Die Gefahrentragungsregeln bestimmen, wer die Gefahr einer zufälligen Verschlechterung oder einer zufälligen Unmöglichkeit der Leistung trägt. Wie nachfolgend gezeigt wird, gelten beim Kauf besondere, von den allgemeinen Gefahrtragungsregeln des Vertragsrechts abweichende, Bestimmungen.
Trägt der Käufer die Gefahr, muss er den Kaufpreis bezahlen, auch wenn er vom Verkäufer nur den verschlechterten Kaufgegenstand oder bei Untergang, den Kaufgegenstand gar nicht erhält.
Trägt der Verkäufer die Gefahr, geht mit dem Kaufgegenstand auch der Anspruch auf den Kaufpreis unter. Wird die Kaufsache zufällig verschlechtert, hat der Käufer die Rechte nach OR 197 ff.
Allgemeine Gefahrtragungsregeln des Vertragsrechts
Allgemeine Grundlagen der Gefahrtragung
- OR 119
Rechtsfolgen bei zufälligem Untergang der Leistung
- Leistung des Schuldners
- Forderung gilt als erloschen
- OR 119 Abs. 1
- Forderung gilt als erloschen
- Leistung des Gläubigers
- Gläubiger wird von Leistungspflicht befreit
- OR 119 Abs. 2
- Bereits erbrachte Leistungen können zurückgefordert werden
- Rückforderung gemäss ungerechtfertigter Bereicherung nach OR 62
- OR 119 Abs. 2
- Rückforderung gemäss ungerechtfertigter Bereicherung nach OR 62
- Gläubiger wird von Leistungspflicht befreit
- Ausnahmen nach OR 119 Abs. 3
- Wenn Gefahr nach Gesetzesvorschrift vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht
- insbesondere durch die nachfolgend dargestellte Gefahrtragung im Kaufrecht nach OR 185
- Wenn Gefahr nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht
- Wenn Gefahr nach Gesetzesvorschrift vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht
Gefahrtragung im Kaufrecht
Grundlagen der Gefahrtragung im Kaufrecht
- Beim Fahrniskauf
- OR 185
- Bei Hinterlegung
- OR 92
- Beim Grundstückkauf
- OR 220
Gefahrtragung bei zufälligem Untergang der Kaufsache
- Grundsatz der Gefahrtragung nach Kaufrecht
- Käufer trägt Risiko für den zufälligen Untergang der Sache ab Vertragsschluss, sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen
- Vgl. OR 185 Abs. 1
- Käufer trägt Risiko für den zufälligen Untergang der Sache ab Vertragsschluss, sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen
- Besonderheit bei Gattungswaren
- Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so geht das Risiko gemäss OR 185 Abs. 2 wie folgt auf den Käufer über:
- Bei Holschuld
- nach Ausscheidung der Ware
- Bei Versendungsschuld
- Wenn Ware zur Versendung aufgegeben wurde
- Vgl. Gefahrtragung beim Versendungskauf
- Beim Fernkauf
- Verkäufer muss Kaufsache am Ort des Käufers anbieten und bereithalten
- Bei Holschuld
- Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so geht das Risiko gemäss OR 185 Abs. 2 wie folgt auf den Käufer über:
- Ausnahmen vom Grundsatz der Gefahrtragung
- Bei besonderen Verhältnissen i.S.v. OR 185 Abs. 1
- zB Grundstückkauf
- Grundlage
- OR 220
- Gefahrtragung
- für die Übernahme des Grundstückes vertraglich festgestellter Zeitpunkt, relevant für Übergang von Nutzen und Gefahr
- Fehlt eine solcher vertraglich festgelegter Zeitpunkt, gilt der Zeitpunkt des Vertragsschlusses
- Grundlage
- zB Hinterlegung
- Grundlage
- OR 92
- Gefahrtragung
- Hinterlegung der geschuldeten Sache erfolgt auf Gefahr und Kosten des Käufers
- Grundlage
- zB Versendungskauf von Speziessache
- Grundlage
- analoge Anwendung OR 185 Abs. 2
- Gefahrtragung
- Wenn Ware zur Versendung aufgegeben wurde
- Grundlage
- zB Annahmeverzug des Käufers
- Grundlage
- OR 211
- Gefahrtragung
- Gefahr geht beim Annahmeverzug auf Käufer über
- Grundlage
- zB Grundstückkauf
- Durch Verabredung
- Vertragsparteien können eine von OR 185 abweichende Gefahrtragung verabreden
- zB durch INCOTERMS
- Vertragsparteien können eine von OR 185 abweichende Gefahrtragung verabreden
- Bei besonderen Verhältnissen i.S.v. OR 185 Abs. 1
Rechtsfolgen der Gefahrtragung
- Gefahr beim Käufer
- Käufer muss Kaufpreis bezahlen, auch wenn er vom Verkäufer nur den verschlechterten Kaufgegenstand oder bei vollständigem Untergang, den Kaufgegenstand gar nicht erhält
- Käufer trägt Preisgefahr
- Verkäufer wird im Fall des zufälligen Untergangs der Sache frei
- Muss keine Nachlieferung vornehmen
- Käufer muss Kaufpreis bezahlen, auch wenn er vom Verkäufer nur den verschlechterten Kaufgegenstand oder bei vollständigem Untergang, den Kaufgegenstand gar nicht erhält
- Gefahr beim Verkäufer
- der Anspruch auf den Kaufpreis geht mit Kaufsache unter
- Verkäufer trägt Preisgefahr
- Wird die Kaufsache zufällig verschlechtert, hat der Käufer die Rechte nach OR 197 ff.
- der Anspruch auf den Kaufpreis geht mit Kaufsache unter
Gesetzestexte
OR 119 E. Unmöglichwerden einer Leistung
E. Unmöglichwerden einer Leistung
1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2 Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3 Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
OR 185 B. Nutzen und Gefahr
B. Nutzen und Gefahr
1 Sofern nicht besondere Verhältnisse oder Verabredungen eine Ausnahme begründen, gehen Nutzen und Gefahr der Sache mit dem Abschlusse des Vertrages auf den Erwerber über.
2 Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so muss sie überdies ausgeschieden und, wenn sie versendet werden soll, zur Versendung abgegeben sein.
3 Bei Verträgen, die unter einer aufschiebenden Bedingung abgeschlossen sind, gehen Nutzen und Gefahr der veräusserten Sache erst mit dem Eintritte der Bedingung auf den Erwerber über.
Literatur
- Accoella Domenico, Nichtigkeitsbegriff und Konzept einer einheitlichen vertragsrechtlichen Rückabwicklung gescheiterter Verträge, SJZ 99/2003, S. 494 ff.
- Kälin Oliver, Unmöglichkeit der Leistung nach Art. 119 OR und clausula rebus sic stantibus, recht 2004, S. 246 ff.
- Bucher Eugen, OR Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Zürich 1988, § 18, S. 291 ff.
- Müller-Chen Markus / Huguenin Claire, Vertragsverhältnisse Teil 1: Innominatkontrakte, Kauf, Tausch, Schenkung, Miete, Leihe; Art. 184-318 OR, Zürich, 2016, 617 S.
- Koller Alfred, BSK-OR I, 5. Aufl., Basel 2011, N 1 ff. zu Art. 185
Weiterführende Informationen
- Zu den allgemeinen Gefahrtragungsregeln des Vertragsrechts
- Zu INCOTERMS