Die Verrechnung einer Konkursforderung bzw. Nachlassforderung mit einer Forderung des Gemeinschuldners im Kollokationsverfahren ist grundsätzlich zulässig.
Voraussetzungen allgemein
Zivil- und konkursrechtliche Voraussetzungen für eine Verrechnung bilden:
- Gegenseitigkeit der Forderungen
- Durchsetzbarkeit der Verrechnungsforderung
- Fälligkeit
- Klagbarkeit
- Verrechnungsfähigkeit in konkursrechtlicher Hinsicht
- Erfüllbarkeit der Hauptforderung
- Gleichartigkeit der Leistungen
Es gelten grundsätzlich die Regeln von OR 120 ff.
Konkursrechtliche Voraussetzungen
- vor Konkurseröffnung bzw. Bewilligung der Nachlassstundung mussten die gleichen Personen berechtigt gewesen sein [vgl. SchKG 213]
- Verrechnung im Kollokationsverfahren
- Grundsatz
- Verrechnung durch den Konkursgläubiger bei der Kollokation (siehe unten)
- Verrechnung durch die Konkursverwaltung bzw. den Nachlassliquidator bei der Kollokation (siehe unten)
- Verwaltung darf die Verrechnung nicht auf ein späteres Stadium des Konkurses verschieben; es ist ihr – abgesehen von Ausnahmen – verwehrt, solche Forderungen im Verteilungsstadium mit der Dividendenschuld zu verrechnen [vgl. BGE 83 III 71 Erw. 3]
- Ausnahmen
- Ebene Konkursforderung
- Verrechnungslage trat – aus irgendwelchen Gründen – erst nach Rechtskraft des Kollokationsplans ein
- Forderungsrückzession in die Konkursmasse nach Rechtskraft des Kollokationsplans (zB Rückzession von Forderungen aus einer Globalzession, die die (Haus-)Bank nicht mehr weiterverfolgt) > Zulässigkeit der Verrechnung noch im Verteilungsstadium mit der Konkurs- bzw. Nachlassforderung (und nicht mit der Dividendenschuld; vgl. BGE 83 III 67 ff.
- Ebene Massaforderung / Massaschuld
- Konkursverwaltung bzw. Nachlassliquidator verrechnen die Aktiven-Forderung (Massaforderung) mit der Dividendenschuld der Masse (Massaschuld)
- Ebene Konkursforderung
- Grundsatz
- Verrechnungserklärung
- durch Konkursgläubiger oder
- durch Konkursverwaltung
Im Einzelnen
Verrechnung durch den Konkursgläubiger
- Ausgangslagen und Forderungsanmeldung
- Fall 1
- Vor Konkurseröffnung bzw. Bewilligung der Nachlassstundung bestandene, verrechenbare Forderungen; Gläubiger verrechnet in der Forderungseingabe und macht nur den Saldo nach Verrechnung als Konkurs- bzw. Nachlassforderung geltend
- Fall 2
- Gläubiger lässt sich nach Konkurseröffnung bzw. Bewilligung der Nachlassstundung abtreten, verrechnet in der Forderungsanmeldung und macht, obwohl die Verrechnung unzulässig ist, den Saldo nach Verrechnung als Konkurs- bzw. Nachlassforderung geltend
- Fall 1
- Verrechnungszweckmässigkeit
- Konkurs- bzw. Nachlassgläubiger hofft, die Verrechnungsforderung nicht bezahlen zu müssen; die Konkursmasse habe weder den Mut noch die Mittel für eine Aktiv-Klage und trete die Verrechnungsforderung gemäss SchKG 260 an die Gläubiger ab, die dann ihrerseits untätig bleiben würden
- Nichteinverständnis der Konkursverwaltung
- Verwaltung hat die Verrechnung des Gläubiger zuzulassen und die Restforderung – vorausgesetzt sie bestand oder besteht noch – im Saldobetrag zu kollozieren
- infolge des Antragsprinzips kann die Konkursverwaltung bzw. der Nachlassliquidator nicht den Bruttobetrag zulassen [vgl. auch BGE 71 III 185]
- im Unterliegensfall kann der Konkurs- bzw. Nachlassgläubiger den Betrag der nicht erlaubten Verrechnung zur nachträglichen Kollokation nachanmelden (infolge Vereitelung der Verrechnung und Tilgung im ordentlichen Prozess lebt der ursprünglich zur Verrechnung erklärte Teilbetrag wieder auf); vgl. hiezu BGE 45 III 245 f, BGE 56 III 248, BGE 103 III 12 etc.
- Masse klagt vor dem ordentlichen Richter in eigenem Namen und auf eigene Rechnung gegen den Schuldner des Gemeinschuldners (der zugleich im Kollokationsverfahren Konkurs- bzw. Nachlassgläubiger ist)
- Verwaltung hat die Verrechnung des Gläubiger zuzulassen und die Restforderung – vorausgesetzt sie bestand oder besteht noch – im Saldobetrag zu kollozieren
- Verbreitung
- Häufiger Fall 1
- Seltener Fall 2
- Fazit
- Die vom Konkursgläubiger der Konkursmasse gegenüber erklärte Verrechnung kann nie Prozessgegenstand des Kollokationsprozesses bilden!
Verrechnung durch die Konkursverwaltung bzw. den Nachlassliquidator
- Ausgangslage und Forderungsanmeldung
- Vor Konkurseröffnung bzw. Bewilligung der Nachlassstundung bestandene, verrechenbare Forderungen; Konkursverwaltung bzw. Nachlassliquidator verrechnet im Rahmen einer Kollokationsverfügung und lässt im Kollokationsplan nur den Saldo nach Verrechnung als Konkurs- bzw. Nachlassforderung zu
- Verrechnungszweckmässigkeit
- Konkursverwaltung bzw. Nachlassliquidator verrechnen, weil zB die Verrechnung effektiver ist als die separate Geltendmachung als Aktiv-Position auf dem ordentlichen Prozessweg
- Geringfügige Verrechnungsforderung, ev. als Teil einer wesentlich umfangreicheren Anspruchs (zB Verantwortlichkeitsansprüche)
- Schuldner der Verrechnungsforderung ist eine Konkursmasse (mit schlechterer Dividendenprognose als im eigenen Konkursverfahren)
- Schlechte Bonität des Schuldners der Verrechnungsforderung
- etc.
- Konkursverwaltung bzw. Nachlassliquidator verrechnen, weil zB die Verrechnung effektiver ist als die separate Geltendmachung als Aktiv-Position auf dem ordentlichen Prozessweg
- Nichteinverständnis des Konkursgläubigers
- Konkursgläubiger hat Kollokationsklage zu erheben und die Verrechnungseinrede der Konkursverwaltung bzw. des Nachlassliquidators zu bestreiten
- Auseinandersetzung zwischen der Masse und dem klagenden Konkursgläubiger auch bezüglich zB Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit
- Vgl. AB GE in BlSchK 1983, 185 f.
- Prüfung durch und Gefahren für den Konkursgläubiger
- Prüfung der Verhältnismässigkeit, namentlich bei höheren Gegenforderungen der Masse (zB Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit in weit höherem Betrag)
- Quantitativ der durch Verrechnung untergehenden Forderung des Konkursgläubigers
- Vorfrageweise Prüfung des materiell-rechtlichen Anspruchs durch den Kollokationsrichter
- zB Geltendmachung Lohnforderung / Qualifikation als Kadermitarbeiter / Prüfung Verantwortlichkeitsansprüche
- zB Geltendmachung von VR- oder Revisions-Honoraren / Prüfung Verantwortlichkeitsansprüche, mit Relevanz für den auf dem ordentlichen Prozessweg durch die Verwaltung geltend zu machenden weiteren Betrag der Verantwortlichkeitsschuld
- Prüfung der Verhältnismässigkeit, namentlich bei höheren Gegenforderungen der Masse (zB Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit in weit höherem Betrag)
- Auseinandersetzung zwischen der Masse und dem klagenden Konkursgläubiger auch bezüglich zB Ansprüche aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit
- Konkursverwaltung bzw. Nachlassliquidator hat im Kollokationsprozess die Verrechnungsberechtigung der Masse nachzuweisen
- Konkursgläubiger hat Kollokationsklage zu erheben und die Verrechnungseinrede der Konkursverwaltung bzw. des Nachlassliquidators zu bestreiten
- Verbreitung
- Seltener Fall; normalerweise verrechnet die Konkursverwaltung bzw. der Nachlassliquidator nicht, weil so auf die Verrechnungssumme nur (je nach Fall aber immerhin) die Konkursdividende bzw. Nachlassdividende erhältlich gemacht wird
- Häufigster Fall: Verrechnung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegen die Forderungen anmeldenden Organe
Weiterführende Informationen
Prozesslage bzw. -argumente im Detail
- Grundsätzlich sagt die Kollokation einer Forderung nichts über die Frage der materiell-rechtlichen (Art. 123 OR) oder vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen der Verrechnung (Art. 213 f., Art. 297 Abs. 4 SchKG) aus. Darüber hat der Richter, der sich im Streitfall mit der Gegenforderung der Masse befasst (und in welchem Prozess der Beklagte voraussichtlich die Verrechnungseinrede erheben wird), zu entscheiden; der Richter ist weder an die Kollokationsverfügung, noch an ein sonstiges Ergebnis des Kollokationsverfahrens gebunden.
- Verrechnet die Konkursverwaltung ausnahmsweise erst im Rahmen der Verteilung (BGE 83 III 71 ff.; BGE 7B.18/2006 vom 24.04.2006, Erw. 4.1), ist eine rechtskräftige Kollokation notwendig, da die Dividendenzahlung nur auf eine rechtskräftig zugelassene Forderung stattfinden darf (SchKG 261).
Verrechnungsverbote
- SchKG 213 und SchKG 214
Verrechnungsanfechtung
- SchKG 285 ff.
- Paulianische Anfechtung