Das Aktienkapital einer Gesellschaft ist derjenige Anteil der Eigentümer (Aktionäre) am Gesellschaftsvermögen, der den Gläubigern der Gesellschaft haftet. Das OR sieht diverse Mechanismen vor, die allesamt dem Schutz dieses Aktienkapitals und damit den Gläubigern der Gesellschaft dienen:
- Einberufung GV / Beantragung Sanierungsmassnahmen (Art. 725 Abs. 1 OR);
- Erstellung Zwischenbilanz (Art. 725 Abs. 2 OR);
- Benachrichtigung des Richters (Art. 716 a Ziff. 7 OR bzw. Art. 725 Abs. 2 OR);
Handlungspflichten des VR je nach Schwere der Krise
a) Bilanzverlust
Entspricht das Anlagevermögen z.B. infolge Wertverlusts durch Abschreibungen nicht mehr der Wertquote des Eigenkapitals (inkl. Reserven) so liegt ein Bilanzverlust vor. Eine erhöhte Achtsamkeit an VR-Sitzungen ist ratsam:
- Analyse möglicher Ursachen
- Überprüfung der Geschäftsabläufe und Organisationsstrukturen
- Finanzplanung im Auge behalten
- nötigenfalls Einleitung von Sanierungsmassnahmen
b) Hälftiger Kapitalverlust nach Art. 725 Abs. 1 OR
Hat der Bilanzverlust die Hälfte des Eigenkapitals (inkl. Reserven) oder mehr verzehrt, übersteigt er jedoch die Gesamtsumme des EK nicht, so liegt ein hälftiger Kapitalverlust vor. Nun verpflichtet das Gesetz den VR zum Handeln (Art. 725 Abs. 1 OR):
- Erstellung Zwischenbilanz bei begründeter Besorgnis hälftiger Kapitalverlust
- unverzügliche Einberufung der Generalversammlung
- Orientierung GV über Lage der Gesellschaft
- Beantragung von Sanierungsmassnahmen
c) Begründete Besorgnis einer Überschuldung nach Art. 725 Abs. 2 OR
Übersteigt der Bilanzverlust das Eigenkapital (inkl. Reserven) bzw. ist der Wert der Gesellschaftsaktiven kleiner als das Fremdkapital, so liegt eine Überschuldung vor:
- Erstellung Zwischenbilanz bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung
- Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR)
- sofern kein Rangrücktritt von Gesellschaftsgläubiger im Ausmass der Unterdeckung
- bzw. keine konkrete Aussicht auf Sanierung (vgl. Voraussetzungen Konkursaufschub, Art. 725a OR);
- ernsthaft
- zeitnah
- nachhaltig
- Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR)
Typische Sanierungsmassnahmen (aussergerichtlich)
- Auflösung von Bewertungsreserven
- Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen
- Stillhaltevereinbarungen (Stundung, privatrechtlich)
- Kapitalerhöhung
- Kapitalschnitt (Kapitalherabsetzung und anschliessende Wiedererhöhung)
- Verkauf von Aktiva an Auffanggesellschaft
- Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (debt/equity swap)
- Abtretung, Verkauf von Aktiven an Gläubiger (debt/asset swap)
- Rangrücktritt
- Forderungsverzicht
- A-fonds-perdu-Beiträge
- Sanierungsfusion
Probleme, Risiken aussergerichtlicher Sanierungsmassnahmen
- Bewertungsprobleme bei Aktiven ohne Marktpreis, insbesondere bei
- Auffanggesellschaft
- debt/equity swap; debt/asset swap
- Gefahr Gläubigerbevorzugung(aktienrechtliche Gleichbehandlungspflicht nur Aktionären gegenüber)
- insbesondere bei
- Schuldenrückzahlungen
- Auffanggesellschaft
- debt/equity swap; debt/asset swap;
- » Möglichkeit der paulianischen Anfechtung
- Umqualifizierung kaptialersetzender Darlehen von Aktionären und Nahestehenden, insbesondere
- wenn Gesellschaft bei Darlehensgewährung unterkapitalisiert
- wenn Darlehen von Dritten unwahrscheinlich
- bei Konzernverhältnissen (Arm‘s length Bedingungen)
- » zusätzliche Gefahr: Vorwurf der Konkursverschleppung
- ev. Nachliberierungspflicht bei Überschuldung(zweifelhafte Werthaltigkeit der Forderung) bei
- Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (debt/equity swap)
- Kreditaufnahme
- » nur bei Fortführungsfähigkeit, ansonsten Gefahr Konkursverschleppung
Fazit
In Krisensituationen hat der VR vermehrte Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten zu beachten. Eine Missachtung dieser Pflichten kann Konsequenzen haben:
- persönliche Haftung des VR
- sog. paulianische Anfechtung (Art. 286 ff. SchKG)
- strafrechtlichen Verantwortlichkeiten
Weiterführende Informationen
Paulianische Anfechtung
Sogenannte paulianische Anfechtungsklagen dienen der Rückabwicklung von Vermögensübertragungen, die sich vor Konkurseröffnung (bzw. vor Nachlassstundung oder Vermögenspfändung) ereigneten (Art. 285 ff. SchKG):
Anfechtbar sind:
- Schenkungen oder
- unübliche Leistungen des überschuldeten Schuldners (z.B. Zahlung vor Fälligkeit)
- innerhalb der letzten 12 Monate vor Konkurseröffnung
- mit Folge: Begünstigung / Benachteiligung einzelner Gläubiger
bzw.
- vorsätzliche Rechtshandlungen
- innerhalb der letzten 5 Jahre vor Konkurseröffnung
- mit Zweck: Begünstigung / Benachteiligung einzelner Gläubiger