Eine einfache Gesellschaft kann wie folgt entstehen:
- bewusst und gewollt, aufgrund übereinstimmender gegenseitiger Willenserklärungen
- unbewusst, ungewollt oder auch ohne übereinstimmende gegenseitige Willenserklärung
- vgl. hiezu auch: Einfache Gesellschaft als Subsidiärform
Deshalb kommt es in der Rechtspraxis immer wieder vor, dass eine Diskrepanz zwischen der gewollten und der tatsächlich bestehenden Rechtslage besteht:
- Parteien wollten sich nicht rechtlich binden
- Parteien meinten, sie würden eine andere rechtliche Bindung eingehen, als sie dann tatsächlich eingegangen sind.
Nachfolgend sollen die Fälle der ungewollten einfachen Gesellschaften kurz beleuchtet werden:
Entstehung einer ungewollten einfachen Gesellschaft
- Annahme der Parteien, es liegen Schuld- bzw. Austauschvertrag, obwohl eine einfache Gesellschaft vorliegt
Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsverhältnissen
- Allgemein
- Trotz willensunabhängiger Entstehung der einfachen Gesellschaft
- Einfache Gesellschaft vs. andere Gesellschaftsformen
- Auslegung der Kriterien, oft nur bei Gründungsgesellschaften und Vorgesellschaften notwendig
- Einfache Gesellschaft vs. andere Schuldverträge
- Im konkreten Einzelfall zwar möglich, aber schwierig
- Zweckverfolgung bedeutet tendenziell das Vorliegen einer Gesellschaft
Erscheinungsformen
- Allgemein
- „Ungewollte einfache Gesellschaft“ als subsidiäre Gesellschaftsform
- Hauptsächliche Anwendungsfälle
- Gründungsgesellschaft
- = Vereinbarung von Parteien, eine Gesellschaft wie Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Genossenschaft zu gründen, wobei die Gründungsgesellschaft mit der Entstehung der Zielgesellschaft endet
- Vorgesellschaft
- = Gründungsgesellschaft bei der die statutarischen Gründungsvoraussetzungen erfüllt sind und noch der Handelsregistereintrag fehlt
- Gründungsgesellschaft
Problematik bei der ungewollten Gesellschaftsbildung
- Allgemein
- Automatische Entstehung
- Für die Entstehung einer subsidiären einfachen Gesellschaft bedarf es nur der objektiven Voraussetzungen, d.h. Entstehung, sofern nicht die Voraussetzungen einer anderen Gesellschaftsform erfüllt sind, nicht aber des Willens der Gesellschafter, eine einfache Gesellschaft einzugehen
- Fehlende Erkennbarkeit
- Die Parteien erkennen nicht, dass ihr Rechtsverhältnis eine „einfache Gesellschaft“ darstellt
- Automatische Entstehung
- Fehlende Erkennbarkeit
- Die Parteien müssen sich nicht nur mit den Kriterien einer einfachen Gesellschaft auseinandersetzen, sondern womöglich noch das Vertragswerk auslegen und die zutreffende Auslegungsregel anwenden
- Bei der Subsidiärform sind die Parteien mit rechtlichen Tatsachen konfrontiert, bei denen nicht einmal eine Vereinbarung getroffen wurde
Lücke
- Allgemein
- Es stellt sich die Frage, ob Lücken bei den ungewollten einfachen Gesellschaften wie bei Verträgen zu füllen sind
- Verträge
- Bei lückenhaften Verträgen kommt primär das dispositive Recht zur Anwendung
- Auslegung von Vertrag oder Tatsachen
- ungewollte einfache Gesellschaft
- Grundsatz
- Anwendung der richterlichen Vertragsergänzung mit Bezug auf die Normen des jeweils gewollten Rechtsverhältnisse im Verhältnis zur ungewollten einfachen Gesellschaft
- Schranken
- Allgemeine Grundsätze des Rechtsschutzes und Vertrauensschutzes
- Grundsatz
Aussen- und Innenverhältnis
- Allgemein
- Massgeblichkeit der Grundsätze Rechtsschutzes
- Aussenverhältnis
- Beachtung der Inhaltsschranken (OR 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1) und des Vertrauensschutzes, namentlich gegenüber gutgläubigen Dritten
- Innenverhältnis
- Abgesehen von folgenden, zwingend zu beachten Bezugspunkten ergibt sich nichts spezielles:
- Kontrollrechte des von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafters
- Bestimmungen, die mit der Rechtsnatur der einfachen Gesellschaft in Zusammenhang stehen
- Abgesehen von folgenden, zwingend zu beachten Bezugspunkten ergibt sich nichts spezielles:
Stellvertretung
- Im Aussenverhältnis gilt im Gründungsstadium die Vermutungsfolge von OR 543 Abs. 3 (Vertretungsermächtigung aller Gesellschafter gegenüber Dritten)
Haftung aus der ungewollten einfachen Gesellschaft
- Der Vertrauensschutz führt dazu, dass in Fällen der Personenverbindungen im Stadium der Gründung die persönliche und solidarische Haftung nicht ohne ausdrückliche (nachträgliche) Vereinbarung mit dem Dritten wegbedungen werden kann
- Eine andere Annahme würde zu einer gegen das Vertrauensprinzip verstossende Schlechterstellung führen
Ende der ungewollten Gesellschaft
- Entstehung der zu gründenden Gesellschaft
Fazit
- Bei der ungewollten einfachen Gesellschaft stellt sich bei der Beurteilung von Unklarheiten stets die Frage nach dem zu beachtenden Rechtsschutz und Vertrauensschutz der Dritten.
Literatur
- Allgemein
- KELLER MARCEL, Die ungewollte einfache Gesellschaft, Diss. Basel, Berlin 2003, 221 S.
- Gründungsgesellschaft
- VON STEIGER WERNER, SPR, S. 339
- Vorgesellschaft
- VON STEIGER WERNER, SPR, S. 340
Judikatur
- Gründungsgesellschaft
- —
- Vorgesellschaft
- BGE 95 I 276
- BGE 85 I 128
- BGE 63 II 295
- Fehlender animus societatis
- BGer A4_421/2020 vom 26.02.2021