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AHV-Haftung

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Haftpflichtige Person

Rechtsgebiet:
AHV-Haftung
Stichworte:
AHV-Haftung / AHVG 52
Autor:
Bürgi Nägeli Rechtsanwälte
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Haftpflichtige Person: Arbeitgeber oder Organ

Obervoraussetzungen:

  1. Haftpflichtige Person (Arbeitgeber bzw. Organ)
  2. Keine Verjährung

Haftungsvoraussetzungen:

  1. Schaden
  2. Pflichtwidrigkeit
  3. Verschulden
  4. Kausalzusammenhang

Ausgangslage

AHVG 52 nennt den Arbeitgeber als Haftpflichtigen.

Die Praxis erkannte den Begriff „Arbeitgeber“ als auslegungsbedürftig und entwickelte in der Folge eine (in der Lehre teilweise umstrittene) Kaskadenhaftung in Form einer

  • Primärhaftpflicht des Arbeitgebers
  • Sekundärhaftpflicht der Arbeitgeberorgane

Natürliche Person als Arbeitgeber – Primärhaftpflicht

Ist der Arbeitgeber eine natürliche Person

  • als Einzelunternehmen im Handelsregister eingetragen oder
  • nicht als Einzelunternehmen im Handelsregister eingetragen

ist diese Person stets auch AHVG 52-haftpflichtige Person, sei es aufgrund

  • Verwirkung der Beitragsforderungen oder
  • Zahlungsunfähigkeit.

Juristische Person als Arbeitgeber – Primär- oder Sekundärhaftpflicht

Ist der Arbeitgeber eine juristische Person, ist zu unterscheiden:

  • Regel: Erfolgt der Schadenseintritt aufgrund Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person und sind die AHV-Beiträge (vorbehältlich einer Konkurs- bzw. Nachlassdividende) deshalb nicht mehr einbringlich, werden die Arbeitgeberorgane persönlich haftpflichtig (Sekundärhaftung).
  • Ausnahme: Erfolgt der Schadenseintritt aufgrund Verwirkung der Beitragsforderungen, die juristische Person ist aber nach wie vor zahlungsfähig, ist die juristische Person haftpflichtig (Primärhaftung).

Arbeitgeberorgane

Als haftpflichtige Arbeitgeberorgane kommen in Betracht:

  • formelle Organe mit Oberaufsichtsfunktion über Geschäftsleitung
  • anderweitige formelle Organe
    • Revisionsstelle
    • Liquidatoren
    • Sachwalter (begrenzt)
  • materielle Organe
  • faktische Organe

Achtung:
Stirbt ein Organ (vor oder nach Erlass der Schadenersatzverfügung), geht die Schadenersatzschuld auf die Erben über.

Vgl. hiezu

  • BGer 9C_679/2009 vom 03.05.2010, Erw. 3
  • BGer 5A_860/2016 vom 09.10.2017

Gemäss Rechtsprechung ist das rechtsgültig gewählte, formelle Organ, welches zur Oberaufsicht der Geschäftsleitung verpflichtet ist (oberstes Exekutivorgan), Haftungssubjekt (vgl. BGE 123 V 15; EVG v. 13.11.01, H 200/01).

Aktiengesellschaft Jedes Verwaltungsratsmitglied persönlich ist zur Oberaufsicht über die Geschäftsleitung verpflichtet (OR 716a Ziff. 1) und damit Haftungssubjekt (vgl. BGE 123 V 15).
GmbH Jeder geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH ist Haftungssubjekt (vgl. EVG v. 13.11.01, H 200/01).
Stiftung Jedes Stiftungsratsmitglied für sich ist Haftungssubjekt (vgl. EVG v. 30.07.2001, H 14/00)
Verein Jedes Vereinsvorstandsmitglied für sich ist Haftungssubjekt (vgl. EVG v. 13.11.01, H 200/01).
Genossenschaft Jedes Genossenschaftsverwaltungsmitglied für sich ist Haftungssubjekt (vgl. EVG v. 18.04.05, H 235/04).

Die Revisionsstelle ist zwar weder zum Bezug bzw. zur Ablieferung von AHV-Beiträgen verpflichtet noch hat sie eine eigentliche Oberaufsichtsfunktion über die Geschäftsführung, trotzdem kann sie gemäss (teilweise umstrittener) Gerichtspraxis als formelles Organ Haftungssubjekt sein, wenn sie ihre Pflichten grob verletzt hat.

Sachwalter beim Konkursaufschub

Wird ein Konkursaufschub gewährt (OR 725a II), kann der richterlich ernannte Sachwalter durch eigenes oder in Auftrag gegebenes Handeln bzw. durch entsprechende Unterlassung Haftungssubjekt werden.

Achtung:
Die Dispositionsbefugnis der Arbeitgebergesellschaft hinsichtlich AHV-Beitragsleistungen wird durch die Einsetzung eines Sachwalters aufgrund eines Konkursaufschubs ansonsten – vorbehältlich einer anderen Anordnung des Richters – nicht eingeschränkt, womit die Arbeitgeberorgane haftpflichtig bleiben.

Sachwalter im Nachlassverfahren

Ein im Nachlassverfahren eingesetzter Sachwalter ist nicht Haftungssubjekt, weil für dessen Amtshandlungen in der Regel ausschliesslich der Kanton haftet (Art. 295 SchKG, Art. 5 SchKG; umstritten).

Materielles Organ ist, wem formellen Organen zustehende Aufgaben durch Delegationsakt (AG: Statuten und Organisationsreglement) übertragen sind, wobei (für die AHVG 52-Haftung) der delegierte Aufgabenkatalog das AHV-Beitragswesen umfassen muss.

Direktoren

Direktoren, d.h. Geschäftsführer, die selbst nicht Verwaltungsratsmitglieder sind, sind materielle Organe (nicht formelle).

Delegierte

Delegierte, d.h. Verwaltungsratsmitglieder als Geschäftsführer, sind aufgrund ihrer Stellung als Verwaltungsratsmitglieder bereits formelle Organe (und daher nicht materielle).

Prokuristen / Handlungsbevollmächtigte

Prokuristen und andere Handlungsbevollmächtigte sind keine formellen Organe. Weil Ihnen zudem keine Geschäftsführungsbefugnisse übertragen werden, sind sie auch keine materiellen Organe (allenfalls aber faktische Organe).

Faktisches Organ ist, wer formellen Organen vorbehaltene Entscheide trifft oder die eigentliche Geschäftsführung besorgt und damit die Willensbildung der Gesellschaft massgebend bestimmt.

Die Rechtsprechung verlangt dabei, dass die Person in eigener Verantwortung eine dauernde Zuständigkeit für gewisse das Alltagsgeschäft übersteigende und das Geschäftsergebnis beeinflussende Entscheide wahrnimmt (vgl. BGE 128 III 29 zur aktienrechtlicher Verantwortlichkeit).

Achtung:
Nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen können faktische Organe sein.

Verdeckte Verwaltungsräte

Unter verdeckten Verwaltungsräten sind Personen zu verstehen, die nicht formell in den Verwaltungsrat gewählt sind, aber dem Verwaltungsrat vorbehaltende Entscheide fällen (vgl. BGE 114 V 79) und damit als faktische Organe zu qualifizieren sind.

Allein- oder Hauptaktionär

Ein Allein- oder Hauptaktionär kann faktisches Organ sein, wenn er sich über einen Mittelsmann im Verwaltungsrat in die Geschäftsführung einmischt.

Hausbank

Eine Hausbank wurde als faktisches Organ betrachtet, weil sie sich im Rahmen einer  Globalzession ausbedungen hat, über die Begleichung von Forderungen selbständig zu bestimmen und sich dann weigerte, AHV-Beiträge zu bezahlen (EVG v. 03.02.2000, H 103/99).

Zeitliche Beschränkung der Haftung

Dauer der Organstellung

Ein (formelles, materielles oder faktisches) Organ haftet grundsätzlich nur für AHV-Beiträge, die während der Organstellung entstehen und fällig werden, denn nur bezüglich dieser kann es eine Zahlung an die Ausgleichskasse veranlassen.

Massgebend für die Haftbarkeit ist damit grundsätzlich

  • effektiver Eintritt in die Organstellung
  • effektiver Austritt aus der Organstellung

1. Ausnahme

Mit der Übernahme einer Organfunktion wird nicht nur die Verantwortung für die Bezahlung künftiger AHV-Beiträge übernommen, sondern auch jene für die Begleichung in der Vergangenheit nicht bezahlter Beiträge.

2. Ausnahme

Eine Haftung des bereits ausgetretenen Organs für nach dem Austritt fällig werdende Beiträge kommt in Betracht, wenn das Organ während seiner Amtszeit die kausale Ursache dafür setzte, dass solche Beiträge nicht bezahlt werden können (Beispiel: Unterlassene Anzeige einer wesentlichen Lohnsummen-Erhöhung).

Massgebend ist beim Verwaltungsratsmandat

  • Datum Eintritt in Verwaltungsrat, spätestens Handelsregistereintrag
  • Datum
    • Rücktritt (trotz allfälligen Andauerns des Vertragsverhältnisses)
    • Nichtwiederwahl
    • Verzichts auf Wiederwahl
    • Abberufung
    • Handlungsunfähigkeit
    • Tod

Mit der Konkurseröffnung entfällt die Dispositionsbefugnis der Organe über das Vermögen der Gesellschaft, diese obliegt nunmehr der Konkursverwaltung (bzw. Gläubigergesamtheit). Damit haftet für die nach der Konkurseröffnung entstehenden Beitragsschulden die Konkursmasse und nicht der Konkursit.

Mit der Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven, fällt die Dispositionsbefugnis an die Arbeitgebergesellschaft zurück. Wird der Betrieb bis zur endgültigen Auflösung weitergeführt, haftet die Gesellschaft in Liquidation bzw. deren Organe für die nach Einstellung des Konkursverfahrens fällig werdenden AHV-Beiträge.

Die Dispositionsbefugnis hinsichtlich AHV-Beitragsleistungen wird durch die Einsetzung eines Sachwalters – vorbehältlich anderer Anordnung des Richters bzw. Sachwalters –  nicht eingeschränkt,  womit die Haftpflicht des Arbeitgeberorgans weiterbesteht.

Die Dispositionsbefugnis hinsichtlich AHV-Beitragsleistungen wird durch den Konkursaufschub (OR 725a) – vorbehältlich anderer Anordnung des Richters – nicht eingeschränkt, womit die Haftpflicht des Arbeitgeberorgans weiterbesteht.

Wird eine Arbeitgebergesellschaft anderweitig als durch Konkurs aufgelöst und liquidiert, treten die Liquidatoren an die Stelle der Organe für die während der Liquidation fällig werdenden AHV-Beiträge.

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