Die Frage des „wichtigen Grundes“ ist in allen Streitigkeiten über fristlose Entlassungen das zentrale Prozessthema.
Prozessführung | |
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Beweislast bei wichtigem Grund | BGE 128 III 271 E. 2 |
Richterliches Ermessen
Die Beurteilung der Umstände, welche dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden darf, wird ins Ermessen des Gerichts gestellt.
Dabei hat das Gericht im Sinne von ZGB 4 nach Recht und Billigkeit zu entscheiden. Entsprechend ist die Rechtsprechung kasuistisch geprägt.
Typus der Gründe
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine fristlose Entlassung nur gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitnehmer hat zu schulden kommen lassen:
- „besonders schwere Verfehlungen“;
- trotz Verwarnung wiederholt weniger schwere Verfehlungen.
Bei Arbeitgeberkündigungen wird ein wichtiger Grund nur mit Zurückhaltung angenommen. – Im Zweifelsfall wird angenommen, dass es für den Arbeitgeber zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen und bis dahin weiterzuführen.
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Mit der Verwarnung rügt der Arbeitgeber ein bestimmtes Arbeitnehmerverhalten und droht ihm konkrete Konsequenzen an.
Einzelne Gründe
Umstände, die wichtige Gründe bilden bzw., die die Vertrauensbasis im Arbeitsverhältnis zerstören:
- Straftaten
- am Arbeitsplatz, ausser Bagatellfälle
- kein wichtiger Grund: private Straftaten ohne Auswirkung auf Arbeitsfähigkeit
- bewusst wahrheitswidrige Angaben eines Direktionsmitglieds im Vorstellungsgespräch
- vgl. BGE 4A_569/2010 vom 14.02.2011 = ARV 2011, S. 108
- Verletzung der Arbeitsleistungspflicht
- in der Regel nur im verwarnten Wiederholungsfalle
- Verletzung der Präsenzpflicht
- Eigenmächtiger Ferienbezug (vgl. OR 329c Abs. 2)
- Verlassen der Arbeitsstelle nach OR 337d
- kurzfristige unentschuldigtes Fernbleiben
- nur im verwarnten mehrmaligen Wiederholungsfalle
- keine wichtigen Gründe:
- unentschuldigte oder unglaubwürdige unverschuldete Verhinderung
- Missachtung von Arbeitgeberweisungen
- bei wichtiger, legaler Weisung
- Treuepflicht-Verletzungen
- Abwerbung
- Verhalten gegenüber Arbeitskollegen und Kunden
- Fristlose Kündigung: sofern andere Mittel ausgeschöpft sind
- Beeinträchtigung des Arbeitgeberimages
- Schmiergeld-Annahme
- kein wichtiger Grund: Gelegenheitsgeschenk
- Schwarzarbeit.
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Kasuistik: Fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber
Die Kasuistik ist wie einleitend festgehalten, vielfältig. Im folgenden PDF finden Sie eine Übersicht über die Bundesgerichtsentscheide zu wichtigen (und nicht wichtigen) Gründen einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber:
Kasuistik der wichtigen oder nicht wichtigen Gründe für eine fristlose Kündigung durch den ARBEITGEBER |
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Gegenstand |
Quelle |
Entscheid Wichtiger Grund |
Schwerwiegende Drohungen gegen einen Arbeitskollegen, sodass dieser die Polizei zu Hilfe rufen musste |
BGE 127 II 351 E. 4b/dd |
Ja |
Bauarbeiter zerbrach Flasche auf Tisch des Vorgesetzten, sodass sich dieser bedroht fühlte |
BGE 4C.9/1994 |
Nein |
Beleidigung der ihm zur Seite gestellten Ehefrau des Direktors (Spionin, Paranoide, „alte Haut“) |
BGE 4C.215/1988 |
Ja |
Verletzung der Verschwiegenheitspflicht in Altersheim (Darstellung der Zustände in der Presse, unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Heimbewohner) |
BGE 123 III 257 |
Ja |
ANerin, die den Vorgesetzten während einer Auseinandersetzung in den Arm beisst. |
BGE 4C.400/2005 |
In casu Nein |
Mehrmalige sexuelle Belästigung von MA durch einen MA |
BGE 4A.238/2007 |
Ja |
Inhaltlich ungenügende Arbeitsleistungen (noch altrechtlich) |
BGE 97 II 142 E. 2b S. 147 |
Nein |
Berufliche Unfähigkeit eines Bankangestellten, der leichtfertig Kundenkonten eröffnete |
BGE 4C.379/1995 E. 2d |
Nein (Vermeidung neuer Fehler durch Weisungen + org. Massnahmen > ordentl. KF) |
Sozialarbeiter vernachlässigte trotz org. Massnahmen die Postabwicklung für Heiminsassen mit dem Ergebnis, dass diese ihre Rechtsmittelfristen verpassten |
BGE 4C.115/1993 E. 3c |
Ja |
Zeitungslektor, der trotz früherer Verwarnung eine Pressemitteilung mit einer eigenen Bemerkung versah |
BGE 108 II 444 |
Ja |
Nebenbeschäftigung am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit (Eigen- und drittnützige Arbeiten), ohne vorgängige Verwarnung |
BGE 4C.173/2003 |
Nein |
Gerechtfertigter Streik / keine Verletzung der Präsenz- und Arbeitspflicht |
BGE 125 III 277 |
Nein |
ANer, der ohne das Wissen seines Vorgesetzten, dessen gesamte elektronische Post in seinen eigenen elektronischen Briefkasten umgeleitet hat. |
BGE 130 III 28 E. 3 u. 4 |
Ja |
Anästesiepfleger, der unerlaubt (in schwerwiegender Pflichtverletzung) seinen Arbeitsplatz verliess |
BGE 4A_215/2011 |
Nein |
ANer, der ohne Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist |
BGE 4C.90/1992 |
Nein |
ANer (Kranführer), der nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Bauleiter und der ordentlichen Kündigung sich weigerte, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als Hilfsarbeiter im Werkhof weiterzuarbeiten |
BGE 4C.212/1992 |
Nein |
Eigenmächtiger Ferienbezug nach mehrmaliger Terminverweigerung |
BGE 4C.291/1995 / Pra 1996 Nr. 224 S. 874 |
Nein |
Eigenmächtiger Ferienbezug am Jahresende, da ANer wegen AGer während Jahr keine 2 Wochen zusammenhängend Ferien beziehen konnte |
BGE 4C. 270/1999 E. 2 |
Nein |
Arbeitsverweigerung wegen zu langen Arbeitsweges und zu langer Arbeitszeit, trotz Erwähnung im Pflichtheft des ANers und vorgängiger Verwarnung |
BGE 4C.464/1999 E. 3 |
Ja |
Missachtung der Arbeitszeit durch mehrmaliges Fälschen der Stempelkarte |
BGE 4C.149/2002 |
Ja |
ANerin, die ohne Ankündigung – jedoch unverschuldet – einige Tage von der Arbeit fern bleibt. |
BGE 4C.244/2000 |
Nein, weil keine Verwarnung mit klarer Androhung der fristlosen Kündigung vorangegangen ist. |
ANerin, die wegen Krankheit von der Arbeit fern bleibt. |
BGE 4C.413/2004 |
Nein, AGer muss ANer/in zuerst erfolglos aufgefordert haben entweder ein Arztzeugnis einzureichen oder die Arbeit wieder aufzunehmen. |
ANerin, die vom Arzt krank geschrieben wurde und entsprechend nicht zur Arbeit erscheint. Gleichzeitig aber einer anderen Tätigkeit nachgeht. |
BGE 4A.140/2009 E. 5 ähnlicher Fall: BGE 4C.339/2006 |
Nein |
Lastwagenfahrer, der einen Berufskollegen für eine Fahrt hätte ersetzen sollen und dabei die Weisung verletzte |
BGE 127 III 153 |
Nein |
Versand von e-mails mit pornografischem Inhalt an externen Bekannten |
BGE 127 III 310 |
Nein |
ANerin missachtet mündliche u. schriftliche Weisungen des AGers sowie „Berufs-Richtlinien“. |
BGE 4A.496/2008 |
Ja |
FH-Lehrer mit Plagiat-Manuskript |
BGE 4C.89/1995 v.22.02.1992
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Ja |
Mitarbeiter Abwerbung bzw. Bewegung eine Drittstelle bei der Konkurrenz anzunehmen |
BGE 4C.433/1991 v.23.01.1992 |
Ja |
Unrichtige Spesenabrechnung |
BGE 116 II 149 ff. |
Nein |
ANer suchen per Zeitungsinserat eine Stelle, obwohl sie erst kurz zuvor ihre auf 2 Jahre befristete Stelle angetreten hatten |
BGE 117 II 560 |
Nein |
Handelsreisender, der wegen eines länger dauernden Kundenbesuchs einen internen Besprechungstermin absagte |
BGE 4C.159/1995 E. 2c und d |
Nein |
Abwerbung anderer ANer für eine zu gründende Gesellschaft |
BGE 104 II 28 E. 2 S. 30 |
Ja |
ANer gründet Einzelfirma, um sich einige Monate später selbständig zu machen |
BGE 117 II 72 |
Nein |
Geschäftsführer eines Coiffeursalons, der in unmittelbarer eigenen Salon zu eröffnen plant, selber hiezu ordentlich kündigte und alle beim ehemaligen AGer beschäftigten Coiffeusen, die ebenfalls ordentlich kündigten, dort inskünftig beschäftigen will |
BGE 123 III 257 |
Ja |
Respektloses Vorgehen eines Lehrlings gegen Kunden, Vorgesetzten und Arbeitskollegen trotz mehrmaliger mündlicher und schriftlicher Abmahnungen |
BGE 4C.111/1997 |
Ja |
Geschäftsführer eines Hotels erhält von Lieferant 3 Flaschen Wein (Gelegenheitsgeschenk) |
BGE 4C.49/1997 E. 3 |
Nein |
Bankangestellter, der 12 Flaschen Wein von einem Bankkunden erhält (Gelegenheitsgeschenk) |
BGE 4C.379/1995 |
Nein |
Annahme einer Kommission von USD 170’000 ohne Wissen des Arbeitgebers (auch ohne Schädigung des AGers) |
BGE 4C.17/1992 E. 3b/bb |
Ja |
Schwarzarbeit eines Lastenwagenchauffeurs während Ferien (keine konkurrenzierende Tätigkeit, keine Vereitelung des Erholungszweckes) |
BGE 4C.210/1996, Pra 1997, 670 |
Nein |
Modeschöpferin konkurrenziert Arbeitgeberin in Wettbewerben |
BGE 4C216/1995, E. 3 und 4 |
Ja |
ANer, der VR-Mandat für Drittunternehmen annimmt (keine nennenswerte Konkurrenzierung) |
BGE 4C.85/1996 |
Nein |
Bank-Vizedirektor, der ohne Bewilligung des AGers VR-Mandat annahm (wegen neutraler Kreditpolitik schutzwürdiges Interesse an der Beachtung der Bewilligungspflicht) |
BGE 4C.246/1994 |
Ja |
ANerin, die mit dem Ehemann der AGerin ein Verhältnis hat. |
BGE 129 III 380 E. 2 u. 3 |
In casu nein, grds. aber möglich, dass dabei ein wichtiger Grund vorliegt |
Veranlassung einer rechtsgrundlosen Gutschrift zu Lasten der AGerin u. zu Gunsten einer anderen Konzerngesellschaft |
BGE 130 III 213 E. 3 |
Nein, unzulässig weil vorgängige Abmahnung fehlt. |
Verschweigen einer Straftat im Bewerbungsverfahren zur Stelle als Zolldirektorin |
BGE 132 II 161 E. 4 |
Nein, bereits Willensmangel und folglich Nichtigkeit des Vertrages |
Beschimpfung des AGers durch ANer |
BGE 4C.154/2006 E. 2 |
Ja |
AN (Geschäftsführer), der Waren der AGers für private Zwecke bezogen hat sowie eine auf den AGer registrierte Internet-Domain auf eine Drittgesellschaft überträgt, an der er finanziell beteiligt ist. |
BGE 4C.317/2006 |
Ja |
Absichtliche Zerstörung des Transportstuhls eines Rettungswagens durch AN. Nutzung des Notfallhandys für private Zwecke während 4 Monaten. |
BGE 4C.364/2005 |
Nein, in casu unnötig. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Frist der ordentlichen Kündigung ist zumutbar. |
ANer der ausserhalb der Arbeit Drogen konsumiert.
Ausserdem Verdacht des AGers, dass AN am Arbeitsort Drogen konsumiert. (Frage der Zulässigkeit einer Verdachtskündigung). |
BGE 4C.112/2002 E. 3 ff. |
Bei Drogenkonsum ausserhalb der Arbeit: in casu nein, grds. aber kann ein wichtiger Grund vorliegen, der rechtfertigt ohne vorgängige Abmahnung fristlos zu kündigen.
Bei Verdacht: in casu nein, da im vorliegenden Fall der Drogenkonsum des ANers keine fristlose Kündigung zulässt |
Anmassung der Zeichnungsberechtigung bzw. Bereitschaft Dritten die Eingehung von namhaften finanziellen Verpflichtungen durch den Arbeitgeber vorzutäuschen |
BGE 4A_346/2011 |
Ja |
Straftaten |
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Verletzung der Arbeitsleistungspflicht |
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Verletzung der Präsenzpflicht |
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Missachtung von Arbeitgeberweisungen |
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Treuepflicht-Verletzungen |
Fristlose Kündigung: Kasuistik der wichtigen Gründe (PDF, 79 KB)
Nachschieben von Gründen
Das Nachschieben von Kündigungsgründen ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zulässig (BGE 127 III 310, Erw. 4/a, BGE 124 III 25, Erw. 3/c, BGE 121 III 467, Erw. 5/a).
Als Kündigungsgründe können nur Umstände nachgeschoben werden, die sich vor der fristlosen Kündigung ereigneten und im Zeitpunkt der fristlosen Kündigung weder bekannt waren noch bekannt sein konnten. Der nachgeschobene Grund hat zudem einen hinreichenden Vertrauensverlust zu bewirken (vgl. BGE 4A_109/2016 vom 11.08.2016).
Literatur
Erfordernis der Ähnlichkeit des nachgeschobenen Grundes mit jenem im Kündigungsschreiben, laut Lehre
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, N. 19 zu 337 OR
- BRÜHWILER JÜRG, Einzelarbeitsvertrag, 3. Aufl. 2014, N. 14 zu 337 OR
- AUBERT GABRIEL, in: Commentaire romand, Code des obligations I, 2. Aufl. 2012, N. 14 zu 337 OR
- PORTMANN WOLFGANG /RUDOLPH ROGER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, N. 10 zu 337 OR
- PORTMANN WOLFANG /STÖCKLI JEAN-FRITZ, Schweizerisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2013, S. 226 Rz. 772
Judikatur
- BGE 127 III 310, Erw. 4/a
- BGE 124 III 25, Erw. 3/c
- BGE 121 III 467, Erw. 5/a
- BGE 4A_109/2016 vom 11.08.2016