Die Leistungen der amtlichen Verteidigung werden nach dem massgebenden Anwaltstarif entschädigt:
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Grundlagen
- BV 29 Abs. 3
- StPO 135 Abs. 1
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Umfang des verfassungsmässigen Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege
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Allgemein
- Der verfassungsmässige Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege beinhaltet keine umfassende Entschädigungspflicht
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Entschädigungspflichtig
- Nur was notwendig ist:
- Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Interessenwahrung der Rechte im Strafverfahren
- Notwendigkeit
- Verhältnismässigkeit
- ggf. persönliche Betreuung (zusätzliche persönliche und soziale Betreuung; vgl. BGer 6B_951/2013, Erw. 3.2)
- Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Interessenwahrung der Rechte im Strafverfahren
- Nur was notwendig ist:
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Handlungsspielraum für wirksame Mandatsausübung
- Die Honorarfestsetzung hat so zu erfolgen, dass der amtlichen Verteidiger adäquat vertreten kann:
- Handlungsspielraum
- Wirksame Mandatsausübung
- Judikatur
- Vgl. BGE 141 I 124, Erw. 3.1
- Die Honorarfestsetzung hat so zu erfolgen, dass der amtlichen Verteidiger adäquat vertreten kann:
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Bemessungsgrundsätze
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Ermessen
- Grundsatz
- Es ist primär Sache der Kantone die Angemessenheit der anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen (vgl. BGE 141 I 124, Erw. 3.2)
- Den Kantonen kommt bei der Bemessung des Honorars eine beträchtliches Ermessen zu
- Ausnahme
- Eingreifen des Bundesgerichtes nur in folgenden Fällen:
- Klares Überschreiten des Ermessensspielraums
- Honorarfestsetzung jenseits jeden vernünftigen Verhältnisses zum Aufwand des amtlichen Verteidigers (vgl. BGer 6B_951/2013, Erw. 4.2)
- Eingreifen des Bundesgerichtes nur in folgenden Fällen:
- Grundsatz
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Berücksichtigung der Verhältnisse des konkreten Einzelfalls
- Die Honorarfestsetzung hat auf die individuell konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen
- Massgebend sind:
- Natur des Straffalls
- Bedeutung des Straffalls
- Verantwortung, die der Verteidiger auf sich nehmen musste
- Tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten des Falles
- Zeitaufwand
- Qualität der Anwaltsleistung
- Anzahl Besprechungen
- Anzahl Verhandlungen
- Erzieltes Ergebnis
- Arbeitsweise als Referenzgrösse
- Abstellen auf das Mass eines erfahrenen Rechtsbeistands:
- Besondere Fachkenntnisse
- Erfahrung
- Zielgerichtete Mandatsführung, ab Beginn
- Beschränkung auf die für eine Interessenwahrung notwendigen Massnahmen
- Judikatur
- Vgl. BGE 122 I 1, Erw. 3a
- Abstellen auf das Mass eines erfahrenen Rechtsbeistands:
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Angemessenheits-Prüfung
- Prüfungsrecht
- Der Prozessleitung ist erlaubt, den vom Strafverteidiger geltend gemachten Aufwand auf seine Angemessenheit hin zu überprüfen
- Zurückhaltung
- Keine Verhinderung einer wirksamen Vertretung durch Honoraraufwand-Beanstandungen
- Es ist daher bei der Kostenbeurteilung eine gewisse Zurückhaltung angezeigt
- Keine Verhinderung einer wirksamen Vertretung durch Honoraraufwand-Beanstandungen
- Ermessensberechtigte
- Zuständige Behörde
- Amtlicher Verteidiger
- Unnötiger unternommener Aufwand
- Solcher Aufwand ist nicht zu entschädigen
- In der Praxis wird eine aussichtslose Beschwerde unnötigem Aufwand gleichgesetzt (vgl. BGer 1P.404/2002, Erw. 4)
- Prüfungsrecht
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Tiefere Ansetzung bei einer privat beigezogenen Wahlverteidigung
- Grundsatz
- Zulässigkeit der tieferen Ansetzung einer angemessenen Entschädigung als bei einem Wahlverteidiger
- Verletzung des Willkürverbots
- Vermag die zugesprochene Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken und nicht einen bescheidenen Verdienst zu gewährleisten, liegt eine Verletzung des Willkürverbots vor
- Bundesgerichtliche Rechtsprechung
- Das Bundesgericht hat für einen amtlichen Verteidiger im schweizerischen Durchschnitt folgende Faustregel entwickelt:
- CHF 180 pro Stunde
- zuzüglich MWST
- Judikatur
- Vgl. BGE 132 I 201, Erw. 8.6 – 8.7
- Das Bundesgericht hat für einen amtlichen Verteidiger im schweizerischen Durchschnitt folgende Faustregel entwickelt:
- Grundsatz
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Reduzierte Entschädigung
- Tarif
- Ist in den Tarifen von Bund oder Kantonen eine reduziertes Honorar als Entschädigung für die Leistungen der amtlichen Verteidigung vorgesehen, hat dieses unabhängig vom Prozessausgang angewandt zu werden
- Vgl. BGE 139 IV 261, Erw. 2
- Grund
- Der Staat erbringt eine im öffentlichen Interesse liegende Sonderleistung zugunsten einer mittellosen Person, welcher der Zugang zur Rechtspflege verschafft werden soll
- Tarif
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Grundrechtsgarant „Staat“ ist auch Prozesspartei
- Doppelfunktion des Staates
- Ankläger
- für die Durchsetzung des Straftatbestands / Strafanspruchs
- möglicherweise unterliegende Prozesspartei, mit Pflicht zur
- Verfahrenskosten-Tragung
- Prozessentschädigungs-Pflicht gegenüber der obsiegenden Partei
- Garant
- für die Gewährleistung des Rechtszugangs
- Ankläger
- Stossende Ungleichbehandlung durch reduzierte Entschädigungspflicht des Staates
- Es ist nicht einzusehen, weshalb im Falle eines Unterliegens nicht eine volle Prozessentschädigung an die Gegenpartei geschuldet ist
- Vgl. auch BGer 6B_63/2010, Erw. 2.4
- Doppelfunktion des Staates
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Bemessung als Pauschale
- Kantonale Unterschiede
- In diversen Kantonen wird das Honorar des amtlichen Verteidigers als Pauschale bemessen
- Aussergewöhnliche Fälle
- In aussergewöhnlichen Fällen wird das Honorar wie folgt bemessen:
- durch Erhöhung um höchstens die Hälfte
- nach Zeitaufwand
- Vgl. hiezu auch BGer 6B_856/2009, Erw. 4.4
- In aussergewöhnlichen Fällen wird das Honorar wie folgt bemessen:
- Aussergewöhnlich aufwendige Mandate
- Voraussetzungen (alternativ)
- Aussergewöhnliche Komplexität
- Umfangreicher Sachverhalt und keine Rechtfertigung einer Pauschale
- Voraussetzungen (alternativ)
- Pauschalen-Bemessung
- Motive
- Mit der Pauschale soll anstelle der tatsächlich erbrachten Leistung für die Entschädigung auf den SOLL-Aufwand abgestellt werden
- Entschädigung des Aufwand, welcher bei der konkreten Fallkonstellation als angemessen erscheint
- Bemühungen
- Erfassung aller prozessualen Bemühungen als einheitliches Ganzes
- Tarif
- Berücksichtigung lediglich des effektiven Zeitaufwands nach Tarif
- Vgl. auch BGE 143 IV 453, Erw. 2.5
- Verfassungswidrigkeit
- Pauschalen gelten dann als verfassungswidrig, wenn diese
- keine Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse nehmen
- im konkreten Einzelfall ausserhalb eines vernünftigen Verhältnisses zu den Leistungen des Strafverteidigers liegen
- Pauschalen gelten dann als verfassungswidrig, wenn diese
- Judikatur
- Vgl.
- BGE 141 I 124, Erw. 4
- BGE 142 III 153, Erw. 2 bis 3
- Vgl.
- Motive
- Kantonale Unterschiede
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Anspruch auf Akontozahlungen
- Die neue Fassung von StPO 135 Abs. 2 ergänzt die Regeln zur Entschädigung der amtlichen Verteidigung und enthält hiezu folgenden Wortlaut:
- «Die Staatsanwaltschaft oder das urteilende Gericht legt die Entschädigung am Ende des Verfahrens fest. Erstreckt sich das Mandat über einen langen Zeitraum oder ist es aus einem anderen Grund nicht sinnvoll, das Ende des Verfahrens abzuwarten, so werden der amtlichen Verteidigung Vorschüsse gewährt, deren Höhe von der Verfahrensleitung festgesetzt werden.»
- Vgl. auch Anspruch der amtlichen Verteidigung auf Akontozahlungen
- Die neue Fassung von StPO 135 Abs. 2 ergänzt die Regeln zur Entschädigung der amtlichen Verteidigung und enthält hiezu folgenden Wortlaut:
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Barauslagen
- Die Barauslagen sind dem Strafverteidiger separat zu entschädigen
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Mehrwertsteuer (MWST)
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Grundsatz
- Die Entschädigung des Strafverteidigers muss um die Mehrwertsteuer (MWST) erhöht werden
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Grund
- Staat ist Empfänger der Strafverteidiger-Leistung
- Zudem bezweckt die Leistung an den Strafverteidiger nicht einen Schadenersatz, sondern die Rückerstattung von Anwendungen für die Ausübung von Verfahrensrechten
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MWST-Erhebung
- MWST-Erhebung auch für Leistungen zG Beschuldiger mit Wohnsitz im Ausland (vgl. BGE 141 IV 344, Erw. 4, BGE 141 III 560, Erw. 2 – 3)
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Keine Zinsen
- Bei der Entschädigung der Strafverteidiger und der Privatstrafklägerschaft gemäss StPO 433 Abs. 1 fallen keine Zinsen an (vgl. BGE 143 IV 495, Erw. 2.2.4)
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Zuständigkeitsänderung
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Kantonswechsel
- Findet im Laufe des Verfahrens eine Zuständigkeitsänderung statt und wird dabei das Verfahren von einem andern Kanton übernommen, wird wie folgt vorgegangen:
- Entscheidung des bisherigen Kantons über die Kosten der amtlichen Verteidigung während vorangegangenen Verfahrensführung
- Koordination bisher und neu zuständigem Kanton (vgl. BGer 1B_38/2013, Erw. 3)
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Gerichtsstandsempfehlungen
- In Ziffer 24 der SSK-Gerichtsstandsempfehlungen ist vorgesehen, dass bei einer Verfahrensabnahme
- der abtretende Kanton das Mandat der amtlichen Verteidigung
- widerruft
- abrechnet
- der übernehmende Kanton, die Verteidigung
- neu bestellt
- in der Person des bisherigen Verteidigers oder in einer neu ausgewählten Person | ssk-cps.ch
- der abtretende Kanton das Mandat der amtlichen Verteidigung
- Judikatur
- Vgl. auch
- Empfehlungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit (Gerichtsstandsempfehlungen)
- Vgl. auch
- In Ziffer 24 der SSK-Gerichtsstandsempfehlungen ist vorgesehen, dass bei einer Verfahrensabnahme
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Mandatierung Wahlverteidigung
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Grundsatz
- Mandatiert der amtlich verteidigte Beschuldigte eine Wahlverteidigung, so zieht dies nach sich:
- Entfallen der Voraussetzungen für die Beibehaltung einer amtlichen Verteidigung (Regelfall)
- Mandatiert der amtlich verteidigte Beschuldigte eine Wahlverteidigung, so zieht dies nach sich:
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Ausnahme
- Es möglich, dass die amtliche Verteidigung nicht entlassen wird
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Kostenfolgen
- Bei Nichtentlassung der amtlichen Verteidigung dürfen ab dem Zeitpunkt der Berufung eines Wahlverteidigers keine Kosten mehr für die amtliche Verteidigung mehr anfallen
- Judikatur
- Vgl. BGer 6B_500/2012, Erw. 4
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Literatur
- OBERHOLZER NIKLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Auflage, Bern 2020, S. 157 f., Rz 487 ff.
Judikatur
- Umfang
- BGer 6B_951/2013, Erw. 3.2
- BGE 141 I 124, Erw. 3.1
- Bemessungsgrundsätze
- BGE 141 I 124, Erw. 3.2
- BGer 6B_951/2013, Erw. 4.2
- BGE 122 I 1, Erw. 3a
- BGer 1P.404/2002, Erw. 4
- BGE 132 I 201, Erw. 8.6 – 8.7
- BGE 139 IV 261, Erw. 2
- BGer 6B_63/2010, Erw. 2.4
- BGE 143 IV 453, Erw. 2.5
- Anspruch auf Akontozahlungen
- ZR 124 (2025) Nr. 19, S. 94 ff.
- Mehrwertsteuer (MWST)
- BGE 141 IV 344, Erw. 4
- BGE 141 III 560, Erw. 2 – 3
- BGE 143 IV 495, Erw. 2.2.4)
- Beanstandungsart (Begründung der Kürzung + Wahrung des rechtlichen Gehörs)
- Obergericht des Kantons Bern, Verfügung BK 21.166, vom 24.08.2021)
- Bemessung als Pauschale
- Bundesstrafgericht, Verfügung BB.2023.182, vom 06.06.2024
- Zuständigkeitsänderung
- BGer 1B_38/2013, Erw. 3
- Mandatierung Wahlverteidigung
- BGer 6B_500/2012, Erw. 4
Links
Art. 135 StPO Entschädigung der amtlichen Verteidigung
1 Die amtliche Verteidigung wird nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde.
2 Die Staatsanwaltschaft oder das urteilende Gericht legen die Entschädigung am Ende des Verfahrens fest.
3 Gegen den Entschädigungsentscheid kann die amtliche Verteidigung Beschwerde führen:
- c. wenn der Entscheid von der Staatsanwaltschaft oder dem erstinstanzlichen Gericht gefällt wurde: bei der Beschwerdeinstanz;
- d. wenn der Entscheid von der Beschwerdeinstanz oder dem Berufungsgericht des Kantons gefällt wurde: beim Bundesstrafgericht.
4 Wird die beschuldigte Person zu den Verfahrenskosten verurteilt, so ist sie, sobald es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben, verpflichtet:
- c. dem Bund oder dem Kanton die Entschädigung zurückzuzahlen;
- d. der Verteidigung die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten.
5 Der Anspruch des Bundes oder des Kantons verjährt in 10 Jahren nach Rechtskraft des Entscheides.