Wie bei jeder Sozialversicherung können im Recht der Lohnfortzahlung Leistungen unter dem „Deckmantel“ der Krankheit erschlichen werden. Spannungen sind hier aber noch mehr vorprogrammiert:
- Arbeitgeber
- Grundhaltung: Gültigkeit des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“; dieser Grundsatz hat aber infolge der wichtigen Einschränkung der Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit und Unfall an Bedeutung verloren (vgl. OR 324a)
- Arbeitskollegen
- Sie haben die Vakanz mit Mehrarbeit auszugleichen
- In der Regel wissen die Arbeitskollegen über die „anderen“ meist mehr als der Chef
- Unvorsichtige Äusserungen des krankgeschriebenen Arbeitnehmers tragen das ihr bei
- Die Informationen der Arbeitskollegen finden durch arbeitgebertreue oder anschwärzende Kollegen den Weg zum Chef
- Ärzte
- Auch die Ärzte können wegen ihrer Arbeitsunfähigkeitsatteste ins Kreuzfeuer von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geraten
- zB rückwirkendes Arztzeugnis
- zB durch nicht nachvollziehbare Arztzeugnisse (nächster Konsultationstermin in Tagen, Arbeitsunfähigkeitsattest auf Wochen etc.)
- In der Lehre wird davon ausgegangen, dass wegen des Arbeitsunfähigkeitsnachweises bei jedem Missbrauchsfall auch ein Arzt involviert sei
- Auch die Ärzte können wegen ihrer Arbeitsunfähigkeitsatteste ins Kreuzfeuer von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geraten
- Abwesender Arbeitnehmer
- Häufig fühlen sich betroffene Mitarbeiter durch das Misstrauen des Vorgesetzten in seiner Persönlichkeit und in seiner Ehre verletzt
- Auch Arbeitskollegenverhalten kann zu einer Ausgrenzung oder zum Verlust der Teamakzeptanz führen.
Geschürt durch das Verhalten des abwesenden Arbeitnehmers oder Hinweise von Arbeitskollegen und Dritten, aber auch durch das ärztliche Attestverhalten, vermuten Arbeitgeber nicht selten das Vorliegen einer ungerechtfertigten Arbeitsabsenz. – Es geht immer (viel) um Geld (Lohnzahlung trotz Einnahmenverlust), um Organisationsfolgeprobleme und u.U. gar um Kundenverlust.
Zum Missbrauch der Lohnfortzahlungspflicht im Einzelnen:
- Definition
- Kurzdefinition
- Absentismus = Arbeitnehmer-Fehlzeiten, die objektiv nicht begründet sind
- Mittellange Definition
- Absentismus = Vortäuschung einer Krankheit, um ohne Lohneinbusse von der Arbeit fernbleiben zu können
- Langdefinition
- Absentismus = Abwesenheit vom Arbeitsplatz aufgrund besonderer Einstellungen und Motivationen ohne direktes Krankheitsbild, aber möglicherweise mit einer vorgeschobenen Krankheit (SALOWKSY HEINZ, Fehlzeiten – Eine Bilanz nach 20 Jahren Lohnfortzahlungsgesetz, Köln 1991, 42
- Kurzdefinition
- Grundlagen
- OR 324a Abs. 1 (Täuschung / Erschleichung der Lohnfortzahlung)
- ev. ZGB 2 (rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme der Lohnfortzahlungspflicht)
- Abgrenzungen
- Schuldhafte Herbeiführung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
- Unvernünftiges Lebensführung, Sucht- und andere Krankheiten
- Schuldhafte Verzögerung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
- Vermeidung gesundheitsschädlicher Aktivitäten
- Unterlassung gesundheitsfördernder Massnahmen
- Schuldhafte Herbeiführung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit
- Rechtsnatur
- Haftung aus Vertrag infolge Erschleichens der Lohnfortzahlung trotz fehlender Voraussetzungen
- Wirtschaftliche Bedeutung
- Die wirtschaftliche Tragweite des Absentismus wird von Analytikern als beachtlich eingeschätzt
- Erschleichungstatbestände
- Erscheinungsformen im engeren Sinne
- Fehlen unter vorgeschobener Krankheit
- Berufung auf Krankheit um ohne Grund der Arbeit fernzubleiben
- Verzögerte Wiederaufnahme der Arbeit durch absichtlich verlängerte Genesungsphase nach der Krankheit
- Fehlen unter vorgeschobener Krankheit
- Erscheinungsformen im weiteren Sinne
- Stundenweises Fernbleiben vom Arbeitsplatz
- Funktionsbedingte Mehrabsenzen (Kadermitarbeiter)
- Herkunftsbedingte Mehrabsenzen (Staatsangehörige aus anderen Kulturkreisen)
- Konjunktur- bzw. motivationsbedingt Abwesenheiten (Wirtschaftslage oder persönliche Situation)
- Bummelei
- Verspätetes Erscheinen
- Vorzeitiges Verlassen der Arbeitsstelle
- Krankfeiern
- Blau machen
- etc.
- Stundenweises Fernbleiben vom Arbeitsplatz
- Erscheinungsformen im engeren Sinne
- Fehlzeiten / Absentismusquote
- Statistische Erhebungen von Fehlzeiten + Krankenstand
- Die gesamtschweizerischen Fehlzeiten- und Krankenstands-Quoten sind auch aus den Erhebungen über die Ausfallzeiten des Bundesamtes für Statistik ersichtlich
- Sachbedingt lässt sich natürlich die Vorspiegelung einer unbegründeten Abwesenheit statistisch nicht ausscheiden und erheben
- Die gesamtschweizerischen Fehlzeiten- und Krankenstands-Quoten sind auch aus den Erhebungen über die Ausfallzeiten des Bundesamtes für Statistik ersichtlich
- Keine statistische Zugänglichkeit des Fehlverhaltens
- Es gibt in der Schweiz kein verlässliches Zahlenmaterial
- Absenzen mit oder ohne Arztbeteiligung (Arztzeugnis)
- Zu unterscheiden dürfte sein zwischen
- Nachweisfreien Absenzen (Betriebsübung 1 – 3 Tage)
- Absenzen mit Arbeitsunfähigkeitsnachweis (i.d.R. Arztzeugnis)
- Zu unterscheiden dürfte sein zwischen
- Statistische Erhebungen von Fehlzeiten + Krankenstand
- Gründe für Absentismus
- Private Gründe
- Beziehungsprobleme
- Überlastung mit privaten Verhältnissen
- Kinderbetreuung / kranke Kinder
- Zeitraubendes Hobby
- Koordination von Kinderbetreuungsstätte und Arbeit
- Nebenbeschäftigung
- Andere Teilzeitstellen (im Teilzeit-Arbeitsverhältnis)
- Gesundheitliche Gründe
- Alkoholismus
- Gebrechen, die mit der Berufseignung nicht vereinbar sind
- Lebensbedrohliche Situationen
- Berufliche Gründe
- Arbeitnehmer fehlt die (erwartete) Anerkennung am Arbeitsplatz
- Unsicherheit am Arbeitsplatz / Überforderung
- Mobbing durch Arbeitskollegen
- Schlechtes Betriebsklima
- Unbefriedigende Unternehmenskultur
- Private Gründe
- Möglichkeiten und Massnahmen zur Reduktion
- Mitarbeiter-Fehlzeitengespräche
- Hemmung des Arbeitnehmers über die tatsächlichen Ursachen zu sprechen
- Hilfsangebote des Arbeitgebers statt Verwarnungen
- Massnahmen zur Reduktion der Abwesenheit
- Hemmung des Arbeitnehmers über die tatsächlichen Ursachen zu sprechen
- Vertragsgestaltung
- Stringentere Nachweispflicht
- Massnahmen zur Reduktion der Abwesenheit
- Anzeige- und Nachweispflicht
- Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
- Krankenkontrolle
- Sanktionsmöglichkeiten
- Mitarbeiter-Fehlzeitengespräche
- Auswirkungen
- Prävention / Repression?
- Der Absentismus lässt sich in der Regel nur durch Prävention und nicht durch Repression beschränken
- Streitfolgen
- Eskaliert ein Streit um die Ausgewiesenheit einer krankheitsbedingten Abwesenheit (und die Lohnfortzahlung), lässt sich der Arbeitsstreit gewinnen, aber in den wenigsten Fällen das Arbeitsverhältnis retten
- Prävention / Repression?
Literatur
- SCHÖNENBERGER CHRISTOPH PATICK, Das Erschleichender Lohnfortzahlung unter Berufung auf Krankheit, Diss. Bern 2001
- SALOWSKY HEINZ, Fehlzeiten – empirische Zusammenhänge, in: Marr Rainer (Hrsg.), Absentismus, Göttingen 1996, S. 41 – S. 56
- SALOWSKY HEINZ, Fehlzeiten – Eine Bilanz nach 20 Jahren Lohnfortzahlungsgesetz, Köln 1991
- SALOWSKY HEINZ, Fehlzeiten – Ein internationaler Vergleich, Köln 1983
Weiterführende Informationen
- Absenzen | bfs.admin.ch