etc.

Inkrafttreten der neuen Regeln

Der Zeitpunkt des Inkrafttretens ist noch nicht bekannt.

Übergangsrecht?

Aus den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Bekämpfung des missbräuchlichen Konkurses vom 18.03.2022 sind keine Übergangsregeln erkennbar.

Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrat (BR) den Inkraftsetzungszeitpunkt so ansetzen wird, dass das neue Recht sofort anwendbar ist.

Für die im Inkrafttretens-Zeitpunkt hängigen Betreibungen aus öffentlich-rechtlichen Forderungen ist es derzeit noch unklar, ob das bisherige Ausnahme-Regime der Betreibung auf Pfändung bzw. Pfandverwertung weitergilt.

Planung

Nicht nur die hievor erwähnten Gesetzesänderungen, sondern die Verwerfungen in Wirtschaft und Markt, verlangen nach einer Standortbestimmung mit Effizienz-Check.

Gedacht werden sollten v.a. an:

  • HR-Anmeldung des Revisionsverzichts
    • die neuen Pflichten aus Art. 727a Abs. 2 zweiter Satz und 2bis nOR (siehe oben)
      • wonach beim Revisionsverzicht dem Handelsregisteramt die «Jahresrechnung des zuletzt abgelaufenen Geschäftsjahres» eingereicht werden müssen;
        • Berücksichtigung des Umstandes bei der Jahresrechnungs-Planung und im Nächstjahresbudget;
    • die jeweiligen «Vorjahresrechnungen», aus den sich inskünftig entnehmen lassen:
      • Handlungsbedarf für eine sog. Aktienrechtliche Sanierung»
        • BNRAE 9-news: Gesellschaftsrecht / Konkurs Aktienrechtsrevision und sog. Aktienrechtliche Sanierung
      • Pflichtverletzung der Organe
  • Liquiditätsplanung
    • Erforderlich ist für öffentlich-rechtliche Forderungen mit beachtlichem Quantitativ eine Liquiditätsplanung
      • Budget
      • Teilzahlungsplan
      • Rückstellungsplan
  • Ratenzahlungsvereinbarung
    • Falls erforderlich empfiehlt sich der Abschluss eine Teilzahlungsabrede mit den betreffenden Staatsstellen,
      • sofern und soweit gesetzlich möglich oder zulässig
  • Unternehmenssanierung

Fazit

Auch wenn Art. 43 Ziff. 1 und 1bis SchKG eigentlich systemwidrig war und die neue Regelung dem Prinzip folgt, dass für die der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldner neu die Generalexekution des gesamten Vermögens zur Deckung aller Gläubiger zu erfolgen hat, ist eine Zäsur bei angeschlagenen Unternehmen zu erwarten.

Sorgfältige und pflichtbewusste Organe eines liquiditätsschwachen Unternehmens sollten sich möglichst bald den sich durch die Gesetzesänderung ergebenden Herausforderungen stellen.

Quelle

LawMedia Redaktionsteam

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