Besonders wichtig ist die Verteidigungsstrategie von Verteidiger und Beschuldigten bei der Abwehr resp. einem milderen Strafmass:
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Wahl der Verteidigungsstrategie
- Aufgabe der Strafverteidigung
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Interessewahrung des beschuldigten Mandanten
- Wahrung objektiver Interessen
- möglichst im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Mandanten
- in partnerschaftlicher Abspreche
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Standpunkteinnahme
- Festlegung der im Zweifelsfall als sachgerecht gebotenen juristischen Standpunkte (vgl. BGer 1B_398/2013, Erw. 2.1)
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Prozessvorkehren
- Entscheidung, welche Prozessvorkehren als sachgerecht geboten sind (vgl. BGer 1B_398/2013, Erw. 2.1)
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Handlungsoptionen
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Der Strafverteidiger hat
- alles zu unternehmen,
- was sich für den Beschuldigten positiv auswirken kann
- alles zu unterlassen,
- was dem Beschuldigten zum Nachteil gereichen könnte,
- was durch ein Wording oder Verhalten erkennen lässt, dass der Strafverteidiger den die Tat bestreitenden für schuldig hält (vgl. BGE 138 IV 161, Erw. 2.4 – 2.5)
- alles zu unternehmen,
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Mangelnde Rechtskenntnisse des Strafverteidigers
- Zum Nachteil des Mandanten kann auch gereichen, wenn der Verteidiger, zB aufgrund mangelnder Rechtskenntnisse, die Verfahrensrechte nicht richtig wahrt (vgl. BGer 1B_297/2015, Erw. 2).
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Schranken der relativen Ungebundenheit des Strafverteidigers
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Grundlagen
- Gegenüber dem beschuldigten Mandanten können sich aus dem Auftragsrecht ergeben (siehe Box)
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Grenzen
- Einschränkungen in der Ungebundenheit ergeben, nämlich dann, wenn:
- Vertretung ohne Vollmacht
- Vertretung gegen den Willen des beschuldigten Mandanten
- Einschränkungen in der Ungebundenheit ergeben, nämlich dann, wenn:
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Nachträgliche Genehmigung
- Frühere Prozesshandlungen können nachträglich genehmigt werden, auch durch die nachträgliche Erteilung einer Vollmacht, sofern und soweit sie nicht einschränkender oder anders lautet
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Beweismittelbeschaffung + Dokumentierung
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Ausgangslage / Zuständigkeit
- Die Verfahrensleitung (und nicht der Strafverteidiger) hat besorgt zu sein für die Einhaltung
- der Verfahrensbestimmungen
- der rechtskonformen Beweiserhebung
- Die Verfahrensleitung (und nicht der Strafverteidiger) hat besorgt zu sein für die Einhaltung
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Praxis / Fehlentwicklung
- Es zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Strafuntersuchungsbehörden die Strafverteidiger in diese Pflicht miteinbeziehen,
- zB in dem unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben Rechtsmittelwege abgeschnitten werden
- zB Vorwurf an den Beschuldigten, welcher keinen Antrag auf Wiederholung einer Einvernahme stellte, sich nicht nachträglich auf deren Nichtverwertbarkeit infolge fehlender Konfrontation berufen zu können (vgl. BGer 6B_98/2014, Erw. 3.4; BGE 125 I 127, Erw. 6c)
- Es kann nicht sein, dass die Strafuntersuchungsbehörden, welche die Verantwortung für die gesetzmässige Beweiserhebung tragen, die Parteien bzw. den Beschuldigten verpflichten,
- sie auf allfällige Mängel hinzuweisen
- aktiv auf eine korrekte Beweiserhebung hinzuwirken
- Trifft den Beschuldigen gemäss StPO 113 keine Mitwirkungspflicht im Strafverfahren, kann er auch nicht unter Androhung des Rechtsverlusts verpflichtet sein, sich um eine korrekte, gesetzmässige Beweiserhebung zu kümmern
- Es sollte sein Recht (und nicht seine Pflicht sein), auf Beweiserhebungsmängel hinzuweisen und Beweisverbote hinzuweisen, ohne vorher einen Antrag auf Mangelbehebung gestellt haben zu müssen:
- Vgl. BGE 129 I 85, Erw. 4.4: „… Der Angeklagte kann sich darauf beschränken, die Verwertbarkeit von Beweismitteln zu bestreiten, ohne im Voraus die Verbesserung der geltend gemachten Mängel verlangt zu haben. …“
- Es zeichnet sich die Tendenz ab, dass die Strafuntersuchungsbehörden die Strafverteidiger in diese Pflicht miteinbeziehen,
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Literatur
- OBERHOLZER NIKLAUS, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Auflage, Bern 2020, S. 165, Rz 513
Judikatur
- Prozessvorkehren / juristische Standpunkte
- BGer 1B_398/2013, Erw. 2.1
- Vermeidung von Wortwahl oder Verhalten, welches erkennen lässt, dass der Verteidiger den Mandanten für schuldig hält
- BGE 138 IV 161, Erw. 2.4 – 2.5
- Verteidiger wahrt Interessen des Beschuldigten nicht
- BGer 1B_297/2015, Erw. 2
- Rechtsforme Beweiserhebung
- BGer 6B_98/2014, Erw. 3.4
- BGE 125 I 127, Erw. 6c
- Mängel bei der Beweiserhebung
- BGE 129 I 85, Erw. 4.4