Bis zum Inkrafttreten der Immobiliarsachenrechts-Revision (01.01.2012) galt der Grundsatz, dass die Schuldbrief-Errichtung eine neue abstrakte Forderung begründet und die ursprüngliche Grundforderung untergehen lässt. Nach neuem Recht gilt die Vermutung, dass die Grundforderung fortbestehen bleibe.
Die Vermutungsfolge wurde also umgekehrt, was nachfolgend zu erläutern ist:
Altrechtliche Novationsvermutung
Eine wichtige Voraussetzung des Schuldbriefs bis 31.11.2011 war es, dass er von seinem obligatorischen Grundverhältnis zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien losgelöst war.
Regelfall
- Abstrakte Schuldbriefforderung durch Novation (Neuerung) [vgl. OR 116 und OR 117]
- Durch die Novation wird eine abstrakte, vom ursprünglichen Schuldverhältnis losgelöste, rechtsgrundbefreite Schuldbriefforderung geschaffen
- Vgl. BGE 105 III 128
- Keine Einreden und Einwendungen aus dem ehem. Grundverhältnis [vgl. ZGB 849]
- Ausnahmen
- Zulässigkeit der Einreden aus dem Pfandrechtseintrag
- Zulässigkeit der Einreden aus dem Schuldbrief (Titel)
- Zulässigkeit der Einreden, die dem Schuldner gegen den ihn belangenden Gläubiger wie Verrechnung, Tilgung usw.
- Ausnahmen
- Gutglaubensschutz für Schuldbrief und Grundbucheintrag
- Vgl. ZGB 973, ZGB 862; BGE 107 II 450
- Spätere Änderungen am novierten Schuldverhältnis sind im Grundbuch und auf dem Schuldbrief, je durch das Grundbuchamt, nachzutragen
- Anwendungsfälle
- zB nicht aus dem Schuldbrief-Tenor ersichtliche Amortisationen
- zB Teilrückzahlungen
- Ohne Quantitativ-Anpassung im Grundbuch und auf dem Schuldbrief können die Rückzahlungen dem späteren, gutgläubigen Titelerwerber nicht entgegengehalten werden [vgl. ZGB 863; BGE v. 05.02.1981, in: ZBGR 65 (1984) Nr. 22 S. 167 / 168, Erw. 2a]
- Ausnahme
- Kein Gutglaubensschutz im Umfange der aus dem Titel-Tenor ersichtlichen Amortisationszahlungen [vgl. ZGB 846 Abs. 2; ZGB 852 / 853]
- Ausnahme gilt nicht für abbezahlte und als Faustpfandtitel verpfändete Schuldbriefe [vgl. BGE v. 05.02.1981, in: ZBGR 65 (1984) Nr. 22 S. 167 / 168, Erw. 2a]
- Ausnahme
- Anwendungsfälle
Ausnahmen (2)
- Vertraglicher Verzicht auf Novation
- Abrede gilt zwischen den Schuldbriefparteien und allen nicht gutgläubigen Dritten, die davon wussten [vgl. ZGB 846 Abs. 2 und ZGB 849 Abs. 2]
- Fall von BGE v. 01.09.1978, in: ZBGR 60 (1979) Nr. 13 S. 108 / 109 (Abrede, wonach mit dem Schuldbrief nur besondere Forderungen über einen bestimmten Betrag sichergestellt werden sollen (Pfandrecht für nur jeweils geschuldeten Betrag; Schuldner sollte jederzeit die Einrede erheben können, der gewährte Kredit sei nicht oder nicht vollbeansprucht bzw. ganz oder teilweise zurückbezahlt)
- Bei bloss partei-interner Abrede kann der Schuldner, wenn der ursprüngliche Gläubiger diese nicht auf den Schuldbrief-Erwerber überbindet, trotz des entgegenstehenden Grundverhältnisses zB für den ganzen Betrag vom neuen (gutgläubigen) Schuldbrief-Eigentümer in Anspruch genommen werden; gegenüber einem bösgläubigen Schuldbrief-Erwerber bleibt die Einrede des erw. Grundverhältnisses möglich
- Handlungsunfähigkeit des Titelschuldners
- Der Rechtsmangel der Urteilsunfähigkeit, der Unmündigkeit oder der Entmündigung, welcher zur Nichtigkeit der Errichtung des Schuldbriefes führt, wird im Verhältnis von Schuldner und erstem Schuldbrief-Gläubiger nicht geheilt
- Der spätere Schuldbrief-Erwerber muss, sofern er gutgläubig ist, die Handlungsunfähigkeit des Schuldners nicht entgegenhalten lassen [vgl. BGE 89 II 391 ff. und BGE v.17.12.1964 = ZBGR 47 (1966) Nr. 68 S. 304]
Weiterführende Informationen
- Judikatur
- Novation
- BGE v. 01.09.1978, in: ZBGR 60 (1979) Nr. 13 S. 109
- ZR 67 Nr. 22 S. 83 = ZBGR 49 (1968) Nr. 10 S. 97 / 98
- BGE 71 III 156 / 157, Erw. 2 betreffend Sondervereinbarung, wonach aus dem Schuldbrief keine Barzahlung gefordert werden solle
- Andere Nichtigkeitsgründe
- BGE 107 II 451 betreffend Schuldbrieferrichtung in Umgehung des Bundesgesetzes über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG)
- www.immobilienerwerb-durch-auslaender.ch/
- Novation
- Lehre
- Siehe Literaturverzeichnis zum Schuldbrief
Keine Novationsvermutung im neuen Recht
Der Gesetzgeber hat mit Inkrafttreten des Immobiliarsachenrechts-Revision (01.01.2012) den bis anhin wesentlichen Grundsatz, dass bei Errichtung des Schuldbriefes zum Verkehrsschutz die ursprüngliche Forderung durch eine abstrakte neue Forderung ersetzt wird (= Novation), aufgegeben:
Grundsatz
- (dispositive) Vermutung, dass die Grundforderung fortbestehen bleibe [vgl. ZGB 842 Abs. 2]
- Wirkung
- Parallelität von kausaler Grundforderung und abstrakter Grundpfandforderung
Ausnahme
- (ausdrückliche) Verabredung der Novation [vgl. ZGB 842 Abs. 2 a.E.]
Weiterführende Informationen
- Die in der Praxis entwickelte und heute vorherrschende Sicherungsübereignung im Hypothekenmarkt ist Anlass für die Abkehr von der Novation [vgl. auch Botschaft S. 5321].