Die Spezialliquidation regelt das Vorgehen, wenn der Konkurs über eine juristische Person oder über eine ausgeschlagene Erbschaft (Verlassenschaft) mangels Aktiven eingestellt wurde:
Definition
- Spezialliquidation = Verwertung von Pfandwerten einer juristischen Person oder einer ausgeschlagenen Erbschaft nach der Konkurseinstellung mangels Aktiven
Grundlage
Rechtsnatur
- Zwangsvollstreckungsverfahren (Verwaltungsverfahren)
- Spezialexekution im Anschluss an eine eingestellte Generalexekution
Ziel
- Endgültige Bereinigung einer durch die Konkurseinstellung mangels Aktiven entstandenen komplexen Vermögenssituation (Pfandverhältnis)
Sachliche Anwendungsvoraussetzungen
- Einstellung des Konkurses mangels Aktiven
- Pfandgläubigerbegehren
- Pfandforderung
Personelle Anwendungsvoraussetzungen
- ausgeschlagener Erbschaft
- Erben haben Nachlass ausgeschlagen
- Ein oder mehrere Erben
- mehrere Erben im Gesamthandverhältnis und als notwendige Streitgenossenschaft (vgl. ZPO 70 Abs. 1)
- mit Vorrang gegenüber Konkursgläubigern und Dritten
- vgl.
- BGer 5A_651/2020 vom 12.08.2021
- GASSER DOMINIK, Die Liquidation nach Artikel 230a SchKG, in: Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, 2000, S. 52, S. 54 und S. 56
- Erben haben Nachlass ausgeschlagen
- juristische Person
- Anwendung auch auf die Kollektivgesellschaft (KollG) und auf die Kommanditgesellschaft (KommG)
Verwertungsarten (Stufenfolge)
- Verwertung auf Verlangen eines Pfandgläubigers (SchKG 230a Abs. 2)
- Übertragung von Pfandwerten an den Staat (SchKG 230a Abs. 3)
- Sonstige Verwertung von Pfandwerten (SchKG 230a Abs. 4)
Pfandgegenstände
- Sämtliche verpfändete Aktiven
- Grundstücke
- Bewegliche Sachen
- Forderungen
- Sonstige Ansprüche
- Häufigste Pfandverhältnisse / Pfandgegenstände
- Grundpfandverhältnis
- Faustpfandrecht an Schuldbrief
- Sicherungsübereignung
- Retentionsrecht (Mietrecht, kaufmännisches Retentionsrecht etc.)
Zuständigkeit
- Konkursamt (vgl. SchKG 230a Abs. 2)
Verfahren
- Anwendung der Regeln des summarischen Konkursverfahrens
Verwertung nach Einstellung eines Nachlasskonkurses mangels Aktiven (SchKG 230a Abs. 1)
- Wird die konkursamtliche Liquidation einer ausgeschlagenen Erbschaft mangels Aktiven eingestellt, so können die Erben die Abtretung der zum Nachlass gehörenden Aktiven an die Erbengemeinschaft oder an einzelne Erben verlangen, wenn sie sich bereit erklären, die persönliche Schuldpflicht für die Pfandforderungen und die nicht gedeckten Liquidationskosten zu übernehmen
- Macht keiner der Erben von seinem Recht Gebrauch, so können es die Gläubiger und nach ihnen Dritte, die ein Interesse geltend machen, ausüben (SchKG 230a Abs. 1; Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 16.12.1994, in Kraft seit dem 01. 01.1997, AS 1995 1227)
Verwertung auf Verlangen eines Pfandgläubigers (SchKG 230a Abs. 2)
- Das ehemals verfahrensleitende Konkursamt setzt den Pfandgläubigern eine Frist an, um die Verwertung ihres Pfandobjektes zu verlangen, die dann als Spezialexekution nach den Regeln des Konkursrechts (summarisches Konkursverfahren) durchgeführt wird
- Für Einzelheiten vgl. ferner
Übertragung von Pfandwerten an den Staat (SchKG 230a Abs. 3)
- Verlangt kein Pfandgläubiger die Verwertung seines Pfandes, so werden die Aktiven der ehemaligen Konkursmasse nach Abzug der Kosten mit den darauf haftenden Lasten, jedoch ohne persönliche Schuldpflicht, auf den Staat (Kanton) übertragen, sofern die zuständige kantonale Behörde die Übertragung nicht ablehnt (SchKG 230a Abs. 3)
- Konkursamt, welches beabsichtigt die Aktiven gemäss SchKG 230a Abs. 3 unentgeltlich auf den Staat zu übertragen, muss einen Kollokationsplan erstellen, welcher ein Lastenverzeichnis enthält (vgl. BGE 140 III 462 = Pra 2015 Nr. 48)
- Vgl. ferner
Sonstige Verwertung von Pfandwerten (SchKG 230a Abs. 4)
- Verlangt kein Pfandgläubiger die Verwertung seines Pfandes und verzichtet der Staat auf die Vermögensübernahme, verwertet das Konkursamt die Aktiven und schüttet den Verwertungserlös primär an die Pfandgläubiger und einen allf. Überschuss sekundär an die Organe der ehemaligen Konkursitin aus
- Vgl. ferner
Art. 230a SchKG
Einstellung des Konkursverfahrens mangels Aktiven / 2. Bei ausgeschlagener Erbschaft und bei juristischen Personen
1 Wird die konkursamtliche Liquidation einer ausgeschlagenen Erbschaft mangels Aktiven eingestellt, so können die Erben die Abtretung der zum Nachlass gehörenden Aktiven an die Erbengemeinschaft oder an einzelne Erben verlangen, wenn sie sich bereit erklären, die persönliche Schuldpflicht für die Pfandforderungen und die nicht gedeckten Liquidationskosten zu übernehmen. Macht keiner der Erben von diesem Recht Gebrauch, so können es die Gläubiger und nach ihnen Dritte, die ein Interesse geltend machen, ausüben.
2 Befinden sich in der Konkursmasse einer juristischen Person verpfändete Werte und ist der Konkurs mangels Aktiven eingestellt worden, so kann jeder Pfandgläubiger trotzdem beim Konkursamt die Verwertung seines Pfandes verlangen. Das Amt setzt dafür eine Frist.
3 Kommt kein Abtretungsvertrag im Sinne von Absatz 1 zustande und verlangt kein Gläubiger fristgemäss die Verwertung seines Pfandes, so werden die Aktiven nach Abzug der Kosten mit den darauf haftenden Lasten, jedoch ohne die persönliche Schuldpflicht, auf den Staat übertragen, wenn die zuständige kantonale Behörde die Übertragung nicht ablehnt.
4 Lehnt die zuständige kantonale Behörde die Übertragung ab, so verwertet das Konkursamt die Aktiven.
Literatur
Liquidation ausgeschlagener Erbschaften nach SchKG 230a
- GILLIÉRON PIERRE-ROBERT, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Bd. III, 2001, N. 11 zu Art. 230a SchKG
- REYMOND JACQUES, La poursuite contre une succession, JdT 2009 II S. 58
- LUSTENBERGER URS, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 3 zu Art. 230a SchKG
- BAUER THOMAS, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Ergänzungsband, 2017, ad N. 7/c zu 230a SchKG
- JAEGER CARL / WALDER HANS-ULRICH / KULL THOMAS M. / KOTTMANN MARTIN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl. 1997/1999, N. 2 zu Art. 230a SchKG
- LAYDU MOLINARI SANDRA, La poursuite pour les dettes successorales, 1999, S. 72 Fn. 98, mit weiteren Hinweisen)
Liquidation juristische Personen nach SchKG 230a
- SCHMID JÜRG / JENT-SÖRENSEN, Zur Liquidation juristischer Personen nach Art. 230a SchKG, in: Tatsachen Verfahren Vollstreckung, Festschrift für Isaak Meier zum 65. Geburtstag, Peter Breitschmid, Ingrid Jent-Sörensen, Hans Schmid, Miguel Sogo (Hrsg.), Zürich / Basel / Genf 2015, S. 239 ff.
Judikatur
Liquidation ausgeschlagener Erbschaften nach SchKG 230a
- BGer 5A_651/2020 vom 12.08.2021 (Vorrang der Erben vor Konkursgläubiger und Dritten bei der Abtretung nach SchKG 230a)
- BGer 5A_689/2018 vom 01.10.2019 = BGE 145 III 499 ff. (alle zum Nachlass gehörenden Aktivitäten können Abtretungsgegenstand bilden)
- Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 19.05.2015 [LB150009] Erw. 5
- ZR 2015 Nr. 62 S. 243
- Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 02.04.2013 [ZL.2011.00064]
Liquidation juristischer Personen nach SchKG 230a
- BGE 140 III 462 = Pra 2015 Nr. 48
- BGer 5A_796/2016 vom 04.09.2017 (auch bei der Spezialliquidation endet der Zinsenlauf mit der Konkurseröffnung)