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Gesellschaftsrecht / Vertretungsrecht

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AG-Vertretung durch faktisches Organ?

Datum:
30.01.2020
Rubrik:
Gerichtsentscheide / Rechtsprechung
Rechtsgebiet:
Gesellschaftsrecht, Vertretungsrecht
Stichworte:
Aktiengesellschaft, Vertretungsrecht, Verwaltungsrat, Vollmacht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

OR 32 ff., OR 458, OR 462, OR 718, OR 722 und ZGB 55 Abs. 2

Einleitung

Das Bundesgericht hatte die Gültigkeitsfrage einer namens der A.________ AG angebrachten bildlichen Unterschrift eines unbekannten faktischen Organs zu klären.

Objet
représentation de la SA (art. 718 et 32 ss CO); organe de fait.

Sachverhalt

Die A.________ AG und die B.________ Inc. schlossen Ende 2010 drei Verträge über den Verkauf und Rückkauf von (veredelten) Rohstoffen, wobei diese weder durch die formellen Organe der jeweiligen Gesellschaft ausgehandelt noch durch diese unterzeichnet:

  • Die ________ Inc. durch den an der Gesellschaft wirtschaftlich Berechtigten
  • Für die ________ AG
    • handelte eine Person, deren Name während des gesamten Prozessverfahrens nicht bekannt wurde,
      • mit einer bildlichen Unterschrift
        • (“signature figurative”), die aus einer grossen Schleife mit drei kleinen Kreisen bestand (“mystérieux signataire à la signature figurative”),
        • auf dem Siegel der ________ AG (“sur le timbre humide de A.”)
      • wurden während des Gerichtsverfahrens Vertragsexemplare eingelegt, auf welchen zusätzlich die Unterschrift ihres einzigen Verwaltungsrats angebracht waren (gemäss den Feststellungen der kantonalen Gerichte soll die Unterzeichnung nach der Unterfertigung durch den geheimnisvollen Unterzeichner erfolgt sein).

Am 28.05.2012 unterzeichneten die A.________ AG und die B.________ Inc. zur Regelung der bei der Erfüllung der drei Verträge entstandenen Schwierigkeiten eine Vereinbarung:

  • Vertragsgegenstand
    • Verpflichtung der ________ AG, der B.________ Inc. einen Betrag von total USD 2’064’464 zu bezahlen
  • Parteivertreter
    • Unterzeichnung für die ________ Inc.
      • der alleinige Geschäftsführer (“unique directeur”)
    • Unterfertigung für die ________ AG
      • der geheimnisvolle Unterzeichner auf dem Siegel der ________ AG,
      • neben welchem der Hinweis “By O.” (dem einzigen Verwaltungsrat der ________ AG) aufgeführt war.

Im anschliessenden Korrespondenzwechsel zwischen der A.________ AG und der B.________ Inc. betreffend den Vollzug der Vereinbarung vom 28.05.2012 unterfertigte wieder der unbekannt gebliebene Unterzeichner die auf dem Briefpapier der A.________ AG verfassten Schreiben.

Erwägungen

Wie zuvor die kantonalen Gerichte, hatte das Bundesgericht die Frage nach der Gültigkeit der namens der A.________ AG angebrachten bildlichen Unterschrift und damit der Gültigkeit ihrer Schuldanerkennung zu klären, berief sich diese doch auf Irrtum bzw. Übervorteilung und machte geltend, die Vereinbarung vom 28.05.2012 sei ungültig.

Die AG wird vertreten:

Vorliegend trat für die AG eine Person mit unbekanntem Namen auf, die

  • auf den Verträgen eine bildliche Unterschrift auf dem Feuchtstempel der AG verwendete.

Der einzige Verwaltungsrat der AG unterzeichnete die Verträge erst nachher (= nachträgliche Genehmigung).

Die Vorinstanz ging mit Blick auf ZGB 55 Abs. 2 und OR 722 in Bezug auf die Person mit der bildlichen Unterschrift

  • von einem faktischen Organ aus.

Für das Bundesgericht beruht die

  • rechtsgeschäftliche Zurechnung von rechtlichen Handlungen der Organe der AG
    • bei internen Beschränkungen der Vollmachten
      • auf dem guten Glauben der Dritten
  • Zurechnung von widerrechtlichen Handlungen der Organe der AG
    • auf dem Verhalten der Organe
      • im allgemeinen Rahmen ihrer Organeigenschaft.

Es ist zu unterscheiden zwischen der

  • vertraglicher Bindung und
  • Haftung

Es kann nicht zugelassen werden, dass ein faktisches Organ die AG verpflichtet.

Angesicht von OR 718 Abs. 1 kann

  • ein Verwaltungsratsmitglied in seinen Befugnissen
    • nicht von einem faktischen Organ verdrängt werden und
  • ein Verwaltungsratsmitglied das Handeln eines faktischen Organs im Namen der AG nicht dulden.

Wenn sich der Allein- oder Mehrheitsaktionär der AG einmischt,

  • ist er nicht ein Organ und
  • kann die AG nicht vertraglich im Sinne von OR 718 binden.

Möglich ist die Haftung für Delikte gemäss OR 722.

Vorliegend kann die Person mit dem unbekannten Namen die AG nicht vertreten.

Da die Vorinstanzen von der irrigen Annahme ausgingen, die A.________ AG sei durch ihr faktisches Organ verpflichtet worden, hatte das Bundesgericht die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zur Beurteilung zurückzuweisen, ob eine Vertretung gemäss OR 32 ff. vorlag.

Entscheid

  • Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen
  • Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und Rückweisung der Sache an sie zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen
  • Auferlegung der Gerichtskosten an die Beschwerdegegnerin, die die Beschwerdeführerin zu entschädigen hat.

Quelle

BGE 4A_455/2018 vom 09.10.2019

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