Auslegungsregeln machen die Auslegung transparenter und nachvollziehbarer und erhöhen dadurch die Akzeptanz der Auslegung durch die Parteien:
Begriff
- Auslegungsregeln = Anknüpfungspunkte, nach denen die Auslegung des Vertrages zu erfolgen hat
Grundlagen
- Basisnormen
- OR 18 (Vertragsauslegung, Vertragsergänzung, Vertragsanpassung, Simulation + Rechtsschein)
- ZGB 2 (Handeln nach Treu und Glauben)
- Dispositive Sonderanordnungen des Gesetzgebers
- OR 68 (Vermutung der persönlichen Leistungspflicht des Schuldners)
- OR 72 (Vermutung für ein Wahlrecht des Schuldners)
- OR 160 Abs. 1 (Vermutung, dass bei einer Konventionalstrafenabrede die Vertragsstrafe und Realerfüllung nur alternativ gefordert werden können)
- OR 172 (Vermutung, dass eine Abtretung zahlungshalber und nicht an Zahlungsstatt erfolgt
- OR 173 (Vermutung, dass der Abtretende keine Gewähr über den empfangenen Gegenwert hinaus übernehmen)
- OR 313 Abs. 1 (Vermutung gegen die Verzinslichkeit des nichtkaufmännischen Darlehens)
- Verkehrssitte kraft gesetzlicher Verweisung
- OR 81 Abs. 1
- OR 112 Abs. 2
- OR 124 Abs. 3
- OR 189 Abs. 1
- OR 314 Abs. 1
Ziel
- Die Auslegungsregeln haben folgendes zum Ziel
- Objektivierung der Auslegung
- Akzeptanz der Auslegung durch die Parteien
- Rechtssicherheit
Einzelne Auslegungsregeln
- Auslegung ex Tunc
- Massgebend für die Vertragsauslegung ist die Situation der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
- Systematische Auslegung
- Der Gesamtkontext eines Vertrages muss bei der Auslegung im Auge behalten werden
- Auslegung nach Treu und Glauben
- Die Auslegung muss dem Grundsatz von Treu und Glauben folgen
- Darf aber einen unausgeglichenen, für eine Partei „unfairen“ Vertrag nicht korrigieren
- Die Auslegung muss dem Grundsatz von Treu und Glauben folgen
- Gesetzeskonforme Auslegung
- Zwingendes Recht
- Darf nicht verletzt werden
- Dispositives Recht
- Wer von dispositiven Gesetzesrecht abweichen will, hat dies mit hinreichender Deutlichkeit zu tun (BGE 133 III 607 E. 2.)
- Zwingendes Recht
Gesetzestexte
Art. 18 OR D. Auslegung der Verträge, Simulation
D. Auslegung der Verträge, Simulation
1 Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen.
2 Dem Dritten, der die Forderung im Vertrauen auf ein schriftliches Schuldbekenntnis erworben hat, kann der Schuldner die Einrede der Simulation nicht entgegensetzen.
Art. 2 ZGB B. Inhalt der Rechtsverhältnisse / I. Handeln nach Treu und Glauben
B. Inhalt der Rechtsverhältnisse
I. Handeln nach Treu und Glauben
1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
2 Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
Judikatur
- Allgemein
- Von den Parteien beigelegter Sinn
- BGE 105 II 18 ff.
- BGE 107 II 63, Erw. 6b
- ZR 81 (1982) Nr. 46, Erw. 4
- Vertrauensprinzip
- Massgeblicher Zeitpunkt
- BGE 96 II 133 (jahrelange Bewirtschaftung des übernommenen Heimwesens nach Erbteilungsvertrag)
- BGE 100 II 348 (Entgegennahme von Zinszahlungen aus Darlehensvertrag)
- BGE 90 II 104 ff., Erw. 8
- Prozessuales
- Von den Parteien beigelegter Sinn
- Zur Abweichung von dispositivem Gesetzesrecht
Literatur
- GAUCH PETER, Auslegung, Ergänzung und Anpassung schuldrechtlicher Verträge, in: Gauch/Schmid (Hrsg.), Die Rechtsentwicklung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Symposium zum Schweizerischen Privatrecht …, Zürich 2001, S. 209 ff.
- HADZIMANOVIC NATASA, Auslegung und Ergänzung von Verträgen – Vertragliche Nebenpflichten im englischen und schweizerischen Recht (Diss. Zürich), Zürich 2006.
- JÄGGI PETER / GAUCH PETER, Zürcher Kommentar, N 295 ff. zu Art. 18 OR
- KELLER MAX, Die Auslegung obligationenrechtlicher Verträge, SJZ 57/1961, S. 313 ff.
- KÖTZ HEIN D., Dispositives Recht und ergänzende Vertragsauslegung, JuS 53/2013, S. 289 ff.
- KÖTZ HEIN D., Vorvertragliche Verhandlungen und ihre Bedeutung für die Vertragsauslegung, ZEup 2013, S. 777 ff.
- KRAMER ERNST A., Berner Kommentar, N. 16 ff. und 206 ff. zu Art. 18 OR
- OFTINGER KARL, Einige grundsätzliche Betrachtungen über die Auslegung und Ergänzung der Verkehrsgeschäfte, ZSR 58/1939, S. 178 ff.
- WIEGAND WOLFGANG, Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, FS Kramer, Basel u.a. 2004, S. 331 ff.
- ZELLER ERNST, Auslegung von Gesetz und Vertrag (Habil. Zürich), Zürich 1989.