Gesetzliche Grundlage
- OR 322d
Art. 322d OR
4. Gratifikation
1 Richtet der Arbeitgeber neben dem Lohn bei bestimmten Anlässen, wie Weihnachten oder Abschluss des Geschäftsjahres, eine Sondervergütung aus, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, wenn es verabredet ist.
2 Endigt das Arbeitsverhältnis, bevor der Anlass zur Ausrichtung der Sondervergütung eingetreten ist, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf einen verhältnismässigen Teil davon, wenn es verabredet ist.
Gratifikationsanlässe
Die Gratifikation bildet eine Sondervergütung, die neben dem Lohn aus bestimmten Anlässen ausgerichtet wird:
- Ostern
- Weihnachten
- Abschluss des Geschäftsjahres
Zahlungsgründe
- Belohnung für geleistete Arbeit
- Ansporn zu künftigem Arbeitseinsatz.
Gratifikationsanspruch
Der Arbeitnehmer
- hat einen Anspruch auf die Gratifikation, wenn es verabredet ist (OR 322d Abs. 1)
- hat beim Austritt aus dem Unternehmen des Arbeitgebers vor Ausrichtung der Gratifikation nur einen „Pro-rata-Anspruch, wenn es ausdrücklich verabredet ist (OR 322d Abs. 2).
Rechtsnatur
Gemäss BGE 129 III 278 liegt eine Gratifikation nur vor, wenn
- ihre Ausrichtung überhaupt (= echte Gratifikation)
- zumindest die Bestimmung ihrer Höhe ins Ermessen des Arbeitgebers gestellt ist (= unechte Gratifikation).
Vorbehaltslos zugesicherter Anspruch
- Es besteht keine Gratifikation, sondern ein Lohnbestandteil.
Ermessen des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber
- ist trotz seines Ermessens in der Gratifikationen-Ausrichtung nicht völlig frei
- hat zu beachten:
- den Gleichbehandlungsgrundsatz
- Differenzierung der Gratifikationen in Bestand und Höhe an die einzelnen Arbeitnehmer nur nach sachlichen Gesichtspunkten (Leistung, Dienstjahre usw.)
- das Diskriminierungsverbot gemäss GlG 3
- den Gleichbehandlungsgrundsatz
Ausrichtung bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses
Ist das Arbeitsverhältnis zum Arbeitnehmer bereits beendet, so
- entfällt eine Gratifikationen-Ausrichtung mangels anderer Vereinbarung (OR 322d Abs. 2)
Befindet sich der Arbeitnehmer in gekündigtem Verhältnis, so
- kann die Gratifikation bezüglich des Teils, der Ansporn für künftige Tätigkeit bilden soll, herabgesetzt werden;
- ist der Anteil der Gratifikation, der Belohnung für bereits geleistete Dienste darstellt, auszurichten, sofern die Gratifikation für diesen Fall nicht vertraglich völlig wegbedungen ist.
Trotz Arbeitsverweigerung Gratifikation
- Ein Arbeitnehmer, der wegen ständig verspäteter Lohnzahlungen seines Arbeitgebers die Arbeit verweigert, hat dennoch Anspruch auf die vertraglich zugesicherte Gratifikation zum Jahresende
- Quelle: BGE 4A_122/2010 vom 26.05.2010
Wiederholte Gratifikationen können Rechtsanspruch bewirken
Aus der freiwilligen und vorbehaltslosen Zahlung von Gratifikationen können sich nach Lehre und Rechtsprechung mit der Zeit Rechtsansprüche ergeben:
- 3 malige, ununterbrochene und vorbehaltslose Ausrichtung schafft Anspruch auf entsprechende künftige Gratifikationszahlungen (BGE 129 III 278)
- Rechtsgrund: Betriebsübung als stillschweigende Kollektiv- bzw. Einzelvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern
ACHTUNG: Keine Gratifikationenleistung ohne stets zu wiederholendem Freiwilligkeitsvorbehalt
- Arbeitgeber tun gut daran, bei jeder Gratifikationsleistung (Mitteilung + im Zahlungsvermerk des Vergütungsauftrags) seinen Freiwilligkeitsvorbehalt anzubringen
- Text immer wieder leicht modifizieren, da Rechtsprechung (BGE 129 III 280 f.) teilweise geltend macht, der Freiwilligkeitsvorbehalt sei zu einer leeren Floskel verkommen und daher unbeachtlich (Standpunkt von der Lehre teils abgelehnt).