Da sich der primär massgebende Grundbucheintrag auf den Dienstbarkeitsvertrag (Erwerbsgrund) bezieht, können für die Inhaltsbestimmung nach ZGB 738 Abs. 2 nur Tatsachen herangezogen werden, welche in den (Grundbuch-) Belegen zum Eintrag niedergeschrieben und daraus erkennbar sind:
3. Begründungsakt der Dienstbarkeit (Dienstbarkeitsvertrag) als Auslegungsmittel
a) Dienstbarkeitsvertrag = Grundbuchbeleg = Bestandteil des Grundbuchs
- + ev. behördliche Verfügungen [vgl. ZGB 731 Abs. 2 i.V.m. ZGB 656]
b) Auslegung des Dienstbarkeitsvertrags
- primäres Auslegungsmittel bei den Erwerbsgrundbelegen
- Auslegung nach dem Vertrauensprinzip [vgl. BGE 108 II 542]
- Versuch der Beurteilung von Inhalt und Umfang sowie Rechte und Pflichten
c) Nichtübereinstimmung von Grundbucheintrag und Erwerbsgrund (Dienstbarkeitsvertrag) > – unter Vorbehalt Vertrauensschutz des Dritten – Grundbuchberichtigungsklage möglich [vgl. ZGB 975]
4. Wortlaut des dinglichen Teils des Dienstbarkeitsvertrages
a) Vertragstext präzise und verständlich?
- Vgl. BGE 115 II 434 Erw. 2c
b) Vertragstext lässt keine schlüssige Auslegung zu
- Vgl. BGE 128 III 265 Erw. 3a: Es kann ein vom klaren Wortlaut abweichender Sinn massgebend sein
5. Zweck
a) Sofern und soweit der Wortlaut für die Dienstbarkeitsauslegung nicht ausreichend ist, Heranziehung des Zwecks
- Restriktive Auslegung und Beschränkung der Rechte des Eigentümers des belasteten Grundstücks nur soweit als es zur normalen Ausübung notwendig ist
- Vgl. BGE 109 II 414, betreffend Bauverbotsdienstbarkeit
b) Vertragszweck ist konkret umschrieben oder ergibt sich aus dessen Auslegung = methodische gesehen, stellt die zweckbezogene Auslegung bereits eine Vertragsergänzung dar [vgl. ESCHMANN BEAT, Auslegung und Ergänzung von Dienstbarkeiten, Diss. Zürich 2005, S. 54
c) Auslegung des Vertragszwecks > Fortsetzung bei „Ausübung während längerer Zeit“, Ziffer 6
6. Vorschriften des öffentlichen Rechts
- Auslegungsgrundlage für den Dienstbarkeitsvertrag können auch die Vorschriften des öffentlichen Rechts bilden, wenn im Dienstbarkeitsvertrag darauf verwiesen wird
- Unbeachtlich ist eine grosszügige Vollzugspraxis der öffentlich-rechtlichen Vorschriften durch die Vollzugsbehörden für die Dienstbarkeitsbeteiligten (vgl. BGE 5A_449/2014 vom 02.10.2014)
Art. 738 ZGB
1 Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrage deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend.
2 Im Rahmen des Eintrages kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit aus ihrem Erwerbsgrund oder aus der Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem Glauben ausgeübt worden ist.
Weiterführende Informationen
Weiterführende Judikatur
- BGer 5A_997/2021 vom 02.06.2022 (Fuss-, Fahrweg- und Durchleitungsrecht mit Wegerstellungspflicht als Nebenleistung; ZGB 730 Abs. 2, vor und nach der Sachenrechtsrevision 2012)
- BGE 107 II 332 ff. (Bauverbotsdienstbarkeit)
- BGE vom 12.05.1971 in: ZR 70 Nr. 116 S. 316 f. = SJZ 67 (1971) Nr. 162 S. 361 f. (Bauverbotsdienstbarkeit)
- BGE vom 29.09.1983 in: ZBGR 66 (1983) Nr. 37 S. 174 (Breite eines Zugangs- und Zufahrtsrechts, welche nicht aus dem Grundbucheintrag, aber aus dem Begründungsakt ersichtlich ist)
- BGE vom 14.07.1966 in Rep 1967 S. 41 f. (Villendienstbarkeit)
- BGE 5A_602/2012 vom 21.12.2012 (Fahrwegrecht)
- „normaler Gebrauch“?
- = „… gewöhnlich, üblich, durchschnittlich …“
- = für Zu- und Wegfahrten, die sich aus dem Zweck eines Wegrechts ergäben, aber eben nur im gewöhnlichen, üblichen und durchschnittlichen Ausmass
- i.c. ist die Nutzung durch die Bewohner eines neuen Wohnhauses nicht eine unzumutbare Mehrbelastung, angesichts dessen, dass das Fahrwegrecht bereits zum Zwecke der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung und zu Wohnzwecken begründet wurde
- Baustellenverkehr ist als vorübergehende Mehrbelastung zu dulden
- „Zu prüfen wäre vielmehr, ob alle Eigentümer von berechtigten Grundstücken verpflichtet sind, sich die Beschränkung aufzuerlegen, die erforderlich ist, damit der Umfang der ursprünglichen Dienstbarkeit nicht überschritten wird (vgl. LIVER, a.a.O., N. 33 zu Art. 743 ZGB), oder ob unter Einbezug aller Eigentümer von berechtigten Grundstücken, namentlich im Hinblick auf den Unterhalt des Fahrweges, eine Nutzungs- und Verwaltungsordnung geschaffen werden muss, die auch für künftig hinzutretende Eigentümer berechtigter Grundstücke gelten kann (vgl. LIVER, a.a.O., N. 37 ff. zu Art. 743 ZGB; STEINAUER, a.a.O., N. 2283c S. 444 f. mit Hinweisen).“ [vgl. BGE 5A_602/2012, Erw. 6]
- „normaler Gebrauch“?
- BGE 5A_66/2013 vom 29.08.2013 = BGE 139 III 404 ff. (unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht)
- Erw. 7.1
- Bei der Dienstbarkeitsauslegung können gegenüber Dritten, die an der Dienstbarkeitserrichtung nicht beteiligt waren und im Vertrauen auf das Grundbuch das dingliche Recht erworben haben, individuelle persönliche Umstände und Motive nicht berücksichtigt werden, die für die Willensbildung der ursprünglichen Vertragsparteien bestimmend waren, aus dem Dienstbarkeitsvertrag selber aber nicht erkennbar sind; in diesem Umfang wird der Vorrang der subjektiven vor der objektiven Vertragsauslegung eingeschränkt
- Erw. 7.2
- Die Errichtung eines „unbeschränkten“ Fuss- und Fahrwegrechts, seinerzeit begründet für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung der berechtigten Grundstücke, macht eine heutige Benutzung des Wegrechts zu Wohnzwecken nicht unzulässig
- Erw. 7.1
- BGE 5A_599/2013 vom 14.04.2014 (Bauverbotsservitut)
- BGE 5A_449/2014 vom 02.10.2014 (Fahrwegrecht)
- BGE 5A_247/2015 vom 08.12.2015 (Gutglaubensschutz bei Parzellen-Vereinigung)
Literatur
- LIVER PETER, FN 1 v/N 84 zu ZGB 738
- ESCHMANN BEAT, Auslegung und Ergänzung von Dienstbarkeiten, Diss. Zürich 2005, 163 S.
- BYLAND DANIELA, Die Auslegung von Dienstbarkeiten, in: Jusletter 08.09.2008