Die Kantone haften „für allen Schaden …, der aus der Führung des Grundbuchs entsteht“:
Begriff
- Haftung aus Grundbuchführung (Staatshaftung) = Schadenersatzanspruch aus mangelhafter Grundbuchführung
Grundlage
Rechtsnatur
- Verschuldensunabhängige (kausale) Staatshaftung = Kausalhaftung
Haftungssubjekt
- der das Grundbuch führende Kanton
Rechtsbehelf
- Schadenersatzklage gegen den das Grundbuch führenden Kanton
Zuständigkeit
- Ordentliche Gerichte (obwohl es sich um eine Staatshaftung handelt)
- Instanzenzug bis zum Bundesgericht
Legitimation
- Aktivlegitimation
- Wer (Kläger) als direkt Betroffener einen Schaden erlitten hat
- Passivlegitimation
- Kanton, der für die beanstandete Grundbuchführung verantwortlich ist
Voraussetzungen
- Schaden
- Schädigende Handlung
- Grundbuchführung
- Tun oder Unterlassung der Grundbuchorgane
- Tätigkeit in der Grundbuchführerfunktion
- Haftung bei der Führung Papiergrundbuch
- Haftung beim EDV-Grundbuch
- Der Kanton haftet auch für Fehler im EDV-System
- Umfang
- Haftung nicht nur aus Führung des Hauptbuchs, sondern auch der Hilfsregister
- Grundbuchverwalter
- Status des Grundbuchverwalters
- Es spielt keine Rolle, ob der Grundbuchverwalter im Beamten- oder Angestelltenverhältnis steht
- Status des Grundbuchverwalters
- Kantonale Aufsichtsbehörde
- zB durch Erteilung fehlerhaften Weisungen an den Grundbuchverwalter
- Grundbuchführung
- Adäquater Kausalzusammenhang
- Kausalzusammenhang
- Es muss der natürliche Kausalzusammenhang vorliegen, wonach der Schaden ohne haftungsbegründende Handlung nicht eingetreten wäre
- Adäquanz
- Der natürliche Kausalzusammenhang alleine ist nicht ausreichend, vielmehr muss der Schaden adäquat kausal verursacht worden sein, d.h. nach der von Lehre und Rechtsprechung entwickelten bekannten Haftpflichtformel
- Das haftungsauslösende Ereignis muss nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, den eingetretenen Erfolg (Schadenseintritt) zu bewirken, sodass der Eintritt dieses Erfolgs als durch die fragliche Tatsache allgemein als begünstigt erscheint
- Vgl. BGE 123 III 110 ff., BGE 123 V 98 ff.
- Der natürliche Kausalzusammenhang alleine ist nicht ausreichend, vielmehr muss der Schaden adäquat kausal verursacht worden sein, d.h. nach der von Lehre und Rechtsprechung entwickelten bekannten Haftpflichtformel
- Selbstverschulden?
- Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch den Geschädigten?
- Schweres Selbstverschulden des Geschädigten
- Unterbrechung / keine Staatshaftung
- zB unterlassene Schadensvermeidung, in dem der Geschädigte eine Grundbuchbeschwerde oder Grundbuchberichtigungsklage nicht erhob > Staatshaftung aus ZGB 955 fällt in einem solchen Fall ausser Betracht (vgl. BGE 110 II 42)
- Leichtes Selbstverschulden des Geschädigten
- Reduktion des Schadenersatzes (DESCHENAUX HENRI, SPR V/3, S. 233)
- Schweres Selbstverschulden des Geschädigten
- Unterbrechung des Kausalzusammenhang durch eine Dritten
- Gesetzgeberziele von ZGB 955 schliessen dies aus (vgl. DESCHENAUX HENRI, SPR V/3, S. 233)
- Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch den Geschädigten?
- Kausalzusammenhang
- Widerrechtlichkeit
- Objektives Kriterium
- Fehlerhafte Grundbuchführung muss objektiv widerrechtlich sein (Akt gesetzwidriger Grundbuchführung)
- Anwendungsfälle
- Kognitionsfehler
- zB nicht eingeholte Zustimmung der Vormundschaftsbehörde
- zB nicht eingeholte Rechtskraftbescheinigung
- Unterlassene Handlungen
- Pflichtverletzung bei der Grundbuchnachführung
- Kognitionsfehler
- Normenverstoss
- Verstoss kann in beliebiger Gesetzes- oder Verordnungs-Verletzung bestehen
- Erlasse und Verordnungen von Bund und Kanton, die die Tätigkeit der Grundbuchorgane normieren
- Eine Weisung der Aufsichtsbehörde vermag eine Widerrechtlichkeit nur zu begründen, wenn sie eine Gesetzes- oder Verordnungsnorm konkretisiert
- Verstoss kann in beliebiger Gesetzes- oder Verordnungs-Verletzung bestehen
- Objektives Kriterium
- Verschuldensunabhängigkeit (Kausalhaftung)
- Voraussetzung ist – infolge der Kausalhaftung – einzig die Verletzung der Grundbuchführungsvorschriften
- Ein Verschulden muss nicht vorliegen
- Eine Exkulpationsmöglichkeit besteht nicht
Verjährung
- Grundlage
- Analoge Anwendung von OR 60
- Haftung aus Grundbuchführung seht der Haftung des Geschäftsherrn nahe (vgl. BGE 51 II 385 f.)
- Verjährungsfristen
- Relative Verjährungsfrist
- 1 Jahr
- Absolute Verjährungsfrist
- 10 Jahre
- Relative Verjährungsfrist
- Beginn des Fristenlaufs
- Die Verjährungsfrist beginnt mit dem schädigenden Ereignis zu laufen (vgl. DESCHENAUX HENRI, SPR V/3, S. 236 f.)
- Beachtung und individuelle Beurteilung von Sonderfällen
- Unterlassung einer fehlbaren Handlung (zB Berichtigungsunterlassung)
- Kein Beginn der Verjährungsfrist, solange die rechtswidrige Situation andauert
- Beginn des Fristenlaufs, wenn die Berichtigungsmöglichkeit des Grundbuchverwalters endet (gutgläubiger Erwerb des Dritten nach ZGB 973, auf Basis des nicht berechtigten Grundbucheintrags (umstritten; a.M. BGE 119 II 216 ff.)
- Unterlassung einer fehlbaren Handlung (zB Berichtigungsunterlassung)
- Weitere Detailinformationen
Rückgriff des Kantons auf fehlbare Beamte bzw. auf die vorgesetzten Organe
- Grundlage
- ZGB 955 Abs. 2 und 3
- Kantonale Haftungsgesetze
- Voraussetzungen
- Grundsatz
- Verschuldensprinzip (ZGB 955 Abs. 2)
- Allgemeine Haftungsvoraussetzung
- Grundbuchbeamten oder dessen vorgesetzte Organe muss ein Verschulden treffen
- Kantonale Haftungsvoraussetzungen
- Das kantonale (Haftungs-)Recht bestimmt die Haftungsvoraussetzungen
- Grad des Verschuldens für den Rückgriff
- zB absichtliche oder grobfahrlässige Verursachung des Schadens
- Haftungsausschluss
- Keine persönliche Haftung des Grundbuchverwalters
- Vgl. auch OR 61 Abs. 1
- Grad des Verschuldens für den Rückgriff
- Das kantonale (Haftungs-)Recht bestimmt die Haftungsvoraussetzungen
- Grundsatz
- Sicherstellung?
- Die Kantone können von ihren Beamten und Angestellten Sicherstellung verlangen (vgl. ZGB 955 Abs. 3)
Intertemporale Haftungslagen
- Haftungslage vor der Grundbucheinführung
- Haftung des Kantons auch für die Zeit vor Grundbucheinführung
- Haftungslage vor Anlegung der Grundbuchpläne
- Solange keine Grundbuchpläne oder wenigstens Realfolien angelegt sind, keine Haftung aus unrichtiger Grenzbeschreibung
Literatur
- Allgemein
- FISCH ARNOLD, Die Verantwortlichkeit der Kantone für Schaden aus der Führung des Grundbuchs, Diss. Zürich 1939
- MÜLLER LEONHARD, Die Haftung der Urkundsperson, Diss. Zürich 2000
- MÜLLER LEONHARD, Die Haftung der Urkundsperson im Verhältnis zur Haftung von weiteren haftpflichtigen Personen, in: ZBGR 2001, S. 279 ff.
- SCHMID JÜRG, Basler Kommentar zu ZGB 955
- Schadensberechnung
- STARK EMIL W., Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. I, 5. Auflage, Zürich 1995, S. 245 ff.
- Verjährungsfrist
- DESCHENAUX HENRI, SPR V/3, S. 236 f.
- Staatshaftung nach ZGB 955 auch für den Nachführungsgeometer
- SCHMID JÜRG, Basler Kommentar, N 11 zu ZGB 955
Judikatur
- Voraussetzungen
- Schaden
- Schädigende Handlung
- BGE 110 II 40
- BGE 106 II 341 ff. = Pra 1981 Nr. 134
- BGE 119 II 218
- BGE 57 II 567 ff.
- Adäquater Kausalzusammenhang
- BGE 110 II 40
- BGE 123 III 110 ff.
- BGE 123 V 98 ff.
- Widerrechtlichkeit
- BGE 110 II 40
- BGE 126 III 309 ff. = Pra 2001 Nr. 65
- Verschuldensunabhängigkeit (Kausalhaftung)
- Verjährung