Bei den AGB stellt sich regelmässig die Frage, ob und wenn ja, inwieweit AGB-Bestimmungen verbindlich sind. Dabei ergeben sich folgende Detailpunkte:
Grundsatz: AGB-Geltung nur bei Übernahme
Für die Anwendbarkeit der AGB gilt der Grundsatz
- AGB-Geltung nur bei Übernahme
Der Individualvertrag muss eine eindeutige (ausdrückliche oder stillschweigende) (Global-)Erklärung enthalten, wonach
- bestimmte AGB ganz oder teilweise Bestandteil des Einzelvertrags bilden sollen (= Globalübernahme).
Weitere Übernahme-Varianten
Die AGB-Übernahme kann auch erfolgen durch eine entsprechende Abrede in einem:
- Rahmenvertrag
- Vorvertrag
- Änderungsvertrag (nachträgliche Übernahme von AGB)
Die Globalübernahme ist dann kein Problem, wenn die Vertragsparteien in laufenden Geschäftsbeziehungen stehen und gleiche Geschäfte immer wieder mit denselben AGB geschlossen werden.
Keine AGB-Übernahme
An einer gehörigen AGB-Übernahme fehlt es, wenn die AGB erst mit folgenden Belegen zugestellt werden:
- Lieferschein bzw. Arbeitsrapport
- Empfangsschein bzw. Quittung
- Rechnung
- Garantieschein.
Keine Allgemeinverbindlichkeit der AGB
- AGB haben keine Gesetzesqualität und sind keine Rechtsquelle besonderer Art
- AGB wirken immer nur unter den betreffenden Vertragsparteien
- AGB werden nur wirksam, wenn sie durch „Übernahme“ in den Individualvertrag Vertragsgeltung erlangen
Umfang der AGB-Geltung
Unter den Vertragsparteien kann strittig sein, ob und wann welche (bestimmten) AGB-Klauseln in den Individualvertrag übernommen wurden.
Strittige Übernahmen von AGB-Bestimmungen sind zu beantworten durch:
- Berücksichtigung des Inhalts von Rahmenverträgen und Änderungsverträgen
- Auslegung » AGB-Auslegung
Mögliche Streitpunkte:
- Nachgeschobene AGB
- Nachträgliche Änderung der AGB ohne Beteiligung des Kunden
- Sich widersprechende Lieferbedingungen und Einkaufsbedingungen (= battle of the forms)
- Abwehrklausel (Nichtanerkennung abweichender Einkaufsbedingungen) in den Lieferbedingungen?
- Vorhanden: Umstrittene Rechtsfolge:
- Sind die AGB beider Parteien nicht Vertragsbestandteil geworden?
- Erlangen nur diejenigen Bestimmungen keine Wirkung, die sich widersprechen?
- Nicht vorhanden: Umstrittene Rechtsfolge:
- Nichtgeltung der kollidierenden Bestimmungen?
- Unwirksamkeit des ganzen Vertrags (Konsens oder Dissens)?
- Vorhanden: Umstrittene Rechtsfolge:
- Nachweis, dass eine Partei (ausdrücklich oder stillschweigend) auf die Anwendbarkeit ihrer widersprechenden AGB-Bestimmungen verzichtet hat
- Abwehrklausel (Nichtanerkennung abweichender Einkaufsbedingungen) in den Lieferbedingungen?
- AGB-Kollision in unwesentlichen Vertragspunkten
- Vermutung, es liege kein wesentlicher Vertragspunkt vor (OR 2 Abs. 1)
- Übernahme und Bestandbildung des Individualvertrags steht nichts entgegen
- = Vertragslücke
- Richterliche Lückenfüllung (OR 2 Abs. 2)
Abgrenzung: Standardisierte Vertragsbestimmungen als Gegenstand von Individualverträgen
- Nicht unter die AGB-Regeln fallen vorformulierte Vertragsinhalte, die von Gesetzes wegen Wirkung erlangen, ohne dass sie der Übernahme durch die Parteien bedürfen
- Beispiel: Normative Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages (GAV)
Keine AGB-Geltung trotz Übernahme
AGB können trotz Übernahme keine Geltung erlangen, wenn sie verstossen gegen:
- Zwingendes Recht
- Gesetzliche Schranken (OR 19 Abs. 1)
Sodann können AGB aus folgenden Gründen unverbindlich sein:
- Abweichende Parteiabrede (Ausschluss einer AGB-Abrede)
- Keine Kenntnisnahme-Möglichkeit für den AGB-Adressaten (trotz Globalübernahme)
- Ungewöhnlichkeit
- Verletzung zwingender bzw. garantierter Gerichtsstand
- Fehlende AGB-Tauglichkeit, kraft gesetzlicher Anordnung
- Vertraglicher Formvorbehalt (OR 16 Abs. 1)
Weiterführende Informationen
UWG 8 und AGB
Bei der Beurteilung der AGB-Rechtslage ist die UWG-Revision 2012 und ihr Inkrafttreten, welches bezüglich der missbräuchlichen Geschäftsbedingungen (UWG 8) auf 01.07.2012 hinausgeschoben wurde:
- Altes Recht (bis 30.06.2012)
- Neues Recht (ab 01.07.2012)
Weiterführende Informationen
Altes Recht (bis 30.06.2012)
Gemäss UWG 8 (s. unten) handelt derjenige Unternehmer unlauter, der „missbräuchliche Geschäftsbedingungen“ verwendet.
Art. 8 UWG Verwendung missbräuchlicher Geschäftsbedingungen
Unlauter handelt insbesondere, wer vorformulierte allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet, die in irreführender Weise zum Nachteil einer Vertragspartei:
a. von der unmittelbar oder sinngemäss anwendbaren gesetzlichen Ordnung erheblich abweichen oder
b. eine der Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten vorsehen.
Voraussetzungen und Erläuterungen
UWG 8 verlangt für seine Anwendung folgende erläuterungsbedürftige Voraussetzungen:
UWG 8 und Voraussetzungen (gültig bis 30.06.2012) | ||
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Voraussetzungen |
Erläuterung |
Wirkung / Hinweise |
Geschäftsbedingungen[UWG 8] |
Gesetzgeber zielt auf:
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Abweichung von der gesetzlichen Ordnung[UWG 8 lit. a] |
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sinngemässe Anwendbarkeit der „Ungewöhnlichkeitsregel“ |
Vertragsnatur erheblich widersprechende Verteilung von Rechten und Pflichten[UWG 8 lit. b] |
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Merkmal der Irreführung | Täuschungsbereiche:
Täuschungsmittel:
Irrelevanz:
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Ein Teil der Lehre verlangt in Anlehnung an die EU-AGB-Richtlinie und an BGE 119 II 443 ff. insofern die Anwendung des „Transparenz-Gebots“, als vom Gesetz abweichende „Vertragsklauseln“, die ihre Abweichung nicht und klar und verständlich zum Ausdruck bringen, das Merkmal der Irreführung erfüllen |
Klagebefugnis der Verbände + Konsumentenschutz-Organisationen[UWG 10 Abs. 2 lit. a und b] | Bis anhin wurde von dieser Klagebefugnis wenig Gebrauch gemacht | Imagerisiko für AGB-verwendendes Unternehmen |