Berufung des Anleihensvertreters
Der Anleihensvertreter wird berufen als
- Vertragsvertreter
- durch Bestellung in den Anleihensbedingungen
- Wahlvertreter
- durch Wahl der Anleihensgläubiger an der Anleihensgläubigerversammlung.
Mehrere Vertreter üben die Vertretung gemeinsam aus, sofern nicht etwas anderes bestimmt ist (vgl. OR 1158 Abs. 3).
Die Gläubigerversammlung kann einen Vertragsvertreter zugunsten eines Wahlvertreters abwählen.
Rechtsstellung des Anleihensvertreters
Der Anleihensvertreter ist
- Vertreter der Gläubigergemeinschaft gegenüber dem Anleihensschuldner
wie auch
- Vertreter des Anleihensschuldners gegenüber der Gläubigergemeinschaft.
Er hat also nicht nur eine Vermittlerfunktion, sondern auch eine Doppelstellung.
Rechtsnatur der Anleihensvertretung
Der Anleihensvertreter hat die Funktion eines Stellvertreters sui generis mit direkter Wirkung für die Gläubigergemeinschaft.
Befugnisse kraft Gesetzes
Der Anleihensvertreter ist legitimiert zu folgenden Massnahmen:
- Kontrolle des Schuldners(OR 1160)
- Befugnisse des Pfandhalters bei pfandgesicherten Anleihen (OR 1161)
- Begehren um Einberufung einer Gläubigerversammlung (OR 1159 Abs. 2 ihm 1165 Abs. 2)
- Einberufung einer GV im Falle einer AG oder KAG (OR 699 Abs. 2).
Befugnisse kraft Anleihensbedingungen
Die Anleihensbedingungen können den Vertragsvertreter neben den gesetzlichen Befugnissen zu nachgenannten Handlungen ermächtigen:
- (ausschliessliche) Befugnis, die Anleihensschuld einzutreiben
- (ausschliessliche) Befugnis, die Zinsbetreffnisse geltend zu machen
Dem Vertragsvertreter können indessen nicht übertragen werden:
- die Befugnisse, die aufgrund des Gesetzes der Gläubigergemeinschaft zustehen
- die Befugnis zur Änderung der Anleihensbedingungen.
Befugnisse kraft Gläubigerversammlungsbeschlüsse
Die Gläubigerversammlung kann den von ihr bestellten Wahlvertreter
- nicht mit mehr Rechten ausstatten als ihr selber nach Gesetz oder Anleihensbedingungen zustehen
- nicht mit der Änderung von Anleihensbedingungen beauftragen.
Die Übertragung der gewisser weitergehenden Befugnisse bedarf der Einhaltung von Quorumsvorschriften des Gesetzes (OR 1170 f.) und der Anleihensbedingungen.
Zur Vermeidung sich wiedersprechender Entscheide hat der Gesetzgeber in OR 1159 Abs. 3 den Vorrang des Anleihensvertreters postuliert:
„Soweit der Vertreter zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger ermächtigt ist, sind die einzelnen Gläubiger zur selbständigen Ausübung ihrer Rechte nicht befugt.“
Vollzug der Beschlüsse der Gläubigergemeinschaft
Sofern und soweit Beschlüsse Dritten gegenüber zur Umsetzung einer Vertretung oder Willenserklärungen zB gegenüber dem Schuldner bedarf, obliegt der Vollzug dem Anleihensvertreter.