Das Schweizerische Vertragsrecht wird vom lateinischen Grundsatz „pacta sunt servanda“ („Verträge sind einzuhalten“) beherrscht. Das Konsumentenvertragsrecht macht hier einen Einbruch in dieses Prinzip.
Zum Ausgleich des zwischen Anbieter und Konsument vom Gesetzgeber angenommenen Ungleichgewichts bietet er dem Konsumenten bei bestimmten Rechtsgeschäften und unter bestimmten Voraussetzungen ein sog. Widerrufsrecht bzw. Rücktrittsrecht:
Definitionen
- Widerrufsrecht = Recht, während einer bestimmten Zeit einen bei näherer Überlegung unerwünschten Vertrag rückgängig zu machen
- Widerruf = Erklärung, durch welche ein vorher abgeschlossener Vertrag rückgängig gemacht werden soll
Grundlage
- OR 40f
Abgrenzung
- Nichtigkeit des Konsumvertrags (OR 20, ZGB 27)
- Anfechtbarkeit des Konsumvertrags (OR 21 – OR 30)
Rechtsnatur
- Gestaltungsrecht
- Empfangsbedürftige Willenserklärung
Arten
- Widerruf des Angebotsantrags
- Widerruf der Angebotsannahme
Ausübung des Widerrufsrechtes
- Subjektive, objektive und funktionelle Voraussetzungen
- Vgl. hiezu
Wirkungen
- Nichtzustandekommen des Konsumvertrages
- Rückerstattung bereits erbrachter Leistungen
Gesetzestexte
Art. 40a OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / I. Geltungsbereich
H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen
I. Geltungsbereich
1 Die nachfolgenden Bestimmungen sind auf Verträge über bewegliche Sachen und Dienstleistungen, die für den persönlichen oder familiären Gebrauch des Kunden bestimmt sind, anwendbar, wenn:
- der Anbieter der Güter oder Dienstleistungen im Rahmen einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit gehandelt hat und
- die Leistung des Kunden 100 Franken übersteigt.
2 Die Bestimmungen gelten nicht für Versicherungsverträge.
3 Bei wesentlicher Veränderung der Kaufkraft des Geldes passt der Bundesrat den in Absatz 1 Buchstabe b genannten Betrag entsprechend an.
Art. 40b OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / II. Grundsatz
II. Grundsatz
Der Kunde kann seinen Antrag zum Vertragsabschluss oder seine Annahmeerklärung widerrufen, wenn ihm das Angebot gemacht wurde:
- an seinem Arbeitsplatz, in Wohnräumen oder in deren unmittelbaren Umgebung;
- in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf öffentlichen Strassen und Plätzen;
- an einer Werbeveranstaltung, die mit einer Ausflugsfahrt oder einem ähnlichen Anlass verbunden war;
- am Telefon oder über vergleichbare Mittel der gleichzeitigen mündlichen Telekommunikation.
Art. 40c OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / III. Ausnahmen
III. Ausnahmen
Der Kunde hat kein Widerrufsrecht, wenn er:
- die Vertragsverhandlungen ausdrücklich gewünscht hat;
- seine Erklärung an einem Markt- oder Messestand abgegeben hat.
Art. 40d OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / IV. Orientierungspflicht des Anbieters
IV. Orientierungspflicht des Anbieters
1 Der Anbieter muss den Kunden schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, über das Widerrufsrecht sowie über Form und Frist des Widerrufs unterrichten und ihm seine Adresse bekannt geben.2
2 Diese Angaben müssen datiert sein und die Identifizierung des Vertrags ermöglichen.
3 Sie sind dem Kunden so zu übermitteln, dass er sie kennt, wenn er den Vertrag beantragt oder annimmt.
Art. 40e OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / V. Widerruf / 1. Form und Frist
V. Widerruf
1. Form und Frist
1 Der Widerruf ist an keine Form gebunden. Der Nachweis des fristgemässen Widerrufs obliegt dem Kunden.
2 Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage und beginnt, sobald der Kunde:
- den Vertrag beantragt oder angenommen hat; und
- von den Angaben nach Artikel 40dKenntnis erhalten hat.
3 Der Beweis des Zeitpunkts, in dem der Kunde von den Angaben nach Artikel 40d Kenntnis erhalten hat, obliegt dem Anbieter.
4 Die Frist ist eingehalten, wenn der Kunde am letzten Tag der Widerrufsfrist dem Anbieter seinen Widerruf mitteilt oder seine Widerrufserklärung der Post übergibt.
Art. 40f OR H. Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen / V. Widerruf / 2. Folgen
2. Folgen
1 Hat der Kunde widerrufen, so müssen die Parteien bereits empfangene Leistungen zurückerstatten.
2 Hat der Kunde eine Sache bereits gebraucht, so schuldet er dem Anbieter einen angemessenen Mietzins.
3 Hat der Anbieter eine Dienstleistung erbracht, so muss ihm der Kunde Auslagen und Verwendungen nach den Bestimmungen über den Auftrag (Art. 402) ersetzen.
4 Der Kunde schuldet dem Anbieter keine weitere Entschädigung.
Literatur
- GONZENBACH RAINER, Culpa in contrahendo im schweizerischen Vertragsrecht, ASR 510, Diss. Bern 1987
- GONZENBACH RAINER, „Pacta sunt servanda“ oder neueres Licht auf einen alten Grundsatz – Notizen zu einem Konsumentenschutzproblem, in: ZSR 1987 I 435 ff.