Ausgangslage
Sofern und soweit Testamente nicht dem Notariat oder dem beurkundenden Notar resp. der Schweizerischen Zentrale Testamentsregister (ZTR) zur Aufbewahrung mit Einlieferungsauftrag übergeben wurde, stellt sich stets die Frage, ob das Testament vom Finder pflichtgemäss der Eröffnungsbehörde eingereicht wird oder wurde.
Bei Erbverträgen ist die Rechts- und Sachlage etwas anders. Hiezu auch nachfolgend.
Agenda
- Ausgangslage
- Einlieferungspflicht (ZGB 556 Abs. 1)
- Norm
- Normzweck
- Einlieferungsfrist?
- Verletzung der Einlieferungspflicht
- Einzuliefernde Schriftstücke
- Allgemein
- Testament oder ähnliche Schriftstücke
- Vollmachten post mortem + Anweisungen des Kunden an seine Bank
- Erbverträge
- Allgemein
- Klärung der Einlieferungspflicht im Erbvertrag
- Kombinierte Erbverträge mit jederzeit frei widerrufbaren Verfügungen (Testamenten)
- Eheverträge
- Einlieferungspflichtige Personen (ZGB 556 Abs. 2)
-
- Jedermann
- Amtsstellen
- Schweizerische Zentrale Testamentsregister (ZTR)
- Weiterführende Informationen
Einlieferungspflicht (ZGB 556 Abs. 1)
Das Gesetz schreibt in ZGB 556 Abs. 1 vor, dass für Testamente und ähnliche Schriftstücke, auch wenn sie als ungültig erachtet werden, der zuständigen Behörde einzuliefern sind.
Norm
Die Testaments-Einlieferungspflicht ist in ZGB 556 Abs. 1 und 2 geregelt.
E. Eröffnung der letztwilligen Verfügung
I. Pflicht zur Einlieferung
Art. 556 ZGB
1 Findet sich beim Tode des Erblassers eine letztwillige Verfügung vor, so ist sie der Behörde unverweilt einzuliefern, und zwar auch dann, wenn sie als ungültig erachtet wird.
2 Der Beamte, bei dem die Verfügung protokolliert oder hinterlegt ist, sowie jedermann, der eine Verfügung in Verwahrung genommen oder unter den Sachen des Erblassers vorgefunden hat, ist bei persönlicher Verantwortlichkeit verbunden, dieser Pflicht nachzukommen, sobald er vom Tode des Erblassers Kenntnis erhalten hat.
3 Nach der Einlieferung hat die Behörde, soweit tunlich nach Anhörung der Beteiligten, entweder die Erbschaft einstweilen den gesetzlichen Erben zu überlassen oder die Erbschaftsverwaltung anzuordnen.
II. Eröffnung
Art. 557 ZGB
1 Die Verfügung des Erblassers muss binnen Monatsfrist nach der Einlieferung von der zuständigen Behörde eröffnet werden.
2 Zu der Eröffnung werden die Erben, soweit sie den Behörden bekannt sind, vorgeladen.
3 Hinterlässt der Erblasser mehr als eine Verfügung, so sind sie alle der Behörde einzuliefern und von ihr zu eröffnen.
Normzweck
Ziel des Gesetzgebers war es, sicherzustellen, dass die Eröffnungsbehörde (ZGB 557)
von einer letztwilligen Verfügung (sprich «Testament») Kenntnis erhält.
Einlieferungsfrist?
Die Einlieferungspflicht besteht
- unbefristet,
- auch nach durchgeführter Erbteilung, haben doch Besserberechtigte Anspruch ihre Rechte wahrnehmen zu können.
Die Einlieferungspflicht steht in keinem Zusammenhang mit der Gültigkeit der letztwilligen Verfügung (Testament) und es gibt daher
- keine Maximalfrist, nach deren Ablauf der Finder von der Einlieferungspflicht befreit wäre.
Verletzung der Einlieferungspflicht
Die Verletzung der Testaments-Einlieferungspflicht kann nach sich ziehen:
- Schadenersatzansprüche
- Strafrechtliche Sanktionen
A. Haftung im Allgemeinen
I. Voraussetzungen der Haftung
Art. 41 OR
1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2 Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
Art. 97 OR
1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2 Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
45 Fassung gemäss Anhang 1 Ziff. II 5 der Zivilprozessordnung vom 19. Dez. 2008, in Kraft seit 1. Jan. 2011 (AS 2010 1739; BBl 2006 7221).
Art. 141 StGB
Wer dem Berechtigten ohne Aneignungsabsicht eine bewegliche Sache entzieht und ihm dadurch einen erheblichen Nachteil zufügt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Art. 144 StGB
1 Wer eine Sache, an der ein fremdes Eigentums‑, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2 Hat der Täter die Sachbeschädigung aus Anlass einer öffentlichen Zusammenrottung begangen, so wird er von Amtes wegen verfolgt.
3 Hat der Täter einen grossen Schaden verursacht, so kann auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Tat wird von Amtes wegen verfolgt.
Art. 254 StGB
1 Wer eine Urkunde, über die er nicht allein verfügen darf, beschädigt, vernichtet, beiseiteschafft oder entwendet, in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2 Die Unterdrückung von Urkunden zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt.
Einzuliefernde Schriftstücke
Allgemein
Für die Einlieferungspflicht sind nicht wesentlich,
- unter welchem Recht die letztwillige Verfügung (Testament) errichtet wurde;
- wie das Dokument vom Erblasser bezeichnet wurde;
- in welcher Form das Dokument errichtet wurde
- ob die letztwillige Verfügung
- echt
- anfechtbar
- nichtig
- ob die letztwillige Verfügung
- widerrufen (ZGB 505 + ZGB 509)
- aufgehoben (ZGB 511)
- zerrissen (ZGB 510)
- aufgehoben (ZGB 511)
- ob die letztwillige Verfügung
- im Widerspruch zu einer anderen steht
- ein sog. «korrespektives Testament» bildet (gemeinschaftlich errichtet mit gegen- bzw. wechselseitigem Inhalt)
- ein Entwurf
- eine Kopie
- eine Schreibmaschinenabschrift
- vollständig computergeschriebenes Testament
- in welchem (Aufbewahrungs-)Zustand
- offen
- verschlossen
- versiegelt.
Die Gültigkeit des Dokuments als letztwillige Verfügung (Testament) ist nicht vom Einliefernden, sondern von der Behörde von Amtes wegen zu beurteilen, welcher das Dokument einzuliefern ist.
Entscheidend ist,
- dass der Erblasser im Dokument Anordnungen für den Fall seines Todes getroffen hat.
Sind mehrere letztwillige Verfügungen (Testamente) vorhanden,
- sind alle einzureichen (vgl. ZGB 557 Abs. 3).
Testament oder ähnliche Schriftstücke
Der Einlieferungsbehörde einzureichen sind alle Dokumente, die in irgend einer Form mit dem präsumtiven Tod des Erblassers zu tun haben.
Vollmachten post mortem + Anweisungen des Kunden an seine Bank
Die Einlieferungspflicht beschlägt auch
- Vollmachten post mortem (sog. Vollmachten über den Tod hinaus)
- Anordnungen des Kunden an seine Bank betreffend die Erbteilung seines Vermögens nach seinem Tode.
Auch solche Dokumente sind, sei es im Original oder in Kopie, der Einlieferungsbehörde einzureichen.
Erbverträge
Allgemeines
In der Lehre war bisher unbestritten, dass Erbverträge nicht der testamentarischen Einlieferungspflicht unterworfen sind. Neuerdings zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung Einlieferungsobliegenheit ab; die Lehre ist weiterhin uneinheitlich.
Vgl. im Einzelnen: BSK-KARRER/VOGT/LEU, N 13 zu Art. 556 ZGB; EMMEL, Praxiskommentar Erbrecht, Rz 8 zu Art. 556 ZGB
Bezüglich der Erbverträge (ZGB 512 ff.) besteht nach diesem neueren Teil der Lehre eine» echte Gesetzeslücke», welche vom Richter auszufüllen ist; bei dieser Betrachtungsweise dürften Erbverträge einzuliefern sein:
- Wer vorsichtig sein will, reicht einen Erbvertrag ebenfalls zur Eröffnung ein, ausser die Erbvertragsparteien hätten für diesen Ablebensfall eine Eröffnung ausdrücklich ausgeschlossen.
Klärung der Einlieferungspflicht im Erbvertrag
In aller Regel werden im Erbvertrag Aufbewahrung, Einlieferung und Eröffnung einerseits wegen kantonaler Beurkundungsvorgaben (ZH) und andererseits wegen dieser Lücke geklärt. Dabei lässt sich auf die konkreten Verhältnisse bzw. den Willen der Erbvertragsparteien Rücksicht nehmen:
- Einlieferung nur beim Nachableben des Erblassers
- Einlieferung beim gleichzeitigen oder Nachableben des Erblassers in Bezug auf eine Erbvertragspartei
- Einlieferung in allen drei Ablebensfällen (Vorableben, gleichzeitiges Ableben und Nachableben)
- Verzicht auf Einlieferung und Eröffnung
- etc.
Oft wird dabei auch geklärt, wo die Urkunde hinterlegt wird; übernimmt der pot. Erblasser die Aufbewahrung selber, so verlangt der beurkundende Notar in der Regel die Abgabe einer Befreiungserklärung.
Kombinierte Erbverträge mit jederzeit frei widerrufbaren Verfügungen (Testamenten)
Enthält ein Erbvertrag – unabhängig davon, ob im Vertragstitel erwähnt – letztwillige Verfügung, so besteht für solche Dokumente eine Einlieferungspflicht nach ZGB 556.
Eheverträge
Es besteht keine (bundesrechtliche) Pflicht zur Einreichung von
Gemäss Lehre und Rechtsprechung besteht weder eine Gesetzeslücke, noch eine Regelungskompetenz der Kantone.
Sofern und soweit diese Dokumente indessen letztwillige Abreden – oder je nach Lehrmeinung – erbvertragliche Vereinbarungen enthalten, sind diese der zuständigen Behörde einzureichen.
Ob und inwieweit eine sog. fakultative Einlieferung und Eröffnung notwendig und/oder nützlich ist, muss im konkreten Einzelfall entschieden werden.
Einlieferungspflichtige Personen (ZGB 556 Abs. 2)
Jedermann
Einlieferungspflichtig ist, wer eine letztwillige Verfügung (oder – je nach Lehrmeinung – einen Erbvertrag)
- in Verwahrung genommen hat;
- auffindet
- zB Erben, die die Wohnung räumen
- zB Räumungsinstitute, die vor der Hausratsentsorgung die Akten des Erblassers aussortieren o.ä.
Die Einlieferungspflicht gilt als
- allgemeine Bürgerpflicht;
- Pflicht der Hinterlegungsstellen.
Amtsstellen
Einlieferungspflichtig sind auch die Urkundsbeamten (zB Notare),
- die den Willen des Erblassers (oder – je nach Lehrmeinung – Parteiwillen bei einem Erbvertrag) öffentlich beurkundet haben;
- bei denen die Urkunde hinterlegt ist.
Daher entlasten sich die Urkundsbeamten durch einen Disclaimer in der Urkunde, wenn das Dokument nicht bei ihnen hinterlegt, sondern vom Erblasser (oder – je nach Lehrmeinung – von den Parteien bei einem Erbvertrag) mit zu sich, zur eigenverantwortlichen Verwendung und Aufbewahrung mitgenommen werden.
Hinterlegungsmöglichkeit
Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass letztwillige Verfügungen einer Amtsstelle zur Verwahrung gegeben werden können:
- im Original oder in Abschrift
- offen oder verschlossen.
Vgl. ZGB 504 Abs. 2.
Die Hinterlegungsstelle trifft eine Pflicht zur Registerführung über Ein- und Ausgänge.
Für Auslandschweizer soll die Möglichkeit bestehen, ihr Testament bei ihrer Heimatgemeinde zu hinterlegen.
Schweizerische Zentrale Testamentsregister (ZTR)
Bei der „Schweizerischen Zentrale Testamentsregister (ZTR)“ des Schweizerischen Notarenverbands können Dokumente, die bei einem Notar, Rechtsanwalt oder Amtsstelle in der Schweiz hinterlegt sind, gemeldet und registriert werden:
- Testamente
- Erb- und Eheverträge
- Weitere auf den Tod hin errichtete Dokumente.
Die ZTR nimmt jedoch selber keine Testamente zur Hinterlegung entgegen.
Link zur Schweizerischen Zentrale Testamentsregister (ZTR)
(abgerufen am 27.07.2022)
- Das Testamentsregister | snv-fsn.ch
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Quelle
LawMedia Redaktionsteam