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Strafverteidiger

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Bedürftigkeit

Rechtsgebiet:
Strafverteidiger
Stichworte:
Strafverteidiger
Autor:
LawMedia Redaktion
Verlag:
LAWMEDIA AG

Der Anspruch auf die Bestellung eines amtlichen Verteidigers besteht nur einen Beschuldigten, der nicht die Mittel zur Prozessführung und Vertretung hat (vgl. StPO 132 Abs. 1 lit. b):

  • Mittel zur Kostendeckung

    • Der Beschuldigte ist nicht in der Lage – ohne die Mittel, die zur Deckung des Grundbedarfs (Existenzminimum) von sich und seiner Familie bestimmt sind, anzutasten –  für:
      • Tragung der Prozesskosten
      • Bevorschussung des privaten Rechtsbeistands und der Tragung seiner definitiven Kosten
    • Vgl. BGE 127 I 202, Erw. 3b
  • Betreibungsrechtliches Existenzminimum

    • Grundsatz

      • Kein alleiniges Abstellen auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum
    • Beurteilungsaspekte

      • Für den Entscheid sind alle Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen
  • Grundbetrag

    • Praxis zur unentgeltlichen Prozessführung

      • Für die unentgeltliche Prozessführung im Zivilprozess wurde eine besondere Praxis entwickelt
        • Es wird unter dem Bedürftigkeits-Aspekt von einem um 25 % erhöhten Grundbetrag ausgegangen (vgl. hiezu BGE 124 I 1, Erw. 2c)
    • Berücksichtigung von Verpflichtungen

      • Privat-rechtliche und öffentlich-rechtliche Verpflichtungen
        • Berücksichtigung, mindestens sofern und soweit sie fällig sind
      • Verfallene Steuerschulden
        • Berücksichtigung von Steuerschulden mit bekannter Höhe und Fälligkeit, sofern und soweit sie wirklich bezahlt werden (vgl. BGE 135 I 221, Erw. 5.2)
  • Vermögen

    • Berücksichtigung

      • Allenfalls vorhandenes Vermögen kann bei der Berechnung der Bedürftigkeit miteinbezogen werden
    • Zeitpunkt

    • BVG-Kapitalbezug

      • Der Kapitalbezug aus beruflicher Vorsorge ist bei der Ermittlung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen (vgl. BGE 144 III 531, Erw. 2 – 4)
  • Eheliche Beistandspflicht

    • Aus der ehelichen Beistandspflicht gemäss ZGB 159 lässt sich ableiten, dass der Ehegatte dem anderen Partner im Falle von Rechtsstreitigkeiten durch Leistung von Prozesskostenvorschüssen beizustehen hat
  • Unterhaltspflicht der Eltern

    • Unterhaltspflicht des Kindes

      • Die Eltern sind gegenüber ihren minderjährigen Kindern zur Sorge und zum Unterhalt verpflichtet (vgl. ZGB 276), wozu auch die Tragung der Prozesskosten zählt
        • = unabdingbare Elternpflicht
        • Vorrang vor der staatlichen Pflicht zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (vgl. BGE 119 Ia 134, Erw. 4)
    • Dauer

      • Volljährigkeit
        • Die elterliche Unterhaltspflicht dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes
      • ggf. Abschluss einer angemessenen Ausbildung
        • Diese Unterhaltspflicht der Eltern erstreckt sich – sofern und soweit nach den Umständen zumutbar – bis zum Abschluss einer angemessenen Ausbildung (vgl. ZGB 277)
  • Weigerung der Eltern, die Prozesskosten zu übernehmen

    • Unzumutbarkeit der vorgängigen Verpflichtung der Eltern zur Prozesskostenzahlung
      • Diesfalls kann es weder dem minderjährigen noch dem mündigen, in Ausbildung befindlichen Kind zugemutet werden, zuerst die Eltern auf dem Rechtsweg
    • Bewilligung der Rechtsverbeiständung
      • Sollten sich die Eltern weigern, die Prozesskosten ihres Kindes zu übernehmen, ist in der Regel die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen (vgl. BGE 127 I 202, Erw. 3)
  • Konkubinatspartner

    • Keine Beistandspflicht

      • Beim Konkubinat fehlt die nur für verheiratete Partner vorgesehene Beistandspflicht
    • Berücksichtigung Kostenreduktion wegen gemeinsamer Haushaltskosten

      • In der Praxis wird bei der Berechnung der Bedürftigkeit des prozessführenden Konkubinatspartner der Umstand des gemeinsamen Haushalts berücksichtigt (vgl. BGE 142 III 36, Erw. 3 (Führung eines Zivilprozesses) bzw. BGE 142 V 513 (Sozialhilfe))
      • Vgl. auch Keine Prozesskostenvorschusspflicht für Partner
  • Unverschuldete Bedürftigkeit

    • Keine Abhängigmachung von einer unverschuldeten Bedürftigkeit

      • Die Anordnung einer amtlichen Verteidigung darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Bedürftigkeit unverschuldet eingetreten sei (vgl. BGE 143 III, Erw. 3.4)
        • Vorbehalten bleibt aber die absichtlich bzw. rechtsmissbräuchlich herbeigeführte Notlage
    • Aufhebung der Bewilligung zur kostenfreien Verteidigung

      • Die Bewilligung zur kostenfreien Prozessführung entfällt bzw. kann widerrufen werden, die Bedürftigkeit im Rahmen des Verfahrens entfällt (vgl. StPO 134 Abs. 1; BGE 122 I 5, Erw. 4)
    • Aufhebung ex nunc

      • Regelfall
        • Die Aufhebung erfolgt ab dem Bestimmungszeitpunkt, für die Zukunft (ex nunc) und nicht rückwirkend (ex tunc; vgl. BGer 1B_632/2012, Erw. 2)
      • Ausnahme
        • Im Falle einer Irreführung der Anordnungsbehörde durch den Gesuchsteller kann einer rückwirkender Entzug (ex tunc) der kostenfreien Verteidigung erfolgen
  • Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Situation

    • Entscheidungsgrundlage

      • Massgebend für die Beurteilung ist die gesamte wirtschaftliche Situation, nämlich:
        • Einkommen
        • Kosten
        • Aktiven / Passiven
      • Letztlich entscheidend ist die gesamte Vermögenssituation (vgl. BGE 135 I 221, Erw. 5.1)
    • Konkurs / Verlustscheine nicht als Voraussetzungen

      • Weder eine vorausgegangener Konkurs, noch der Bestand von Verlustscheinen ist für die Annahme einer Bedürftigkeit Voraussetzung
    • Keine Abweisung wegen Auto

      • Unzulässigkeit der Abweisung eines Gesuches um amtliche Verteidigung, nur weil er sich den Betrieb und Unterhalt eines Fahrzeugs leiste (vgl. BGE 124 I 1, Erw. 2c)
  • Zeitpunkt der Bedürftigkeit

    • Gesuchseinreichung

      • Es ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung abzustellen
    • Tatsächliche Mittel

      • Massgebend sind die finanziellen Mittel, die dem Gesuchsteller im erwähnten Zeitpunkt tatsächlich zur Verfügung stehen
  • Glaubhaftmachung

    • Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit

      • Der Beschuldigte, der die amtliche Verteidigung beanspruchen will, hat seine Bedürftigkeit glaubhaft zu machen
    • Dokumentierung des Gesuches

      • Es obliegt dem Beschuldigten seinen Einkommensverhältnisse und seine Vermögenssituation zu behaupten und zu belegen
      • Die Belege sollten über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Aufschluss geben (vgl. BGE 125 IV 161, Erw. 4a)
      • Je komplexer die Verhältnisse sind, desto höhere Anforderungen sind an die Präsentation der Verhältnisse
    • Hilfe der Verfahrensleitung

      • Die Verfahrensleitung hat im Bedarfsfall einen Beschuldigten beim Ausfüllen des Gesuches zu unterstützen
    • Verweigerung der Offenlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnissen

      • Bei Verweigerung der Informationen über Einkommen und Vermögen resp. über die aktuelle Gesamtsituation ist die Verfahrensleitung berechtigt, die Bedürftigkeit zu verneinen (vgl. BGE 120 Ia 179, Erw. 3a)
  • Rechtsschutzversicherung

    • Subsidiarität der unentgeltlichen Rechtspflege

      • Der Staat hat die unentgeltliche Rechtspflege nur dann zu gewähren, wenn keine Drittperson für die Prozessfinanzierung aufkommt
    • Vorrang der Rechtsschutzversicherungsdeckung

      • Sofern und soweit ein Rechtsschutzversicherer die Prozesskosten deckt, besteht keine Bedürftigkeit (vgl. BGer 8C_27/2016, Erw. 3)

Literatur

  • OBERHOLZER NIKLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Auflage, Bern 2020, S. 151 ff., Rz 465 ff.

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