Das Verfahren der amtlichen Verteidigung wird durch folgende Aspekte bestimmt:
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Erste Einvernahme
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Information über Recht des Anwalts-Beizugs
- Die Polizei und / oder die Staatsanwaltschaft haben den Beschuldigten zu Beginn der ersten Einvernahme u.a. darüber zu informieren,
- eine Verteidigung zu bestellen oder
- eine amtliche Verteidigung zu beantragen (vgl. StPO 158 Abs. 1)
- Die Polizei und / oder die Staatsanwaltschaft haben den Beschuldigten zu Beginn der ersten Einvernahme u.a. darüber zu informieren,
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Einsetzung der amtlichen Verteidigung
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Zuständigkeit Verfahrensleitung
- Die im jeweiligen Verfahrensstadium zuständige Verfahrensleitung hat die amtliche Verteidigung zu bestellen (vgl. StPO 133 Abs. 1)
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Auswahl der amtlichen Verteidigung
- Nach Möglichkeit sollen auch die Wünsche des Beschuldigten berücksichtigt werden
- Geplant ist, dass auch die Eignung des Verteidigers ein Auswahlkriterium bildet
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Beginn Vorverfahren
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Anspruch auf amtliche Verteidigung von Beginn an
- Falls die Voraussetzungen gegeben sind, besteht der Anspruch auf amtliche Verteidigung ab Beginn des Vorverfahrens
- Entsprechend greift der Anspruch nicht erst mit Eröffnung der Strafuntersuchung
- Falls die Voraussetzungen gegeben sind, besteht der Anspruch auf amtliche Verteidigung ab Beginn des Vorverfahrens
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Verteidigungsrecht ab Einleitung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens
- Die Einleitung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens verlangt einen hinreichenden Tatverdacht (vgl. StPO 299 Abs. 2)
- Bereits in diesem Verfahrensstadium muss sich der Beschuldigte
- gegen die erhobenen Vorwürfe zur Wehr setzen können und
- von seinen Rechten auf Verteidigung Gebrauch machen können
- Bereits in diesem Verfahrensstadium muss sich der Beschuldigte
- Die Einleitung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens verlangt einen hinreichenden Tatverdacht (vgl. StPO 299 Abs. 2)
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Beginn
- Allgemein
- Die amtliche Verteidigung beginnt mit der Gesuchseinreichung und nicht mit der Gutheissung des Gesuchs
- Anwaltliche Bemühungen im Zusammenhang einer gleichzeitig Verteidigungsgesuch eingereichten Rechtsschrift gelten als inkludiert (vgl. BGE 120 Ia 14, Erw. 3d)
- Die amtliche Verteidigung beginnt mit der Gesuchseinreichung und nicht mit der Gutheissung des Gesuchs
- Regelfall
- Keine rückwirkende Gewährung der amtlichen Verteidigung bzw. Übernahme der Kosten aus der Zeit vor der Gesuchseinreichung
- Ausnahme
- Gleichzeitig Einreichung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtsverbeiständung mit einer zeitlich dringenden und sachlich zwingend erforderlichen Prozesshandlung (vgl. BGE 122 I 203, Erw. 2f)
- Allgemein
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Gesuch pro Verfahrensstadium
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Allgemeines
- In der Bewilligung der amtlichen Verteidigung bezeichnet die Verfahrensleitung
- Beginn der amtlichen Verteidigung
- Dauer der amtlichen Verteidigung
- Die Erteilung der Bewilligung ist möglich
- Auf Zusehen hin
- In der Bewilligung der amtlichen Verteidigung bezeichnet die Verfahrensleitung
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Anknüpfung an den Verfahrensabschnitt
- Zuständig für den Entscheid betreffend die Anordnung einer amtlichen Verteidigung ist die Verfahrensleitung (vgl. StPO 133 Abs. 1; siehe Box unten)
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Pro Verfahrensstadium ein neues Gesuch
- Weil die zuständige Verfahrensleitung über die amtliche Verteidigung zu entscheiden hat, muss grundsätzlich für jedes Verfahrensstadium ein neues Gesuch gestellt werden (vgl. BGer 1B_705/2011, Erw. 2.3)
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Rechtsmittelverfahren
- Anknüpfung den Verfahrensabschnitt und Entscheidungsbefugnis der Verfahrensleitung gilt insbesondere für das Rechtsmittelverfahren
- Trotz des Gebots einer gewissen Zurückhaltung sind die Erfolgschancen eines Rechtsmittels zu berücksichtigen (vgl. BGer 1B_80/2019, Erw. 2)
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Wahlrecht des Beschuldigten?
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Kein eigentliches Wahlrecht
- Der Beschuldigte hat zwar Anspruch auf eine amtliche Verteidigung, nicht aber auf ein Wahlrecht hinsichtlich der Person des amtlichen Verteidigers
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Vorschlagsrecht
- Grundlage
- Nach Möglichkeit wird die Verfahrensleitung bei der Verteidiger-Bestellung die Wünsche des Beschuldigten berücksichtigen (vgl. StPO 133 Abs. 1; siehe Box unten)
- Grundsatz
- Keine strikte Befolgungspflicht
- Ausnahme
- Die Rechtsprechung gesteht dem Beschuldigten in Ausnahmefällen ein Wahlrecht zu
- zB Vorbefassung des Rechtsanwalt (im vorangegangen Verfahren)
- zB bei besonderem Vertrauensverhältnis von Beschuldigtem und Rechtsanwalt
- zB Beizug eines ausserkantonalen Rechtsanwalts (BGer 2C_79/2013, Erw. 2.2.1)
- Die Rechtsprechung gesteht dem Beschuldigten in Ausnahmefällen ein Wahlrecht zu
- Grundlage
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Abweichung vom Beschuldigten-Vorschlag
- Ein Abweichen vom Beschuldigten-Vorschlag erfordert einen sachlichen Grund (vgl. BGE 139 IV 113, Erw. 4.3)
- zB Mandatsablehnung durch den vorgeschlagenen Verteidiger
- zB Arbeitsüberlastung
- zB Interessenkonflikt
- zB Fehlende fachliche Qualifikation des Verteidigers
- Ein Abweichen vom Beschuldigten-Vorschlag erfordert einen sachlichen Grund (vgl. BGE 139 IV 113, Erw. 4.3)
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Einmaliges Vorschlagsrecht
- Das Vorschlagsrecht kann in der Regel einmal – zu Beginn des Verfahrens – geltend gemacht werden (BGer 1B_178/2013, Erw. 2)
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Verzicht des Beschuldigten auf Verteidigung
- Verzichtet der Beschuldigte anfänglich auf die Benennung eines amtlichen Verteidigers
- Vgl. auch BGer 1B_419/2017, Erw. 2.5
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Anwaltspflicht zur Übernahme von Verteidigungen
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Pflicht zur Annahme amtlicher Verteidigungen
- Das Recht des Beschuldigten auf eine amtliche Verteidigung entspricht der Pflicht der Rechtsanwälte, amtliche Verteidigungen und unentgeltliche Rechtsvertretungen zu übernehmen (vgl. BGFA 12 lit. g)
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Keine Ablehnungsmöglichkeit
- Wirtschaftliche Interessen gelten nicht als Grund, alle Verteidigungsmandate abzulehnen (vgl. BGer 2P.248/2001, Erw. 2e)
- Kein überwiegendes Interesse des Anwalts, die Mandatsannahme ablehnen zu können aus folgenden Gründen
- Gesetzliche Grundlage
- Öffentliches Interesse
- Verhältnismässigkeit
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Verteidigungsmonopol der Anwälte
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Grundsatz: Ernennung eines patentierten Anwalts
- Zur Vertretung des Beschuldigten – im Rahmen einer Verteidigung – vor Gericht sind bloss patentierte Rechtsanwälte zugelassen (vgl. StPO 127 Abs. 5)
- Vgl. BGE 132 V 200, Erw. 5.1.4
- Zur Vertretung des Beschuldigten – im Rahmen einer Verteidigung – vor Gericht sind bloss patentierte Rechtsanwälte zugelassen (vgl. StPO 127 Abs. 5)
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Ausnahme: Ernennung eines Anwaltspraktikanten
- Zulässig,
- solange das Recht auf eine wirksame Verteidigung gewährleistet ist
- selbst dann, wenn die Höhe der Strafandrohung gerade die Berufung eines patentierten Rechtsanwalts als angezeigt erscheinen lässt (vgl. BGE 126 I 194, Erw. 3a – 3c)
- Keine Verletzung der konventions- und verfassungsmässigen Garantien
- Zulässig,
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Literatur
- OBERHOLZER NIKLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Auflage, Bern 2020, S. 153 ff., Rz 473 ff.
- Leitfaden „Amtliche Mandate“ der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, 1.1.2016 (Ziff. E. 1.3. geändert am 23.10.2020), Version: 2.1 Auflage
Judikatur
- Beginn Vorverfahren
- BGE 120 Ia 14, Erw. 3d
- BGE 122 I 203, Erw. 2f
- Gesuch pro Verfahrensstadium
- BGer 1B_705/2011, Erw. 2.3
- BGer 1B_80/2019, Erw. 2
- Wahlrecht des Beschuldigten?
- BGer 2C_79/2013, Erw. 2.2.1
- BGE 139 IV 113, Erw. 4.3
- BGer 1B_178/2013, Erw. 2
- Verzicht des Beschuldigten auf Verteidigung
- BGer 1B_419/2017, Erw. 2.5
- Anwaltspflicht zur Übernahme von Verteidigungen
- BGer 2P.248/2001, Erw. 2e
- Verteidigungsmonopol der Anwälte
- BGE 132 V 200, Erw. 5.1.4
- BGE 126 I 194, Erw. 3a – 3c
Link
- Anwälte | anwaelte.ch
Art. 299 StPO Begriff und Zweck
1 Das Vorverfahren besteht aus dem Ermittlungsverfahren der Polizei und der Untersuchung der Staatsanwaltschaft.
2 Im Vorverfahren werden, ausgehend vom Verdacht, es sei eine Straftat begangen worden, Erhebungen getätigt und Beweise gesammelt, um festzustellen, ob:
- gegen eine beschuldigte Person ein Strafbefehl zu erlassen ist;
- gegen eine beschuldigte Person Anklage zu erheben ist;
- das Verfahren einzustellen ist.
Art. 133 StPO Bestellung der amtlichen Verteidigung
1 Die amtliche Verteidigung wird von der im jeweiligen Verfahrensstadium zuständigen Verfahrensleitung bestellt.
2 Die Verfahrensleitung berücksichtigt bei der Bestellung der amtlichen Verteidigung nach Möglichkeit die Wünsche der beschuldigten Person.