Für die PrHG-Anwendung bedarf es – nebst eines Herstellers und eines Fehler – des Vorhandenseins eines Produktes:
Produktebegriff
Bewegliche Sache
- Bewegliche Sachen gemäss ZGB 713
- Positiv
- Bewegliche Sachen = „Objekte, deren räumliche Lage ohne Substanzverlust beliebig geändert werden kann, da sie nicht in fester Verbindung mit dem Boden stehen“ (vgl. REY HEINZ, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, 2. Auflage, Bern 2000, Rz 143)
- Produkte = vom Menschen geschaffene Gegenstände oder aus der Natur gewonnene Grundstoffe
- Vom Menschen geschaffene Gegenstände
- Konsumgüter
- Technische Anlagen
- Maschinen
- Geräte
- Fahrzeuge
- Chemische Stoffe
- Nahrungsmittel
- Verpackungsmaterialien
- etc.
- Aus der Natur gewonnene Grundstoffe
- Erdöl
- Kohle
- Sand
- Edelmetalle
- Kies
- Holz
- Wasser
- etc.
- Vom Menschen geschaffene Gegenstände
- Ausweitung des sachenrechtlichen Begriffs beweglicher Sachen
- auf „Bestandteile“
- Bestandteile behalten der Produkteeigenschaft, auch wenn es zum Bestandteil einer anderen beweglichen oder ein unbeweglichen Sache wird (vgl. PrHG 3 Abs. 1 lit. a)
- Obwohl das Bestandteil gewordene Produkt seine (sachen-)rechtliche Selbständigkeit verloren hat und das rechtliche Schicksal der Hauptsache teilt, behält es aufgrund von PrHG 3 Abs. 1 lit. a die Produkteeigenschaft und die produktehaftpflichtrechtliche Selbständigkeit
- Anwendungsfall
- Dacheinbaufenster
- auf „Elektrizität“
- Elektrizität gilt als Produkt, obwohl es keine bewegliche Sache darstellt (vgl. PrHG 3 Abs. 1 lit. b)
- Für haftungsauslösende Fehler in der Lieferung von Elektrizität kann das PrHG angerufen werden
- Anwendungsfälle
- Zu starke Schwankung der Stromspannung, einschliesslich Stromunterbrechnung(en)
- Mangelhafte Stromstärke
- auf „Bestandteile“
- Negativ
- Keine Produkte sind unbewegliche Sachen
- Liegenschaften
- Strassen
- Brücken
- etc.
- Keine Produkte sind unbewegliche Sachen
- Grundlage
- PrHG 3 Abs. 1
- Positiv
Elektrizität
- Lieferung von Strom
Landwirtschaftliche Bodenerzeugnisse, Tierzucht-, Fischerei- und Jagderzeugnisse unter Voraussetzungen
- Qualifikation erst als Produkt, wenn sie einer ersten Verarbeitung unterzogen wurden
Grenzfälle
Verkörperung geistiger Leistungen in beweglicher Sache
- PrHG-Anwendung
- umstritten
- Buch oder CD
- PrHG-Anwendung bei Mangelhaftigkeit
- Inhalt
- Allgemein
- PrHG-Anwendung bei Inhaltsmängeln umstritten
- Verfasser-Fehler (Denkfehler)
- Keine PrHG-Anwendung
- Werkduplizierungs-Fehler (Druckfehler, Verwechslungen, Textlücken etc.)
- PrHG-Anwendung
- Allgemein
- Konstruktion (Buch + CD)
- PrHG-Haftung
- Instruktion
- PrHG-Haftung
Software
- Allgemein
- Ob Software als Produkt im Sinne des PrHG gilt, ist umstritten
- Ein Teil der Lehre sieht in einem Softwareprogramm grundsätzlich nur ein immaterielles Rechtsgut und lehnt folglich die Qualifikation als Produkt im Sinne des PrHG ab
- Die Mehrheit der Lehre unterscheidet in:
- Standard-Software
- Individual-Software
- Ein weiterer Teil der Lehre meint, dass das PrHG immer Anwendung finde, unabhängig davon, ob es sich um Standard- oder Individual-Software handle bzw., ob die Software durch Datenträger zur Verfügung gestellt oder heruntergeladen würde
- Es sei nicht angezeigt, ähnliche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln
- Standard-Software
- Anerkennung der Produkteeigenschaft aufgrund der Verkörperung in einem Datenträger (CD, DVD, Diskette usw.)
- Individual-Software
- Ablehnung der Produkteeigenschaft, weil der Dienstleistungscharakter überwiege
Gestzestexte
Art. 3 PrHG Produkt
1 Als Produkte im Sinne dieses Gesetzes gelten:
- jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, und
- Elektrizität.
2 …1
1 Aufgehoben durch Art. 20 Abs. 2 Ziff. 1 des BG vom 12. Juni 2010 über die Produkte-sicherheit, mit Wirkung seit 1. Juli 2010 (AS 2010 2573; BBl 2008 7407).
Art. 5 PrHG Ausnahmen von der Haftung
1 Die Herstellerin haftet nicht, wenn sie beweist, dass:
- sie das Produkt nicht in Verkehr gebracht hat;
- nach den Umständen davon auszugehen ist, dass der Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht vorlag, als sie das Produkt in Verkehr brachte;
- sie das Produkt weder für den Verkauf oder eine andere Form des Vertriebs mit wirtschaftlichem Zweck hergestellt noch im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat;
- der Fehler darauf zurückzuführen ist, dass das Produkt verbindlichen, hoheitlich erlassenen Vorschriften entspricht;
- der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt, in dem das Produkt in Verkehr gebracht wurde, nicht erkannt werden konnte.
1bis Die Ausnahme von der Haftung nach Absatz 1 Buchstabe e gilt nicht für tierische Organe, Gewebe oder Zellen oder daraus hergestellte Transplantatprodukte, die zur Transplantation auf den Menschen bestimmt sind.
2 Die Herstellerin eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts haftet ferner nicht, wenn sie beweist, dass der Fehler durch die Konstruktion des Produkts, in das der Grundstoff oder das Teilprodukt eingearbeitet wurde, oder durch die Anleitungen der Herstellerin dieses Produkts verursacht worden ist.
Literatur
- Zum Produktebegriff
- WERRO FRANZ, Rz 742 f.
- FELLMANN WALTER, Basler Kommentar, OR I, N 12 zu PrHG 3 und N 29 zu PrHG 4
- HESS HANS-JOACHIM, Kommentar zum Produktehaftpflicht (PrHG), 2. Auflage, Bern/Stuttgart 1996, N 7 + 9 zu PrHG 3 + 118 zu PrHG 4
- Zu den Grenzfällen
- FELLMANN WALTER, Basler Kommentar, OR I, N 9 + 10 zu PrHG 3
- REY HEINZ, Rz 1186b + 1186c
- HESS HANS-JOACHIM, Kommentar zum Produktehaftpflicht (PrHG), 2. Auflage, Bern/Stuttgart 1996, N 43 f. + 49 f. zu PrHG 3
- WERRO FRANZ, Rz 745
- WERRO FRANZ / CHAULMONTET SEBASTIEN, SPR, Bd. X, Konsumentenschutz im Privatrecht, 3. Teil: Produktehaftpflicht, S. 425
Judikatur
- BGE 4A_365/2014, BGE 4A_371/2014 (Verhütungspille Yasmin: Keine Produktehaftung von BAYER)
- BGE 4A_365/2014 | bger.ch