Grundsatz
Im Strafprozess ist es möglich, dass eine durch eine Straftat geschädigte Person zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter, die als Folge der Straftat entstanden sind, im Rahmen des Strafverfahrens geltend machen kann (sog. Adhäsionsklage). Dem Strafprozess wird dabei ein sich auf den gleichen Sachverhalt beziehender Zivilprozess angehängt.
Das Adhäsionsverfahren will vermeiden, dass in der gleichen Angelegenheit zwei Prozesse geführt werden müssen und bietet deshalb die Möglichkeit, Zivilforderungen im Strafverfahren mit zu behandeln.
Voraussetzungen
Voraussetzungen für die Geltendmachung des Zivilanspruchs sind:
- Zivilanspruch leitet sich aus Straftat ab
- Kausalzusammenhang Straftat / Zivilanspruch
- Zivilanspruch richtet sich gegen Beschuldigten
- Konstituierung des Geschädigten als Privatkläger im Strafprozess
Die Konstituierung als Privatkläger erfolgt durch die ausdrückliche Erklärung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilkläger beteiligen zu wollen (StPO 118).
Die Staatsanwaltschaft ist dabei verpflichtet, die zur Beurteilung der Zivilklage erforderlichen Beweise zu erheben, sofern das Strafverfahren dadurch nicht wesentlich erweitert oder verzögert wird (StPO 313). Der Privatkläger profitiert dabei in erheblichem Masse von dieser Untersuchungspflicht, da sie eine effiziente und weitreichende Sachverhaltsabklärung und Beweisbeschaffung erlaubt. Zudem ist seine Substantiierungspflicht – anders als im Zivilprozess – erheblich eingeschränkt.
Vorteile und Nachteile der Adhäsionsklage
Vorteile
- Vermeidung eines Streits auf mehreren Fronten
- nur ein statt zwei Verfahren
- Effiziente, schnellere sowie kostengünstige Sachverhaltsabklärung und Beweismittelbeschaffung durch strafprozessuale Zwangsmassnahmen
- Hausdurchsuchung
- Beschlagnahme
- Verwendung der Beweismittel in einem allfälligen Zivilprozess zulässig (unabhängig vom Ausgang des Strafprozesses!)
- Frühzeitige und umfassende Akteneinsicht möglich
- Geringe Anforderungen an Begründung/Substantiierung des Anspruchs an der Hauptverhandlung
- Geringes Prozessrisiko – es „droht“ nur Verweisung auf den Zivilweg bei:
- Einstellung des Verfahrens
- ungenügender Bezifferung/Begründung des Anspruchs
- Rückzug ohne Anspruchsverlust bis zum Abschluss der Hauptverhandlung möglich
Nachteile
- Abhängigkeit von den Strafbehörden
- ev. fehlende Fachkunde des Strafbehörden
- Einbezug Dritter erschwert
- Verzögerung / Verkomplizierung des Verfahrens
- Eventuelle Verweisung auf den Zivilprozess
Entscheid über den Zivilanspruch
Das mit der Adhäsionsklage befasste Strafgericht muss über den Zivilanspruch einen Entscheid fällen. Es bieten sich folgende Möglichkeiten an (StPO 126):
- Materieller Entscheid über den Zivilanspruch bei:
- Schuldspruch
- Freispruch und Spruchreife des Zivilanspruchs
- Verweisung auf den Zivilweg bei:
- Einstellung des Strafverfahrens
- Erledigung des Strafverfahrens durch Strafbefehl
- Unzureichender Bezifferung / Begründung des Zivilanspruchs
- Freispruch des Beschuldigten und fehlender Spruchreife des Zivilanspruchs
- Grundsatzentscheid im Zivilpunkt und Verweis auf das Zivilgericht, wenn die Beurteilung der Zivilklage mit einem unverhältnismässigem Aufwand verbunden ist (Schadensbestimmung, etc.)
Weitere Durchsetzungsmöglichkeiten
Verwendung / Einziehung zugunsten des Geschädigten
Der Geschädigte kann vom Gericht verlangen, dass gegen Abtretung seiner im Strafurteil zugesprochenen Zivilforderung die vom Verurteilten bezahlte Geldstrafe/Busse oder eingezogene Vermögenswerte ihm zuzusprechen sind (StGB 73).
Die Voraussetzungen sind, dass der Schaden nicht durch eine Versicherung gedeckt wird und davon ausgegangen werden kann, dass der Täter den Schadenersatz nicht leisten wird.
Gesonderter Zivilprozess
Dem Geschädigten steht stets auch die Möglichkeit offen, seine Zivilansprüche im ordentlichen Zivilprozess geltend zu machen. Gründe für einen gesonderten Zivilprozess und gegen ein Strafverfahren mit Adhäsionsklage sind:
- Strafverfahren soll als Druckmittel aufgespart werden
- Vermeidung von Publizität (Strafprozesse sind publikumsöffentlich!)
Verhältnis Strafrecht / Zivilrecht
OR 53 regelt den Grundsatz, dass der Zivilrichter nicht an das Strafurteil gebunden ist. Dies gilt sowohl für Sachverhalts- wie Rechtsfragen. Diese Nichtbindung des Zivilrichters kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn das Strafgericht auf Freispruch erkannt hat. Ein Freispruch steht der Zusprechung von Schadenersatz im Zivilprozess grundsätzlich nicht im Weg, was auch bei Verfahrenseinstellungen gilt.
Sowohl die Verfahrenseinstellung als auch ein Freispruch des Beschuldigten können im Zivilprozess aber als Indiz gewertet werden (BGE 4A_59/2009). Aus Zweckmässigkeitsgründen wird das Zivilgericht deshalb nicht ohne Grund von den Erkenntnissen des Strafgerichts abweichen.
Judikatur
- BGer 6B_1310/2021 vom 15.08.2022 = BGE 148 IV 432 ff. (Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen im Adhäsionsprozess unzulässig)
- BGer 4A_417/2021 vom 01.09.2022 = BGE 148 III 401 ff. (keine Verjährungsunterbrechung des vertraglich begründeten Anspruchs durch Adhäsionsklage)