Es ist anerkannt, dass nicht nur ein Recht auf Verteidigung besteht, sondern der Beschuldigte Anspruch hat auf eine
- sachkundige Verteidigung
- engagierte Verteidigung
- effektive Verteidigung.
Vgl. BGE 138 IV 161, Erw. 2.3.
Aus dem Prinzip eines fairen Verfahrens lassen sich weitere Rechte des Beschuldigten ableiten:
-
Aufklärungspflicht für den rechtsunkundigen, anwaltlich nicht vertretenen Beschuldigten
- Aufklärung des Beschuldigten über seine Rechte
- Frühzeitige Information an den Beschuldigten, dass jederzeit einen Verteidiger beiziehen könne
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Verletzung der Verteidigungsrechte?
- Wird von den Strafuntersuchungsbehörden und / oder vom zuständigen untätig geduldet, dass der Beschuldigte zu seinem Schaden keine Verteidigung hat, kann dies eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte bewirken
- Im Falle einer schwerwiegenden Verletzung der Verteidigungspflichten ist die zuständige Behörde nicht nur zum Einschreiten berechtigt, sondern auch verpflichtet:
- Ersetzung der amtlichen Verteidigung
- Die zuständige Behörde hat auch bei einer ungenügenden privaten Verteidigung einzuschreiten (vgl. BGE 131 I 350, Erw. 4.1):
- Gewährleistung einer genügenden Verteidigung
- Vorkehrung des Erforderlichen
- Bestellung einer amtlichen Verteidigung
-
Eigenes Ermessen der Verteidigung
- Der Strafverteidiger hat bei der Erfüllung seiner Aufgabe und bei der Wahl ihrer Mittel ein eigenes Ermessen, in welches die Behörden nicht ohne Not einzugreifen (vgl. BGE 106 IV 85, Erw. 3b)
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Richterliche Fürsorgepflicht?
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Keine Einflussnahmemöglichkeit
- Die richterliche Fürsorgepflicht für den Angeklagten ist wegen des eigenen Ermessens des Strafverteidigers beschränkt:
- Keine Einflussnahme bei verteidigungstaktischen Fragestellungen
- Die richterliche Fürsorgepflicht für den Angeklagten ist wegen des eigenen Ermessens des Strafverteidigers beschränkt:
-
Einflussnahmemöglichkeit
- Einflussnahme, wenn ein eklatanter Verstoss gegen die die allgemein anerkannten Verteidigungsstandards gegeben ist (vgl. BGE 131 I 185, Erw. 3.2.3)
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Handeln gegen die Interessen des vertretenen Angeklagten
- Schuldig halten des Mandanten trotz Bestreitung seiner Schuld (vgl. BGer 6B_212/2017, Erw. 5.4.1)
- Erklärung, das prozessuale Verhalten des Mandanten sei auf Täuschung ausgerichtet (vgl. BGer 1B_211/2014, Erw. 2.1)
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In solchen Fällen liegt keine rechtsgenügende Verteidigung vor
- Im Falle einer notwendigen Strafverteidigung muss die Sache im Rechtsmittelverfahren aufgehoben und zur Durchführung einer neuen Verhandlung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden (vgl. BGer 6B_770/2011)
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Termin- und Fristversäumnisse des Strafverteidigers
- Diese Art von Versäumnissen
- verstösst krass gegen die anwaltlichen Pflichten (vgl. BGer 6B_89/2014, Erw. 1.5)
- kann dem Angeklagten nicht angerechnet werden, sofern ihn kein Mitverschulden trifft (vgl. BGE 143 I 284, Erw. 1.3)
- Diese Art von Versäumnissen
-
- Einflussnahme, wenn ein eklatanter Verstoss gegen die die allgemein anerkannten Verteidigungsstandards gegeben ist (vgl. BGE 131 I 185, Erw. 3.2.3)
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Heranziehung von Auftragsrecht und anwaltlichem Standesrecht zur Gewährleistung einer effektiven Verteidigung
- Für die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung sind primär die strafprozessualen Verteidigungsrechte massgebend
- Zur Beurteilung kann ergänzend herangezogen werden:
- Auftragsrecht
- Anwaltliches Standesrecht
- Die Fürsorgepflicht von Strafuntersuchungsbehörden und Gericht darf sich nur auf die Gewährleistung der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person beziehen
- Nicht in den Fürsorgebereich fallen Themen aus dem Mandatsverhältnis wie unzeitige Mandatsniederlegung etc.
- Die Behörden können aus solchen anderen Regelverletzungen keine eigenen Ansprüche auf einen ungestörten Verfahrensablauf herleiten
-
Wiederholung der Verteidigung
- Ein ohne oder unter ungenügender Wahrung der Verteidigungsrechte ergangener Entscheid ist aufzuheben und der Verfahrensschritt, in dem der Beschuldigte nicht oder ungenügend vertreten war, mit einem neuen Strafverteidiger zu wiederholen
- Versäumte Beweiserhebungen sollten nötigenfalls nachgeholt werden
- Vgl. BGE 120 Ia 48, Erw. 2e
- Versäumte Beweiserhebungen sollten nötigenfalls nachgeholt werden
- Bei bereits rechtskräftigen Strafverfahren fehlen – abgesehen von der Ausnahme der „Revision“ – die erforderlichen Korrekturmittel.
- Ein ohne oder unter ungenügender Wahrung der Verteidigungsrechte ergangener Entscheid ist aufzuheben und der Verfahrensschritt, in dem der Beschuldigte nicht oder ungenügend vertreten war, mit einem neuen Strafverteidiger zu wiederholen
Literatur
- OBERHOLZER NIKLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Auflage, Bern 2020, S. 138 f., Rz 416 ff.
- Leitfaden „Amtliche Mandate“ der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, 1.1.2016 (Ziff. E. 1.3. geändert am 23.10.2020), Version: 2.1 Auflage
Judikatur
- Verteidigungs-Kompetenz und -Ethik
- BGE 138 IV 161, Erw. 2.3
- Vorkehren für genügende Verteidigung
- BGE 131 I 350, Erw. 4.1
- Eigenes Ermessen der Verteidigung
- BGE 106 IV 85, Erw. 3b
- Gewährleistung einer genügenden Verteidigung / Verstoss vs. anerkannte Verteidigungsstandards?
- BGE 131 I 185, Erw. 3.2.3
- Verteidigungshandeln gegen die Interessen des Mandanten
- BGer 6B_612/2017, Erw. 5.4.1
- BGer 1B_211/2014, Erw. 2.1
- Rückweisung zur Neu-Verteidigung
- BGer 6B_770/2011
- Termin- und Fristversäumnisse des Strafverteidigers
- BGer 6B_89/2014, Erw. 1.5
- BGE 143 I 284, Erw. 1.3
- Nachholung versäumter Beweiserhebungen
- BGE 120 Ia 48, Erw. 2e