Das ordentliche Verfahren ist in den Art. 219 ff. ZPO geregelt. Die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens werden auf die anderen Verfahrensarten (vereinfachtes Verfahren, summarisches Verfahren, besondere eherechtliche Verfahren) angewandt, soweit keine spezielle Norm vorgeht.
Das ordentliche Verfahren ist grundsätzlich für Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als CHF 30’000.00 konzipiert.
Dem ordentlichen Verfahren hat grundsätzlich ein Schlichtungsverfahren vorauszugehen. Nach Eingang der Klage beim Gericht werden zwei Phasen unterschieden:
» Vorbereitung der Hauptverhandlung
» Hauptverhandlung mit Beweisverfahren
Klagebegründung und Klageantwort werden immer schriftlich durchgeführt. Danach kann das Verfahren in verschiedenen Varianten ablaufen.
Prozessleitung
Die Pflicht zur Führung und Lenkung des Verfahrens steht dem erkennenden Gericht zu (vgl. Art. 124 ZPO):
- Der zivilprozessuale Prozessbetrieb ist Amtsbetrieb.
- Das Voranschreiten des Prozesses erfordert grundsätzlich keine Intervention der Parteien.
- Die Parteien haben nur geringe prozessuale Möglichkeiten, auf die Prozessleitung Einfluss zu nehmen.
Literatur
- BÜRKI YVONNE, Die Prozessleitung nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung – unter besonderer Berücksichtigung des konventions- und verfassungsmässigen Replikrechts, Zürich/St. Gallen 2023, S. 5
- MEIER, Zivilprozessrecht, S. 389; KUKO ZPO-WEBER, N 1 zu Art. 124 ZPO
- BAUMGARTNER/DOLGE/MARKUS/SPÜHLER, § 39 Rz. 1 und § 25 Rz. 59
- BK ZPO-FREI, N 1 zu Art. 124 ZPO
- BSK ZPO-GSCHWEND, N 1 zu Art. 124 ZPO
Weiterführende Informationen
Replikrecht
Das konventions- und verfassungsmässig anerkannte Replikrecht (auch: „Recht auf auf das letzte Wort“) beeinflusst die gerichtliche Prozessleitung entscheidend:
- Das unbedingte „Replikrecht“ zu jeder Eingabe Stellung zu nehmen, vermittelt den Parteien die wichtige Möglichkeit zur Gestaltung des Prozessablaufs, welche über die in der Zivilprozessordnung ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeiten der Parteimitwirkung hinausgeht.
- Das konventions- und verfassungsmässige Replikrecht soll die schwächere Partei schützen.
- Das Replikrecht verlängert aber das Verfahren und benachteiligt dabei oft die finanzschwächere Partei.
- Das konventions- und verfassungsmässige Replikrecht spielt meist jener Partei in die Hände, welche die grösseren finanziellen Mittel hat.
- roblematisch wird die Pflicht zur Gewährung des konventions- und verfassungsmässigen Replikrechts insbesondere dort, wo dessen Einräumung zu einer blossen Formalität wird und die Parteien ihren Standpunkten nichts mehr Wesentliches beizufügen haben.
- Die Ausdehnung der Befugnisse der Parteien im Rahmen des konventions- und verfassungsmässigen Replikrechts rechtfertigt sich nur in Bezug auf die effektive Wahrheits- und Rechtsfindung.
- Die aktuell (Stand 03.09.2023) fehlende Normierung des „allgemeinen Replikrechts“ wird vom Gesetzgeber mit der ZPO-Revision (nZPO 53) nachgeholt werden.
Literatur
- BÜRKI YVONNE, Die Prozessleitung nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung – unter besonderer Berücksichtigung des konventions- und verfassungsmässigen Replikrechts, Zürich/St. Gallen 2023, S. 187 ff. + S. 223 f.
- BK-HURNI, N 39 zu Art. 53 ZPO
- DIKE-Kommentar-GÖKSU, N 9 zu Art. 53§
Judikatur
- Replikrecht / Anspruch
- BGE 133 I 100, Erw. 4.2
- BGE 114 Ia 307, Erw. 4b
- BGE 111 Ia 2, Erw. 3
- Begriff
- BGer 5A_688/2019, vom 06.11.2019, Erw. 5.3
- OGer ZH, LB130059, vom 28.02.2014, Erw. 2 («materielles Replikrecht)
- Oger ZH, LB150016, vom 02.102015, Erw. 3 («informelles Replikrecht»)
Weiterführende Informationen
Mögliche Varianten zum Ablauf des ordentlichen Verfahrens
Variante 1 | Variante 2 | Variante 3 |
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Sühnverfahren | ||
Vorbereitung der Hauptverhandlung | ||
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Hauptverhandlung
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Hauptverhandlung
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Hauptverhandlung
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Urteilsfällung |
Ablauf des ordentliches Verfahrens gemäss Variante 3
Entscheid
Nachdem feststeht, was die Parteien von der Gegenpartei und vom Richter begehren und wie und mit welchen Beweismitteln sie ihren Anspruch beweisen wollen, hat das Gericht einen Entscheid zu fällen.
Säumnis
Ist der Beklagte mit der Klageantwort säumig, muss das Gericht ihm eine kurze Nachfrist ansetzen (Art. 223 ZPO). Bleibt der Beklagte weiterhin säumig, kann das Gericht einen Endentscheid fällen, wenn die Sache spruchreif ist. Falls die Sache nicht spruchreif ist, muss das Gericht zur Verhandlung vorladen.
Bei Säumnis einer der Parteien in der Hauptverhandlung, stellt das Gericht auf die Eingaben der Parteien und die Ausführungen der anwesenden Partei ab. Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben und die Kosten den Parteien je zur Hälfte auferlegt (Art. 234 ZPO).
* Novenschranke: Bis zu diesem Zeitpunkt können neue Tatsachen und Beweise unbeschränkt vorgebracht werden. Danach nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 229 ZPO. Wird eine Instruktionsverhandlung durchgeführt, kann die Novenschranke früher greifen.