Streiks gibt es seit langem. Der erste bekannte Arbeitsstreik fand 1156 v. Chr. im alten Ägypten statt (Tempelbau Theben). Der arbeitsrechtliche Streik der heutigen Zeit wird durch folgende Punkte bestimmt:
Begriff
- Streik = kollektive Verweigerung der geschuldeten Arbeitsleistung zur Durchsetzung bestimmter Arbeitsbedingungen (vgl. BGE 134 IV 216)
Grundlagen
- BV 28 Abs. 2, 3 und 4
- OR 357a
Gesetzestexte
Art. 28 BV Koalitionsfreiheit
1 Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie ihre Organisationen haben das Recht, sich zum Schutz ihrer Interessen zusammenzuschliessen, Vereinigungen zu bilden und solchen beizutreten oder fernzubleiben.
2 Streitigkeiten sind nach Möglichkeit durch Verhandlung oder Vermittlung beizulegen.
3 Streik und Aussperrung sind zulässig, wenn sie Arbeitsbeziehungen betreffen und wenn keine Verpflichtungen entgegenstehen, den Arbeitsfrieden zu wahren oder Schlichtungsverhandlungen zu führen.
4 Das Gesetz kann bestimmten Kategorien von Personen den Streik verbieten.
Art. 357a OR 2. unter den Vertragsparteien
1 Die Vertragsparteien sind verpflichtet, für die Einhaltung des Gesamtarbeitsvertrages zu sorgen; zu diesem Zweck haben Verbände auf ihre Mitglieder einzuwirken und nötigenfalls die statutarischen und gesetzlichen Mittel einzusetzen.
2 Jede Vertragspartei ist verpflichtet, den Arbeitsfrieden zu wahren und sich insbesondere jeder Kampfmassnahme zu enthalten, soweit es sich um Gegenstände handelt, die im Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind; die Friedenspflicht gilt nur unbeschränkt, wenn dies ausdrücklich bestimmt ist.
Weiterführende Informationen
- Leading Case aus der Zeit vor der Aufnahme des „Streikrechts“ in die Bundesverfassung (BV 28)
- BGE 125 III 277 = JAR 1999, S. 241
Abgrenzungen
- Weitere Formen von Arbeitskampfmitteln (sog. alternative Kampfmittel), sofern und soweit die Voraussetzungen für einen rechtmässigen Streik erfüllt sind
- Betriebsbesetzung
- Betriebsblockaden
- Boykotte
- Flashmob-Aktionen (via SMS, e-mails, soziale Netzwerke oder Twitter)
- Von der Gewerkschaft organisierte Demonstration vor dem Betriebsgebäude eines Arbeitgebers
- = kollektives Arbeitskampfmittel, auch wenn keine beim Arbeitgeber angestellten Arbeitnehmer teilnahmen (vgl. BGE 132 III 122, Erw. 4.3)
Ziele
- Durchsetzung bestimmter Arbeitsbedingungen
Rechtsnatur
- Kollektives Arbeitsrecht
- Aber: kein individuelles Grundrecht jeden Arbeitnehmers auf Streik
Streikvoraussetzungen
- Klassische 4 Zulässigkeitsvoraussetzungen
- 1) Streiktragung durch eine tarif- oder besser GAV-fähigen Organisation
- Als Mittel des kollektiven Arbeitskampfes steht nur den Trägern des kollektiven Arbeitsrechts (Gewerkschaften) zu
- 2) Verfolgung von durch GAV regelbaren Zielen
- Bessere Arbeitsbedingungen
- Ausgeschlossen sind
- Sympathiestreik gegen anderen Arbeitgeber
- Politische Streiks (zB Klimastreik)
- Für die Durchsetzung eines bestehenden Gesamtarbeitsvertrages (GAV) ist der Rechtsweg zu beschreiten
- 3) Erfordernis der Verhältnismässigkeit des Streiks
- Es wurden nicht alle Verhandlungs- und Vermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft (BV 28 Abs. 2; BGE 132 III 122, Erw. 4.4.2 + Erw. 4.5.4.1)
- 4) Kein Verstoss gegen eine Friedenspflicht oder ein gesetzliches Streikverbot
- Im GAV vereinbarte Friedenspflicht
- Gesetzliche Streikverbote (BV 28 Abs. 4) wie BPG 24 Abs. 1 und BPV 96 für das Bundespersonal (= öffentliches Personalrecht)
- 1) Streiktragung durch eine tarif- oder besser GAV-fähigen Organisation
- Bedeutender Teil der Lehrmeinung verlangt zusätzliche Voraussetzung
- Rechtsmässigkeit des Streiks bedingt, dass das dafür notwendige Entscheidungsprozedere korrekt eingehalten ist, wie
- Abstimmung
- Streikbeschluss
- Rechtsmässigkeit des Streiks bedingt, dass das dafür notwendige Entscheidungsprozedere korrekt eingehalten ist, wie
Streikvorbereitung während noch laufendem GAV
- Im Falle eines bevorstehenden Laufzeitablauf eines GAV kann es vorkommen, dass eine Gewerkschaft im Hinblick auf das nahende GAV-Ende Vorbereitungen für einen Arbeitskampf trifft, wie
- Organisatorische Streikvorkehren
- Äufnung einer Streikkasse
- Durchführung der Streikabstimmung
- Mediale Streitpositionierung und Beeinflussung des Gegners (Arbeitgeberverband / Arbeitgeber)
- Diese Verhandlungen sollen die Gegenpartei zum Abschluss eines neuen GAV motivieren
- Solange sich die Vorbereitungshandlungen auf das Innenverhältnis der Gewerkschaft beschränken, liegt noch kein Verstoss gegen die Friedenspflicht vor
Grenze zwischen zulässiger Ausübung verfassungsmässiger Rechte und strafbarer Handlung
- Zulässig
- Peacful picketing, d.h. der Versuch mittels Streikposten arbeitswillige Arbeitnehmer in friedlicher Form von der Niederlegung der Arbeit zu überzeugen
- Unzulässig / Unrechtmässig
- Versperrung des Zutritts zur Arbeitsstelle für Arbeitswillige
- BGE 134 IV 216, Erw. 5.1.2, BGE 132 III 122, Erw. 4.5.4.1)
- Baustellenblockade, mit Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar
- EuGH-Urteil C-341/05 vom 18.12.2007
- Einsatz von Gewalt und Schädigung von Gütern des Arbeitgebers
- BGE 132 III 122, Erw. 4.5.4.1
- Strafbare Handlungen, für die der jeweilige Täter verantwortlich ist und, die Strafbarkeit durch die Rechtmässigkeit des Streiks nicht aufgehoben wird
- Strafgericht ZG, in: ARV 2005, S. 108 = SAE 2010, S. 76
- Strafbare Nötigung durch Betriebsblockierung eines Betriebs- und Betonwerks (während rund 10 Stunden konnten Arbeitsfahrzeuge weder ein- noch ausfahren)
- BGer 6B_214/2011, 6B_216/2011 und 6B_238/2011 vom 13.09.2011
- aber die Teilfreisprüche bzw. Freisprüche unter:
- Tribunal de police du District de La Chaux de Fonds, in: plädoyer 2000/3, S. 54 – Calida-Streik
- BezG Rheinfelden, in: plädoyer 2001/6, S. 75 – Aare Wäscherei-Streik
- Strafbare Nötigung durch Blockierung der Autobahn A1 beim Bareggtunnel während mehr als einer Stunde, mit Negativauswirkungen auf unbeteiligte Dritte (Verkehrsteilnehmer), die zur Erfüllung der Streikforderungen nichts beitragen konnten
- BGE 134 IV 216
- Versperrung des Zutritts zur Arbeitsstelle für Arbeitswillige
Suspendierung der Arbeitshauptpflichten beim rechtmässigen Streik
- Während eines rechtmässigen Streiks ist der Arbeitsvertrag in seinen Hauptpflichten sistiert
- Suspendierte Arbeitspflicht schliesst Vertragsverletzung und Berechtigung zur fristlosen Kündigung aus
- BGE 125 III 277, Erw. 3c
- Eine ordentliche Kündigung, bei welcher ein rechtmässiger Streik ausschlaggebend ist, gilt als missbräuchlich (vgl. STÖCKLI JEAN-FRITZ, a.a.O, N 62; BGE 125 III 277, Erw. 3c)
- Suspendierte Arbeitspflicht schliesst Vertragsverletzung und Berechtigung zur fristlosen Kündigung aus
- Bestehen bleiben auch während des Streiks
- Treuepflichten
- Verboten sind
- Konkurrenzierende Arbeiten
Aussperrung
- Eine Aussperrung, d.h. das vom Arbeitgeber gegenüber mehreren Arbeitnehmern ausgesprochene Verbot, den Arbeitsplatz zu betreten, ist unter restriktiven Voraussetzungen zulässig
- Bei ungerechtfertigter Aussperrung befindet sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug (OR 324)
- Nach Verwarnung oder längerer Aussperrungsdauer können die betroffenen Arbeitnehmer fristlos kündigen
Friedenspflicht
- Die Friedenspflicht soll den sozialen Frieden in der Schweiz bewahren; sie ist von hoher sozial- und staatspolitischer Bedeutung
- OR 357a Abs. 2
Wilder Streik
- Erfüllt ein Streik die hievor erwähnen „Streikvoraussetzungen“ nicht, liegt ein sog. „wilder Streik“ vor
- zB ein nicht von einem Arbeitnehmerverband, sondern nur von einzelnen nicht organisierten Arbeitnehmern motivierter Streik (unzulässig)
- zB von Gewerkschaft in Verletzung der Friedenspflicht organisierter Streik
- zB politischer Streik
- Beim wilden Streik sind folgende Ansprüche bzw. Sanktionen denkbar:
- Gegenüber dem Arbeitnehmer
- Fristlose Entlassung nach erfolgloser Verwarnung oder längerer Dauer
- Die Arbeitspflicht wird vom unberechtigt Streikenden verletzt und – anders als beim zulässigen Streik- nicht bloss suspendiert
- Fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber
- Der wilde Streik kann zu Schadenersatzpflichten führen
- Fristlose Entlassung nach erfolgloser Verwarnung oder längerer Dauer
- Gegenüber der Gewerkschaft
- Bezüglich Haftung der Gewerkschaft im Arbeitskampf, vgl. WIDMER CORINNE, a.a.O., S. 65 ff.
- Gegenüber dem Arbeitnehmer
Streikbrecher
- Der Streik kann zu einem betrieblichen Notfall führen > Zulässigkeit der Streikbrecherarbeit
- Ein Mitarbeiter darf die unmittelbare Streikbrecherarbeit verweigern, wenn die verlangte Arbeitsleistung ausserhalb seines eigenen Berufes liegt; in seinem vom Streik nicht betroffenen Berufsbereich darf er aber die Arbeit nicht verweigern
Zutrittsrecht von Gewerkschaftsfunktionären auf Unternehmensareal
- Es stellt sich – obwohl eine positivrechtliche Grundlage fehlt – immer wieder die Frage, ob Gewerkschaftsfunktionäre trotz Hausverbot das Unternehmensareal des Arbeitgebers zu betreten, zum Zwecke
- Information der Mitglieder bzw. Arbeitnehmer
- Mitgliederwerbung, auch für bevorstehenden oder ausgebrochenen Streik
- etc.
Literatur
- Allgemein
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 6 – 8 zu OR 357a
- Alternative Kampfmittel
- PORTMANN WOLFGANG, Kommentar zu den Art. 319-362 OR, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 5. Auflage, Basel 2011, N 12 zu OR 357a
- WENGER SARAH, Zulässige Mittel im Arbeitskampf, Bern 2007, S. 55 ff.
- WYLER REMY, Droit du travail, 2. Auflage, Bern 2008, S. 665 ff.
- Streikvoraussetzungen
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 7 zu OR 357a, S. 1479
- PORTMANN WOLFGANG, Kommentar zu den Art. 319-362 OR, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 5. Auflage, Basel 2011, N 10 f. zu OR 357a
- Streikvorbereitung während noch laufendem GAV
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 7 zu OR 357a, S. 1482 f.
- Grenze zwischen zulässiger Ausübung verfassungsmässiger Rechte und strafbarer Handlung
- PORTMANN WOLFGANG, Kein Streikrecht in der Schweiz?, in: SJZ 94 (1998), S. 486 f.
- WENGER SARAH, Zulässige Mittel im Arbeitskampf, Bern 2007, S. 75 ff. und S. 147 ff.
- VISCHER FRANK, Fragen aus dem Kollektivarbeitsrecht, AJP 1995, S. 547 – 556, insbesondere S. 552 f.
- Suspendierung der Arbeitshauptpflichten beim rechtmässigen Streik
- BRÜHWILER JÜRG, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2. Auflage, Bern 1996, N 15 zu OR 337
- WYLER REMY, Droit du travail, 2. Auflage, Bern 2008, S. 661
- STÖCKLI JEAN-FRITZ, Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Band VI, Das Obligationenrecht, 2. Abteilung, 2. Teilband, Der Arbeitsvertrag, 3. Abschnitt, Art. 356 – 360, Ben 1999, N 56 ff. + N 62 zu OR 357a
- Aussperrung
- STÖCKLI JEAN-FRITZ, Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Band VI, Das Obligationenrecht, 2. Abteilung, 2. Teilband, Der Arbeitsvertrag, 3. Abschnitt, Art. 356 – 360, Ben 1999, N 47 zu OR 357a
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 9 zu OR 357a
- Friedenspflicht
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 10 zu OR 357a, S. 1487
- Wilder Streik
- WYLER REMY, Droit du travail, 2. Auflage, Bern 2008, S. 656
- PORTMANN WOLFGANG, in: SJZ 1998, S. 486 ff.
- WIDMER CORINNE, Die Haftung der Gewerkschaft im Arbeitskampf, in: ArbR 2007, S. 65 – 154
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 7 zu OR 357a, S. 1482
- Einsatz als Streikbrecher
- STREIFF ULLIN / VON KAENEL ADRIAN / RUDOLPH ROGER, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319 – 362, 7. Auflage, Zürich 2012, N 8 zu OR 321
Judikatur
- Streikrecht
- BGE 134 IV 216
- Weitere Formen von Arbeitskampfmitteln
- BGE 132 III 122, Erw. 4.3
- Streiktragung durch GAV-Organisation
- BGE 134 IV 216, Erw. 5.1.1
- BGE 132 III 122, Erw. 4.4.2
- BGer in ARV 2004, S. 95, Erw. 3.1
- Verfolgung durch von GAV regelbaren Zielen
- —
- Verhältnismässigkeit
- BGE 132 III 122 (gewaltsames Blockieren eines Personaleingangs, um das Erscheinen einer Zeitung verhindern)
- ZR 2011 Nr. 55 (unzulässiger und die negative Koalitionsfreiheit verletzender Versuch, einen Betrieb zum Beitritt in den Verband zu zwingen)
- Kein Verstoss gegen die Friedenspflicht
- —
- Streikvorbereitung während noch laufendem GAV
- KGer GR, in: JAR 1997, S. 260 ff.
- Grenze zwischen zulässiger Ausübung verfassungsmässiger Rechte und strafbarer Handlung
- Siehe oben
- Suspendierung der Arbeitshauptpflichten beim rechtmässigen Streik
- BGE 125 III 277, Erw. 3c = JdT 2000 I 240 = JAR 2000, S. 380
- BGer in JAR 1997, S. 279 = SJ 1995, S. 681
- BGE 111 II 245 (Streikfall Eschler Urania AG)
- Aussperrung
- —
- Friedenspflicht
- —
- Wilder Streik
- —
- Einsatz als Streikbrecher
- —
- Zutrittsrecht von Gewerkschaftsfunktionären zum Betriebsareal
- BGer 5P.482/2002 vom 05.05.2003 (Nichteintreten)
- BGer 2C_499/2015 vom 06.09.2017 (Zutritt zu Verwaltungsgebäuden)
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