Nicht selten fällt im Zusammenhang mit der Abwehr geltend gemachter Ansprüche der Begriff „Verwirkung“. „Verwirkung“ ist nicht gleich „Verjährung“:
Definition
- Verwirkung = Anspruchsdahinfallen infolge Zeitablaufs
Grundlage
- Keine gesetzliche Grundlagen-Normierung
- Einzelbestimmungen
- Irrtum (OR 31 Abs. 1)
- Mängelrechte des Käufers bei nicht rechtzeitiger Rüge (OR 201 Abs. 2)
- Ausübung des Vorkaufsrechts (OR 216e)
- Entschädigung des Arbeitnehmers wegen missbräuchlicher Kündigung (OR 336b Abs. 2)
- Entschädigung des Arbeitgebers wegen Nichtantritt oder Verlassen der Stelle (OR 337d Abs. 3)
- Verlagsvertrag, Recht zur neuen Auflage (OR 383 Abs. 3)
- Maklerlohn bei Doppelmäkelei (OR 415)
- Anspruch des Kommissionärs bei unredlicher Handlung (OR 433 Abs. 1)
- Ansprüche gegen den Frachtführer bei vorbehaltloser Annahme (OR 452)
- Nichteinhaltung von Meldepflichten des Aktionärs zum wirtschaftlich Berechtigten (OR 697m Abs. 3)
Abgrenzung Verwirkung vs. Verjährung
Verwirkung
- Gegenstand der Verwirkung
- Forderungen können verwirken
- Gestaltungsrechte verwirken
- Vgl. BGE 114 II 131, Erw. 2b
- Ziel der Verwirkung
- Untergang des betreffenden Anspruchs infolge Zeitablaufs
- Ruhen der Verwirkung?
- Verwirkungsfristen können nicht ruhen und unterbrochen werden
- Vgl. BGE 119 II 434, Erw. 2a
- Berücksichtigung der Verwirkung
- von Amtes wegen
- Weitere Detailinformationen
- siehe nachfolgend
Verjährung
- Gegenstand der Verjährung
- Forderungen verjähren
- Ziel der Verjährung
- Blockierung der Durchsetzung des Anspruchs durch Zeitablauf
- Rechtsfrieden
- Ruhen und Unterbrechung der Verjährung
- Hinderung und Stillstand bei Konstellationen, die den Gläubiger von der Klage abhalten, sowie Verjährungsunterbrechung
- vgl. hiezu im Einzelnen
- Berücksichtigung der Verjährung
- nur auf Verjährungseinrede des Schuldners hin
- Weitere Detailinformationen
Uneinheitliche Terminologie des Gesetzgebers
- Der Gesetzgeber grenzt selber nicht klar zwischen Verwirkung und Verjährung ab; in folgenden Bestimmungen spricht er von Verjährung anstatt von Verwirkung:
Rechtsnatur
- Rechtsverlust durch Zeitablauf
Verwirkungs-Gegenstand
- Gestaltungsrechte
- Klagerechte
- Forderungen
Klassischer Verwirkungsfall
- OR 31 Abs. 1: die Verwirkung infolge (Grundlagen-)Irrtums
Offizialmaxime und Verwirkung
Ziel
- Berücksichtigung der Verwirkung von Amtes wegen
Amtsstellen und Gerichte
- Behörden und Gerichte haben die Verwirkung von sich aus und ohne Geltendmachung des Schuldners bzw. Gegners des Berechtigten zu beachten
Beurteilung, ob Verwirkung oder Verjährung
Massgeblichkeit des konkreten Einzelfalls
- Einzelfallprüfung, ob eine Verwirkung oder Verjährung vorliegt, erforderlich
Weitere Detailinformationen
Literatur
- GAUCH PETER / SCHLUEP WALTER R. / EMMENEGGER SUSAN, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, ohne ausservertragliche Haftpflicht, Band II, 10. Auflage, Zürich 2014, N 3386 ff.
- MEIER THOMAS, Verjährung und Verwirkung öffentlich-rechtlicher Forderungen, Zürich/Basel/Genf 2013
- GADOLA ATTILO R., Verjährung und Verwirkung im öffentlichen Recht, in: AJP 1/95 S. 47 ff.