Der Besteller kann in bestimmten Fällen den Werkvertrag nicht ohne Mitwirkung des Unternehmers als Gläubiger der Leistung erfüllen:
Definition
- Unternehmer-Gläubigerverzug = Unternehmer (Gläubiger) wirkt bei der Erfüllung des Besteller (Schuldner) ungerechtfertigterweise nicht mit und gerät daher in Gläubigerverzug
Mitwirkungspflicht
Allgemeines
- Die Mitwirkungspflicht des Unternehmers als Gläubiger kann verschiedene Aspekte beschlagen
Denkbare Anwendungsfälle
- Nichtentgegennahme der Stofflieferung
- Keine Vorlage gesetzeskonformer Rechnungen
- Unzustellbarkeit von Teilzahlungen oder Akontozahlungen (Bankrücküberweisung)
Nicht jeder Gläubigerverzug ist ein Rücktrittsfall
- Gewisse solcher Gläubigerverzugstatbestände behindern die Werkherstellung nicht und stören den Besteller nicht (zB Zahlungsrücklauf), weshalb er in einem solchen Fall nicht vom Werkvertrag zurücktreten wird, sondern eine (spätere) Reaktion des Unternehmers abwarten wird
Obliegenheit (keine Rechtspflicht)
- Die Mitwirkung des Gläubigers ist im Gegensatz zur Leistungspflicht des Schuldners nicht eine Pflicht, sondern eine sog. „Obliegenheit“
- Der Schuldner kann bei Nichtwahrnehmung der Obliegenheit durch den Gläubiger weder auf Erfüllung klagen noch Schadenersatz verlangen
Gleichzeitiger Schuldnerverzug
- Bei synallagmatischen Rechtsverhältnissen wird der im Gläubigerverzug befindliche Gläubiger auch in seiner Schuldnerstellung nicht – Zug um Zug – erfüllen, so dass es dem Besteller in seiner diesbezüglichen Gläubigerstellung einfacher fallen wird, im Rahmen des Schuldnerverzugs vorzugehen
Voraussetzungen
Leistungsangebot des Schuldners (Besteller)
- Schuldner muss seine Leistung gehörig (richtiger Ort, richtige Zeit) angeboten haben
- Eine blosse „Verbaloblation“ (bloss mündliches oder schriftliches Angebot) ist nicht ausreichend; es ist eine sog. „Realoblation“ (effektives Angebot vor Ort) notwendig
- Ausnahme
- Vorankündigung der Annahmeverweigerung durch Gläubiger (Unternehmer), d.h. antizipierter Vertragsbruch
Keine Mitwirkung des Gläubigers (Unternehmer)
- Verschulden nicht als Voraussetzung
- Ein Gläubigerverschulden muss nicht vorliegen
- Umgekehrt kann ein Gläubigerverzug auch vorliegen, wenn den Gläubiger kein Verschulden trifft
- Ein unverschuldeter Gläubigerverzug kann indessen zu einer Haftungs-Milderung führen (OR 99 Abs. 3 in Analogie)
- Keine Rechtfertigungsgründe
- Der Gläubigerverzug setzt voraus, dass der Gläubiger seine unterbliebene Mitwirkung nicht mit objektiven Gründen rechtfertigen kann
Ausnahmefall: OR 96
- > Gleichstellung mit dem Gläubigerverzug
- Vorliegen eines Prätendentenstreits (Schuldner weiss nicht an wen er leisten kann)
Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs (OR 92 – OR 95)
- Ausschluss Schuldnerverzug
- Der Gläubigerverzug schliesst einen Schuldnerverzugs aus oder beendet einen vorbestandenen Schuldnerverzug
- Gefahrenübergang auf den Gläubiger
- Mit dem Gläubigerverzug geht das Risiko eines zufälligen Werkuntergangs auf den Gläubiger (Unternehmer) über, analog OR 376 Abs. 1
- Keine Einrede des nicht erfüllten Vertrags
- Beim Zug-um-Zug-Geschäft ist es dem Gläubiger, solange er in Gläubigerverzug ist, verwehrt die Einrede des nicht erfüllten Vertrages vorzubringen
- Aufwendungsersatz
- Der Schuldner (Besteller) hat Anrecht auf Ersatz der Aufwendungen aus dem Gläubigerverzug
- Hinterlegung
- Im Falle des Gläubigerverzugs kann der Schuldner (Besteller) bei Sachleistungen die Sache hinterlegen
- Die Hinterlegung befreit den Schuldner rechtsgültig von seiner Leistungspflicht
- Rücktritt vom Werkvertrag (OR 95)
- Der Besteller ist als Schuldner ermächtigt, bei Verzug des Unternehmers als Gläubiger, solange nicht er selbst zur einer Sachleistung verpflichtet ist, vom Werkvertrage zurückzutreten (Sachleistungen kann der Besteller hinterlegen; für andere Leistungen hat er keine Sanktionsmöglichkeit)
Die Detailinformationen finden Sie unter:
Gesetzestexte
Art. 91 OR
E. Verzug des Gläubigers
I. Voraussetzung
Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die Annahme der gehörig angebotenen Leistung oder die Vornahme der ihm obliegenden Vorbereitungshandlungen, ohne die der Schuldner zu erfüllen nicht imstande ist, ungerechtfertigterweise verweigert.
Art. 92 OR
II. Wirkung
1. Bei Sachleistung
a. Recht zur Hinterlegung
1 Wenn der Gläubiger sich im Verzuge befindet, so ist der Schuldner berechtigt, die geschuldete Sache auf Gefahr und Kosten des Gläubigers zu hinterlegen und sich dadurch von seiner Verbindlichkeit zu befreien.
2 Den Ort der Hinterlegung hat der Richter zu bestimmen, jedoch können Waren auch ohne richterliche Bestimmung in einem Lagerhause hinterlegt werden.
Art. 93 OR
b. Recht zum Verkauf
1 Ist nach der Beschaffenheit der Sache oder nach der Art des Geschäftsbetriebes eine Hinterlegung nicht tunlich, oder ist die Sache dem Verderben ausgesetzt, oder erheischt sie Unterhaltungs- oder erhebliche Aufbewahrungskosten, so kann der Schuldner nach vorgängiger Androhung mit Bewilligung des Richters die Sache öffentlich verkaufen lassen und den Erlös hinterlegen.
2 Hat die Sache einen Börsen- oder Marktpreis oder ist sie im Verhältnis zu den Kosten von geringem Werte, so braucht der Verkauf kein öffentlicher zu sein und kann vom Richter auch ohne vorgängige Androhung gestattet werden.
Art. 94 OR
c. Recht zur Rücknahme
1 Der Schuldner ist so lange berechtigt, die hinterlegte Sache wieder zurückzunehmen, als der Gläubiger deren Annahme noch nicht erklärt hat oder als nicht infolge der Hinterlegung ein Pfandrecht aufgehoben worden ist.
2 Mit dem Zeitpunkte der Rücknahme tritt die Forderung mit allen Nebenrechten wieder in Kraft.
Art. 95 OR
2. Bei andern Leistungen
Handelt es sich um die Verpflichtung zu einer andern als einer Sachleistung, so kann der Schuldner beim Verzug des Gläubigers nach den Bestimmungen über den Verzug des Schuldners vom Vertrage zurücktreten.
Judikatur
- BGE 110 II 148, Erw. 1a
- BGE 88 II 111, Erw. 6
- BGE 119 II 437, Erw. 3a