Unter einem «Konzern» verstehen wir eine wirtschaftlich einheitliche Unternehmung aus rechtlich selbständigen Einheiten.
Das Obligationenrecht umschreibt zwar den Konzern (indirekt) als eine Gesellschaft, die «durch Stimmenmehrheit oder auf andere Weise eine oder mehrere Gesellschaften unter einheitlicher Leitung» zusammenfasst (Art. 663e Abs. 1 OR). Dennoch existiert in der Schweiz – ausser einzelnen Regelungen (z.B. zur Konzernrechnungslegung, Art. 663e, Art. 663f, Art. 663g, Art. 663h OR; zur Publizität der Beteiligungsverhältnisse Art. 663c OR) – kein spezielles Konzernrecht.
Ansprüche gegen den VR der Tochtergesellschaft
Ansprüche gegen der VR der Tochtergesellschaft können sich aus der Grundnorm der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit (Art. 754 OR) ergeben, wobei nebst einer Sorgfaltspflichtverletzung durch den VR selbstredend auch ein Schaden, der Kausalzusammenhang und ein Verschulden vorliegen müssen.
Beispiel:
Liegt ein Interessenkonflikt zwischen den Interessen der Tochtergesellschaft und einer Weisung der Muttergesellschaft vor und trifft der VR der Ersteren eine Entscheidung zu Lasten der Tochtergesellschaft, so wird wohl eine haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen (Verletzung von Sorgfalts- und Treuepflichten nach Art. 717 Abs. 1 OR bzw. unübertragbarer Aufgaben nach Art. 716a OR).
Ansprüche gegen die Muttergesellschaft
Als Aktionärin ihrer Tochtergesellschaften haftet die Muttergesellschaft grundsätzlich nicht für deren Verbindlichkeiten (vgl. Art. 620 Abs. 2 OR). Dennoch sind verschiedene Gründe denkbar, die zur Haftung der Muttergesellschaft für Verpflichtungen ihrer Tochter führen können:
Vertragliche Haftung
Die Muttergesellschaft kann für die Verbindlichkeiten ihrer Tochter aufgrund vertraglicher Vereinbarung haften, z.B.:
- Garantie (Art. 111 OR)
- Bürgschaft (Art. 492 OR)
- sog. Patronatserklärung zugunsten der Tochtergesellschaft
Haftung aus faktischer Organschaft
Soweit die Muttergesellschaft Aufgaben wahrnimmt bzw. Entscheidungen trifft, die den eigentlichen Geschäftsführungsorganen der Tochtergesellschaft vorbehalten sind und dadurch die Geschicke der Gesellschaft massgeblich beeinflusst, kann sie für deren Schäden als faktisches Organ haften.
Haftung aus «Durchgriff»
Ein Konzern besteht grundsätzlich aus rechtlich selbständigen Gesellschaften. Bei Missachtung der Regeln des Aktienrechts kann die rechtliche Trennung zwischen den einzelnen Gesellschaften jedoch ausnahmsweise durchbrochen werden. Ein sog. «Durchgriff» erfolgt, wenn die Berufung auf diese rechtliche Eigenständigkeit als rechtsmissbräuchlich erscheint (sog. «piercing the corporate veil»). Folgende Voraussetzungen sind dabei zu beachten:
- Gläubiger der Tochtergesellschaft sind zu Schaden gekommen;
- die Tochtergesellschaft wurde von der Mutter als Haupt- oder Alleinaktionär beherrscht;
- rechtsmissbräuchliches Verhalten (z.B. Vermischung der Vermögen von Mutter- und Tochtergesellschaft).
Insbesondere der Nachweis des Rechtsmissbrauchs kann im Einzelfall sehr schwierig werden. Die Haftung der Mutter als faktisches Organ oder aus Vertrauenshaftung ist in der Praxis deshalb deutlich häufiger anzutreffen.
Haftung aus Konzernvertrauen
Eine Haftung der Muttergesellschaft kann bejaht werden, wenn durch deren Verhalten bestimmte Erwartungen in eine Konzernverantwortung erweckt, das geschaffene Vertrauen jedoch anschliessend enttäuscht wird. Dabei gilt eine strenge Rechtsprechung, damit Gläubiger der Tochtergesellschaft nicht unbesehen auf die Kreditwürdigkeit der Mutter vertrauen.
Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann eine Haftung der Muttergesellschaft aus Konzernvertrauen unter den nachfolgenden Voraussetzungen entstehen (sog. «Swissair-Entscheid»; BGE 120 II 331):
- keine vertragliche oder strafrechtliche Haftung gegenüber dem Gläubiger (Subsidiarität);
- Schaffung eines Vertrauenstatbestandes durch die Muttergesellschaft (z.B. eine Werbung erweckt den Anschein, dass Mutter- und Tochtergesellschaft zusammengehören; unrichtige Aufklärung über die wirtschaftliche Lage der Tochtergesellschaft durch die Mutter; Verheimlichung existenzbedrohender Entwicklungen);
- Dispositionen des Gläubigers aufgrund des erweckten Vertrauens;
- Enttäuschung des erweckten Vertrauens in treuwidriger Weise;
- Kausal entstandener Schaden.