Schlichtungsverfahren
Dem Entscheidverfahren geht ein Schlichtungsverfahren vor einer Schlichtungsbehörde voraus:
- Schlichten vor Richten – so das Motto
Elemente des Schlichtungsverfahrens
- Schlichtungsgesuch (Schlichtungsbegehren)
- Bezeichnung der Gegenpartei / Parteibezeichnung
- Rechtsbegehren / Aufforderung für einen Schlichtungstermin
- Streitgegenstand / Kurzbegründung
- Vgl. ZPO 202 Abs. 2
- Form des Schlichtungsgesuches
- formfrei (mündlich zu Handen des Protokolls, schriftlich oder elektronisch) (ZPO 202 Abs. 1)
- Schlichtungsziel
- Aussöhnungs- und Einigungsversuch (ZPO 201 Abs. 1)
- Streitbeilegung
- Schlichtungsverfahren
- Persönliches Erscheinen der Parteien (ZPO 204)
- Vertraulichkeit (ZPO 205 / ZPO 203 Abs. 3)
- Mündliches Verfahren (ZPO 203 Abs. 4 e contrario)
- Rechtsberatungsfunktion
- en passant bei Chancen- / Risikenbeurteilung im Aussöhnungsversuch
- in Miet- und Pachtstreitigkeiten (vgl. ZPO 201 Abs. 2 i.V.m. ZPO 200)
- Schlichter (Friedensrichter)
- i.d.R. (Rechts-)Laie mit Verhandlungserfahrung oder Mediationsausbildung etc.
- Mediation als Schlichtungssurrogat
- Die Parteien können einvernehmlich auf ein Schlichtungsverfahren verzichten, wenn sie sich stattdessen einer Mediation unterwerfen (ZPO 213 ff.)
- Entscheidungsbefugnis des Schlichters
- bei einem Streitwert bis CHF 2‘000 (ZPO 212)
- Urteilsvorschlag des Schlichters
- bei einem Streitwert bis CHF 5‘000 (ZPO 210 f.)
- Schlichtung als Prozessvoraussetzung
- im ordentlichen und vereinfachten Verfahren
- Ausnahmen
- vide Verzichtssituationen
- Handelsgerichtszuständigkeit (siehe nachfolgend)
- Klagebewilligung im Nichteinigungsfalle
- Ausstellung der Klagebewilligung zuhanden des Klägers (ZPO 209)
- Weitere Detailinformationen
Bedürfnisse des Konsumentenschutzes
Aus konsumentenrechtlicher Sicht ist mit dem Schlichtungsverfahren den Bedürfnissen eines bürgernahen Anlaufsystems Rechnung getragen:
- Niederschwelliger Zugang
- Persönliches Erscheinen der Parteien
- Einfachheit des Verfahrens
- Günstige Kosten
Kein Schlichtungsverfahren
Vom Durchlaufen eines Schlichtungsverfahrens dispensiert sind:
- Prozesse vor einem der vier Handelsgerichte
- der Kantone Zürich, Aargau, Bern und St. Gallen
- vgl. hiezu Handelsgericht
Diese Prozesszuständigkeit setzt aber einen minimalen Streitwert von CHF 30‘000 voraus.
Gesetzestexte
1. Titel: Schlichtungsversuch
1. Kapitel: Geltungsbereich und Schlichtungsbehörde
Art. 197 ZPO Grundsatz
Dem Entscheidverfahren geht ein Schlichtungsversuch vor einer Schlichtungsbehörde voraus.
Art. 198 ZPO Ausnahmen
Das Schlichtungsverfahren entfällt:
- im summarischen Verfahren;
- bei Klagen über den Personenstand;
- im Scheidungsverfahren;
- im Verfahren zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft;
- bei folgenden Klagen aus dem SchKG:
- Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG),
- Feststellungsklage (Art. 85aSchKG),
- Widerspruchsklage (Art. 106-109 SchKG),
- Anschlussklage (Art. 111 SchKG),
- Aussonderungs- und Admassierungsklage (Art. 242 SchKG),
- Kollokationsklage (Art. 148 und 250 SchKG),
- Klage auf Feststellung neuen Vermögens (Art. 265aSchKG),
- Klage auf Rückschaffung von Retentionsgegenständen (Art. 284 SchKG);
- bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5 und 6 dieses Gesetzes eine einzige kantonale Instanz zuständig ist;
- bei der Hauptintervention, der Widerklage und der Streitverkündungsklage;
- wenn das Gericht Frist für eine Klage gesetzt hat.
Art. 199 ZPO Verzicht auf das Schlichtungsverfahren
1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.
2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn:
- die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat;
- der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist;
- in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995.
Art. 200 ZPO Paritätische Schlichtungsbehörden
1 Bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen besteht die Schlichtungsbehörde aus einer vorsitzenden Person und einer paritätischen Vertretung.
2 Bei Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 19951besteht die Schlichtungsbehörde aus einer vorsitzenden Person und einer paritätischen Vertretung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite und des öffentlichen und privaten Bereichs; die Geschlechter müssen paritätisch vertreten sein.
Art. 201 ZPO Aufgaben der Schlichtungsbehörde
1 Die Schlichtungsbehörde versucht in formloser Verhandlung, die Parteien zu versöhnen. Dient es der Beilegung des Streites, so können in einen Vergleich auch ausserhalb des Verfahrens liegende Streitfragen zwischen den Parteien einbezogen werden.
2 In den Angelegenheiten nach Artikel 200 ist die Schlichtungsbehörde auch Rechtsberatungsstelle.
2. Kapitel: Schlichtungsverfahren
Art. 202 ZPO Einleitung
1 Das Verfahren wird durch das Schlichtungsgesuch eingeleitet. Dieses kann in den Formen nach Artikel 130 eingereicht oder mündlich bei der Schlichtungsbehörde zu Protokoll gegeben werden.
2 Im Schlichtungsgesuch sind die Gegenpartei, das Rechtsbegehren und der Streitgegenstand zu bezeichnen.
3 Die Schlichtungsbehörde stellt der Gegenpartei das Schlichtungsgesuch unverzüglich zu und lädt gleichzeitig die Parteien zur Vermittlung vor.
4 In den Angelegenheiten nach Artikel 200 kann sie, soweit ein Urteilsvorschlag nach Artikel 210 oder ein Entscheid nach Artikel 212 in Frage kommt, ausnahmsweise einen Schriftenwechsel durchführen.
Art. 203 ZPO Verhandlung
1 Die Verhandlung hat innert zwei Monaten seit Eingang des Gesuchs oder nach Abschluss des Schriftenwechsels stattzufinden.
2 Die Schlichtungsbehörde lässt sich allfällige Urkunden vorlegen und kann einen Augenschein durchführen. Soweit ein Urteilsvorschlag nach Artikel 210 oder ein Entscheid nach Artikel 212 in Frage kommt, kann sie auch die übrigen Beweismittel abnehmen, wenn dies das Verfahren nicht wesentlich verzögert.
3 Die Verhandlung ist nicht öffentlich. In den Angelegenheiten nach Artikel 200 kann die Schlichtungsbehörde die Öffentlichkeit ganz oder teilweise zulassen, wenn ein öffentliches Interesse besteht.
4 Mit Zustimmung der Parteien kann die Schlichtungsbehörde weitere Verhandlungen durchführen. Das Verfahren ist spätestens nach zwölf Monaten abzuschliessen.
Art. 204 ZPO Persönliches Erscheinen
1 Die Parteien müssen persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen.
2 Sie können sich von einer Rechtsbeiständin, einem Rechtsbeistand oder einer Vertrauensperson begleiten lassen.
3 Nicht persönlich erscheinen muss und sich vertreten lassen kann, wer:
- ausserkantonalen oder ausländischen Wohnsitz hat;
- wegen Krankheit, Alter oder anderen wichtigen Gründen verhindert ist;
- in Streitigkeiten nach Artikel 243 als Arbeitgeber beziehungsweise als Versicherer eine angestellte Person oder als Vermieter die Liegenschaftsverwaltung delegiert, sofern diese zum Abschluss eines Vergleichs schriftlich ermächtigt sind.
4 Die Gegenpartei ist über die Vertretung vorgängig zu orientieren.
Art. 205 ZPO Vertraulichkeit des Verfahrens
1 Aussagen der Parteien dürfen weder protokolliert noch später im Entscheidverfahren verwendet werden.
2 Vorbehalten ist die Verwendung der Aussagen im Falle eines Urteilsvorschlages oder Entscheides der Schlichtungsbehörde.
Art. 206 ZPO Säumnis
1 Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen; das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
2 Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (Art. 209-212).
3 Bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben.
Art. 207 ZPO Kosten des Schlichtungsverfahrens
1 Die Kosten des Schlichtungsverfahrens werden der klagenden Partei auferlegt:
- wenn sie das Schlichtungsgesuch zurückzieht;
- wenn das Verfahren wegen Säumnis abgeschrieben wird;
- bei Erteilung der Klagebewilligung.
2 Bei Einreichung der Klage werden die Kosten zur Hauptsache geschlagen.
3. Kapitel: Einigung und Klagebewilligung
Art. 208 ZPO Einigung der Parteien
1 Kommt es zu einer Einigung, so nimmt die Schlichtungsbehörde einen Vergleich, eine Klageanerkennung oder einen vorbehaltlosen Klagerückzug zu Protokoll und lässt die Parteien dieses unterzeichnen. Jede Partei erhält ein Exemplar des Protokolls.
2 Ein Vergleich, eine Klageanerkennung oder ein vorbehaltloser Klagerückzug haben die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids.
Art. 209 ZPO Klagebewilligung
1 Kommt es zu keiner Einigung, so hält die Schlichtungsbehörde dies im Protokoll fest und erteilt die Klagebewilligung:
- bei der Anfechtung von Miet- und Pachtzinserhöhungen: dem Vermieter oder Verpächter;
- in den übrigen Fällen: der klagenden Partei.
2 Die Klagebewilligung enthält:
- die Namen und Adressen der Parteien und allfälliger Vertretungen;
- das Rechtsbegehren der klagenden Partei mit Streitgegenstand und eine allfällige Widerklage;
- das Datum der Einleitung des Schlichtungsverfahrens;
- die Verfügung über die Kosten des Schlichtungsverfahrens;
- das Datum der Klagebewilligung;
- die Unterschrift der Schlichtungsbehörde.
3 Nach Eröffnung berechtigt die Klagebewilligung während dreier Monate zur Einreichung der Klage beim Gericht.
4 In Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht beträgt die Klagefrist 30 Tage. Vorbehalten bleiben weitere besondere gesetzliche und gerichtliche Klagefristen.
4. Kapitel: Urteilsvorschlag und Entscheid
Art. 210 ZPO Urteilsvorschlag
1 Die Schlichtungsbehörde kann den Parteien einen Urteilsvorschlag unterbreiten in:
- Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995;
- Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- und Pachtverhältnisses betroffen ist;
- den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 5000 Franken.
2 Der Urteilsvorschlag kann eine kurze Begründung enthalten; im Übrigen gilt Artikel 238 sinngemäss.
Art. 211 ZPO Wirkungen
1 Der Urteilsvorschlag gilt als angenommen und hat die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids, wenn ihn keine Partei innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung ablehnt. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung.
2 Nach Eingang der Ablehnung stellt die Schlichtungsbehörde die Klagebewilligung zu:
- in den Angelegenheiten nach Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe b: der ablehnenden Partei;
- in den übrigen Fällen: der klagenden Partei.
3 Wird die Klage in den Angelegenheiten nach Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe b nicht rechtzeitig eingereicht, so gilt der Urteilsvorschlag als anerkannt und er hat die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheides.
4 Die Parteien sind im Urteilsvorschlag auf die Wirkungen nach den Absätzen 1-3 hinzuweisen.
Art. 212 ZPO Entscheid
1 Vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 2000 Franken kann die Schlichtungsbehörde entscheiden, sofern die klagende Partei einen entsprechenden Antrag stellt.
2 Das Verfahren ist mündlich.
Weiterführende Informationen
- Private Schlichtung
- Private Mediation
- Prozessmediation (ZPO 213 ff.)
- Allgemein zur Schlichtung
- Schlichtungsverhandlung – Erneute Vorladung des säumigen Klägers | bnlawyers.ch
- Teilnahmepflicht juristischer Personen an Schlichtungsverhandlung | bnlawyers.ch
- Klagebewilligung: Keine Anfechtung durch Berufung oder Beschwerde | bnlawyers.ch
- Schlichtungsverfahren: Sistierungszulässigkeit | bnlawyers.ch