Arbeitsverhältnis-Übergang
Ein Übergang des ganzen Arbeitsverhältnisses wird von praktischer Bedeutung, wenn der Arbeitgeberbetrieb auf einen neuen Rechtsträger übergeht (sog. «Betriebsnachfolge»),
- kraft Gesetzes (Erbfolge) oder
- kraft rechtsgeschäftlicher Übertragung (sog. «Betriebsübernahme»)
Aufgrund der besonderen Regelung von OR 333 Abs. 1 – 3 erfolgt die arbeitsrechtliche Rechtsnachfolge mit dem automatischen Übergang der Arbeitsverhältnisse, sofern dieser von den Arbeitnehmern nicht abgelehnt wird.
OR 333 finden keine Anwendung, wenn Arbeitnehmer in einem anderen, nicht übergehenden Betriebsteil weiterbeschäftigt werden und daher im Dienst ihres bisherigen Arbeitgebers verbleiben.
Dem OR unterstehende Arbeitsverhältnisse
Für eine Übernahme im Sinne von OR 333 kommen nur Betriebe oder Betriebsteile in Betracht, deren Arbeitsverhältnisse vor der Betriebsübernahme (mehrheitlich) dem OR unterstehen.
Freiwilliger Betriebsübergang
Für die Anwendung von OR 333 ist der freiwillige Betriebserwerb erforderlich:
- Bei einem von Gesetzes wegen erfolgenden Betriebsübergang liegt keine Freiwilligkeit vor;
- Vorbehalten bleiben Abweichungen aufgrund
- gesetzlicher Verweisung, zB auf OR 338a Abs. 1 (Tod des Arbeitgebers) oder
- analoger Anwendung durch die Rechtsprechung.
Betrieb oder Betriebsteil
Ein Betrieb ist eine auf Dauer gerichtete, in sich geschlossene organisatorische Leistungseinheit, welche die erforderlichen materiellen, immateriellen und personellen Mittel zusammenfasst und regelmässig selbständig am Wirtschaftsleben teilnimmt. Unter diesen Begriff fällt auch der Zweigbetrieb (Zweigniederlassung) sowie die eine organisatorische Einheit darstellende Betriebsabteilung (ein Werk).
Ein Betriebsteil ist eine organisatorische Leistungseinheit, der die wirtschaftliche Selbständigkeit fehlt.
Die Ausgliederung einzelner, organisatorisch nicht zusammengefasster Aufgaben begründet keine Übertragung eines Betriebsteils. Ein blosser Haushalt gilt nicht als Betrieb.
Kein Betriebsübergang liegt vor, wenn nur die Beteiligungsverhältnisse, die Rechtsform oder die Entscheidungsträger ändern:
- Beteiligungsänderung
- Blosse Änderung der Beteiligungsverhältnisse an einer Gesellschaft (vgl. BGer, in: JAR 2002, 227);
- Rechtsformänderung
- Gesellschaft gibt sich einzig eine andere Rechtsform, ohne dass der wirtschaftliche Träger wechselt (vgl. OGer LU, in: JAR 1999, 215);
- Entscheidungsträgeränderung
- Betriebsweiterführung im Konkurs durch die Konkursverwaltung (vgl. Bachmann Roland, a.a.O., S. 62 ff. m. w. H.).
Exkurs: materiellen, immaterielle und personelle Mittel
Der Übergang von immateriellen Gütern im Falle der Übernahme von Know-how-Trägern spricht auch bei sonst betriebsmittellosen Unternehmen für die Anwendbarkeit von OR Art. 333. Verfügt das übernommene Personal nicht über spezifisches Know-how und wird gleichzeitig nicht ein wesentlicher Teil des Personals übernommen, so ist eine Betriebsübernahme dagegen abzulehnen.
Übergang
keine Rechtsbeziehung zwischen altem und neuem Arbeitgeber erforderlich
gemäss BGer genügt ein faktischer Übergang; es braucht also keinen Vertrag
Betriebsidentität
Die Betriebsidentität ist gewahrt, wenn der Betriebszweck, die Organisation und der individuelle Charakter wird im Wesentlichen gleich bleiben, d.h. wenn mit den gleichen sachlichen oder personellen Produktionsmitteln, unter Erhaltung der bisherigen Organisation die gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird. Dies ist anhand einer Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände zu beantworten
Pro/Contra Betriebsidentität
Weitere Indizien für die Bewahrung der Betriebsidentität:
- gleiche oder zumindest gleichartige Geschäftstätigkeit des Erwerbers
- Übergang von Infrastruktur (Mobiliar, EDV-Hardware, Software-Lizenzen, Mietverträgen etc.)
- Betriebsmittel
- Verbleiben in den bisherigen Geschäftsräumen
- Übergang von Kundschaft
- Übergang von Personal (ev. mit Führungsebene)
- Personell weitgehend unveränderte Geschäftsleitung
- Übergang von Geschäftsdaten
- Gleicher Markt
Nicht erforderlich ist dagegen, dass
- der Betrieb oder Betriebsteil im bisherigen Rahmen und Umfang weitergeführt wird
- die Übernahme über einen gewissen Zeitraum erfolgreich ist (wenn alle Kunden abspringen, weil sie mit dem Erwerber keine Geschäfte machen wollen, spricht das nicht gegen eine Übernahme)
- die Übertragung sämtlicher Aktiven und Passiven
- der bisherige Rechtsträger liquidiert wird.
Literatur
- Allgemein
- Staehelin Daniel, Überblick über die Neuerungen im Sanierungsrecht, AJP 2013, S. 1735 ff., 1741
- Betriebsidentität
- Streiff Ullin / von Kaenel Adrian / Rudolph Roger, a.a.O., N 4 zu Art. 333 OR
- Freiwilliger Betriebsübergang
- Portmann-Rudolph-BSK OR I, Basel 2020, N 6 zu Art. 333 OR
- Bachmann Roland, Das Arbeitsverhältnis im Konkurs des Arbeitsgebers, Diss. Zürich 2004, Bern 2005, S. 62 ff. m. w. H.
Judikatur
- Betrieb
- BGE 129 III 336
- Betriebsidentität (Zweck + Organisation)
- BGE 137 III 487, Erw. 4.4
- BGE 136 III 555
- BGE 129 III 335, Erw. 2
- BGer, JAR 2002, 228
- Ausreichend, wenn dieselbe oder eine gleichartige Geschäftstätigkeit vom neuen Inhaber tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird
- BGE 137 III 487, Erw. 4.4
- BGE 129 III 335, Erw. 2.1
- Gleichartige Geschäftstätigkeit vom neuen Inhaber tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird
- BGE 137 III 487, Erw. 4.4
- BGE 129 III 335, Erw. 2.1
- Betriebsteil muss eine organisatorische Einheit darstellen
- BGE 129 III 335, Erw. 2.1
- Zulässigkeit der Kündigung, wenn sie durch wirtschaftliche Gründe, wie namentliche eine Restrukturierung, gerechtfertigt ist
- BGE 136 III 552, Erw. 3.3
- Blosse Beteiligungsänderung
- BGer, in: JAR 2002, 227
- Blosse Rechtsformänderung
- OGer LU, in: JAR 1999, 215