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Arbeitsrecht

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Klimastreik / Frauenstreik: Ist streiken zulässig?

Datum:
17.06.2019
Rubrik:
Berichte
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht
Stichworte:
Arbeitsrecht
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Die Grundlagen für einen Arbeitsstreik

Einleitung

In der Schweiz wird selten gestreikt. Deshalb sorgen kollektive Arbeitsniederlegungen, um zum Beispiel ihrem Ärger über Stellenabbau oder Massenentlassungen, mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen freien Lauf zu lassen, immer wieder für Aufsehen.

Dabei stellt sich vor allem die Frage, ob und für welche Anliegen ein Streikrecht besteht?

Bei einem Streik stellen sich folgende praktischen Fragen:

  • Mit welchen Konsequenzen muss ich rechnen, wenn ich die Arbeit niederlege?
  • Wie kann ich als Vorgesetzter reagieren, wenn Mitarbeitende atypisch zu streiken beabsichtigen?

Streikrecht

Das „Recht auf Streik“ ist seit 1999 in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert. Ein Gesetz, welches das Streikrecht ausführlich regeln würde, fehlt.

Die Voraussetzungen für das Streikrecht werden daher durch die Rechtsprechung bestimmt, insbesondere durch das Bundesgericht.

Streikvoraussetzungen

Streikrecht im zivilen Arbeitsrecht

Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung müssen folgende vier Voraussetzungen erfüllt sein, um den Arbeitskampf als Ultima ratio einzusetzen:

  • 1) GAV-fähiger Organisator
    • Arbeitnehmervertretung
      • Der Streik muss von einer Arbeitnehmerorganisation getragen sein, welche legitimiert ist mit der Arbeitgeberseite Verhandlungen über Arbeitsbedingungen zu führen
  • 2) Verfolgung durch GAV regelbarer Ziele
    • Zielverfolgung
    • Konkrete Verbesserungen
      • Höhere Löhne
      • Kürzere Arbeitszeiten
      • Früheres Pensionierungsalter
  • 3) Streik muss verhältnismässig sein
    • Ausgewogenheit des Streikvorhabens
      • Der geplante Streik hat verhältnismässig zu sein
  • 4) Keine Verletzung der Friedenspflicht oder eines gesetzlichen Streikverbots
    • Kein Verstoss gegen die Friedenspflicht oder gegen ein gesetzliches Streikverbot
      • Der Streik darf nicht gegen eine von den Sozialpartnern im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vereinbarte Friedenspflicht verstossen
      • Im Falle eines gesetzlichen Streikverbots darf ebenfalls nicht gestreikt werden (vgl. hiezu BV 28 Abs. 4; BPG 24 Abs. 1, BPV 96)
    • Streikunterlassung
      • Im Falle einer im GAV vereinbarten Friedenspflicht oder eines gesetzlichen Streikverbots ist ein Streiken zu unterlassen.

Detailinformationen zum Streikrecht

Literatur

  • STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 6 – 8 zu OR 357a

Weiterführende Judikatur

  • BGE 134 IV 216 ff. = JAR 2009, S. 357
  • BGE 125 III 277 ff. = JdT 2000 I 240
  • BGE 132 III 122 ff. = JAR 2006 S. 316 = Pra 2006 Nr. 107 = JdT 2006 I S. 258

Streikrecht im öffentlichen Personalrecht

Ob und inwieweit ein Streikrecht im öffentlichen Personalrecht vorgesehen ist, hängt von den jeweiligen Personalerlassen von Bund, Kantonen und Gemeinden sowie von der Funktion und dem Hierarchiegrad des betreffenden Beamten bzw. Mitarbeiters im öffentlichen Dienst ab.

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, hier auf Einzelheiten einzugehen.

Weiterführende Literatur

  • MARTI MICHELE, Arbeitskampffreiheit im öffentlichen Dienst, Basel 2010

Klimastreik

Die junge schwedische Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg hat bei Jugendlichen und jungen Arbeitnehmenden auf der ganzen Welt, auch in der Schweiz, eine Streikwelle  ausgelöst. Die von ihr ausgelösten „Klimastreiks“ sind inzwischen zur globalen Bewegung „Fridays for Future“ angewachsen.

Mit dem Klimastreik werden primär eine bessere Luft und eine konsequente Klimapolitik eingefordert.

Der Klimastreik ist eine gesellschaftliche Frage und – mag das Anliegen noch so sympathisch sein – keine Grundlage für eine bezahlte Streikabsenz. Es fehlt also nicht nur an direkten arbeitsrechtlichen Forderungen, sondern auch an einem Arbeitnehmerverband, der zu einem arbeitsrechtlichen Streik aufruft.

Der Arbeitnehmer, der an einem Werktag für den Klimaschutz auf die Strasse gehen will, muss dies in der Freizeit tun, d.h. einen Freitag beantragen.

Grundsätzlich hat ein Ferientag, auch ein Ferienhalbtag, dem Erholungszweck des Arbeitnehmers (Erhaltung der Gesundheit und Bewahrung der Arbeitskraft) zu dienen.

Die Beantwortung der Frage, ob eine Klimastreik-Teilnahme das gesetzgeberische Erholungsziel erfüllt, kann dahingestellt bleiben.

Eine Alternative wäre der unbezahlte Urlaub.

Frauenstreik

Am vergangenen Freitag, den 14.06.2019, streikten weltweit die Frauen. Nicht alle Frauen folgten der Streikaufforderung oder erklärten bloss während einer Pause ihre Sympathie für die Anliegen der Frau.

SRF berichtete am 14.06.2019:

  • „Um 11 Uhr haben Frauen schweizweit ihre Arbeit niedergelegt. Es folgten zahlreiche Protestaktionen und Demonstrationsumzüge.
  • Wie beim ersten Frauenstreik von 1991 sind auch diesmal wieder Hunderttausende auf die Strasse gegangen.
  • Die Forderungen bleiben quasi dieselben wie vor 28 Jahren: Mehr Gleichberechtigung, gleiche Löhne für gleiche Arbeit, Bekämpfung von Sexismus und sexueller Gewalt.“

Die Frauen haben im Frauenstreik (allgemeine) Verbesserungen eingefordert, wie:

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
  • Diskriminierung von Frauen in allen Bereichen
  • Bekämpfung des Sexismus am Arbeitsplatz
  • etc.

Anders als beim branchenbedingten Streik werden hier eher generelle Verbesserungen eingefordert, weshalb die Arbeitgeberorganisationen annehmen, dass der Vorgesetzte Mitarbeiterinnen wegen der Teilnahme am Frauenstreik theoretisch entlassen könnten (siehe nachfolgend „Arbeitsrechtliche Folgen und Sanktionsmöglichkeiten“). Zudem müssten die „Streikvoraussetzungen“ erfüllt sein.

Theorie und Praxis – Eventuell individuelle Lösungen

Auch im betrieblichen Alltag vor Streiktagen ist das Verhältnismässigkeitsprinzip gefragt.

  • Arbeitnehmerorganisationen
    • Streikaufruf
      • In der Regel wird die Arbeitnehmerorganisation offiziell zum Streik aufrufen
        • Meistens bestreiten die Arbeitgeberorganisationen das Vorhandensein der Voraussetzungen für einen Streikaufruf
    • Hilfestellung infolge des Streikaufrufs
      • Rechtsschutz
      • Anwaltlichen Beistand
      • Lohneinbussen-Zahlung
      • Zahlung von Taggeldern
    • Empfehlungen an die Mitglieder (Arbeitnehmer/-innen)
      • Arbeitnehmer/-innen sollen sich mit dem Arbeitgeber vorgängig darüber einigen, dass sie teilnehmen können
      • Sensibilisierung des Arbeitgebers für das Arbeitnehmer/-innen-Anliegen
      • Alternativangebote des Arbeitnehmenden an den Arbeitgeber
        • zB Veranstaltungsteilnahme in verlängerten Mittagspause
        • zB Veranstaltungsteilnahme am Abend
    • Alternativgegenangebote des Arbeitgebers
      • zB Diskussion über Verbesserungsmöglichkeiten
      • zB interne Veranstaltungen zum Streikthema
      • zB Erlaubnis zum Tragen von Streikarmbändern oder Buttons, als Solidarisierungsdemonstration
      • zB Plakataufhängen
  • Arbeitgeber
    • Prinzipienhaltung
      • Erreichung besserer Arbeitsbedingungen (weitere Bedingung: Erfüllte „Streikvoraussetzungen“)
        • Konkrete Berufsanliegen im Beruf (zulässig)
        • Generelle Forderungen wie „Frauenstreik“ (umstritten bis unzulässig)
      • Gesellschaftliche Anliegen wie „Klimastreik“
        • Kein arbeitsrechtlicher Anspruch (unzulässig)
    • Aufrechterhaltung des Betriebes
      • Der Arbeitgeber muss sich organisieren, damit er seinen betrieblichen Pflichten nachkommen kann
        • Zu denken ist an
          • Spitäler
          • Verkehrsbetrieb
          • Produktionsbetriebe
          • etc.
    • Branche
        • GAV-Abdeckung
    • Streikort
      • Arbeitsplatz (Erreichbarkeit im Notfall)
      • Öffentlichkeit bzw. „auf der Strasse“
    • Gleichbehandlung der Arbeitnehmer c. individuelle Behandlung
      • Bezieht sich das Streikthema auf bestimmte Arbeitnehmergruppen, wie die Frauen, können andere Arbeitnehmer, zB die Männer, eine Ungleichbehandlung monieren
      • Hier gilt es vernünftige Lösungen zu finden
        • Aussprache in Mitarbeiterversammlung
        • Personalersatz-Organisierung durch fehlende Mitarbeiterin
        • etc.
    • Absenz
      • Der Arbeitgeber wird die Haltung einnehmen, dass die Zeit, die die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer von der Stelle fernbleibt, durch Kompensation oder Lohnabzug abzugelten ist
    • Treuepflicht
      • Das Fernbleiben der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers könnte vom Arbeitgeber als Treuepflichtverletzung interpretiert werden und diesen Arbeitsvertragskündigung motivieren
    • Missbräuchlichkeit
      • Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei einem regulären Streik wäre missbräuchlich.

Arbeitsrechtliche Folgen und Sanktionsmöglichkeiten

Der Arbeitgeber hat bei unentschuldigtem Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Arbeitsplatz wegen einer unberechtigten Streikteilnahme – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – verschiedene Vorgehensoptionen:

Der Arbeitgeber kann nicht verhindern, dass jemand am Streik teilnimmt. Den Lohn für den Ausfall-(Halb-)Tag muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmenden nicht bezahlen:

Die gebräuchlichsten arbeitsrechtlichen Sanktionen sind:

Schadenersatz und Erfüllungsklage

Beide Rechtsbehelfe sind stark von der Verhältnismässigkeit abhängig. In solchen Fällen läuft der Arbeitgeber auch die Gefahr, dass er und / oder der Arbeitnehmer Arbeitskollegen zur Stützung bzw. Abwehr der Schadenersatzansprüche anrufen muss.

Entscheidungsfaktoren

Die Ergreifung der arbeitsrechtlichen Sanktionen hängen meistens vom sonstigen Arbeitnehmerverhalten gegenüber den Vorgesetzten, Arbeitskollegen und Kunden ab.

Kein Arbeitgeber wird arbeitsrechtliche Sanktionen gegenüber einem engagierten und kompetenten Arbeitnehmer mit tadellosem Leumund veranlassen.

Fazit

Das Fernbleiben von der Arbeitsstelle infolge Teilnahme am Klimastreik ist arbeitsrechtlich unzulässig.

Beim Frauenstreik ist die Sach- und Rechtslage komplizierter, müssen doch die Streikvoraussetzungen gegeben sein (siehe oben).

Wie bei allen Streikfragen sind diesbezügliche Streitpunkte gegenüber dem betreffenden Mitarbeitenden bzw. im konkreten Arbeitsverhältnis individuell, emotionsbefreit und verhältnismässig anzugehen.

Quelle

LawMedia-Redaktionsteam

Bild von manuellopezEigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

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