Der Irrtum beim Erklärungsirrtum liegt nicht in der Willensbildung sondern in der Willenserklärung:
Begriff
- Erklärungsirrtum = Irrender erklärt etwas, was nicht seinem Willen entspricht
Grundlage
- OR 24 Abs. 1 Ziffer 1 – 3
- OR 27
Entstehung des Irrtums
- Der Irrtum beim Erklärungsirrtum liegt in der Willenserklärung
- Die vom Irrenden abgegebenen und durch das Vertrauensprinzip ausgelegte Erklärung stimmt nicht mit seinem wirklichen Willen überein
Fallkonstellationen des Erklärungsirrtums
Irrtum bei der Erklärung
- Technische Umsetzung des Willens misslingt
- Anwendungsfall
- Verkäufer schreibt CHF 100.- statt 1‘000.-
- Anwendungsfall
Irrtum bei der Übermittlung
- Begriff
- Übermittlungsirrtum = Willenserklärung wird durch den Erklärungsboten oder auf andere Weise (Post, Dolmetscher, etc.) falsch übermittelt
- Grundlage
- OR 27
- Handlung der Mittelsperson
- Fahrlässige Handlung der Mittelsperson
- Anrechnung der Handlung
- Handlung der Mittelsperson muss sich der Irrende selber anrechnen
- Wirkung
- Vertrag kann wegen Irrtum angefochten werden
- Anrechnung der Handlung
- Vorsätzliche Handlung der Mittelsperson
- Keine Anrechnung der Handlung
- Keine Anrechnung bei vorsätzlicher Falscherklärung durch Mittelsperson
- Wirkung
- Allenfalls Ansprüche des Erklärenden aus unechter Geschäftsführung ohne Auftrag
- Keine Anrechnung der Handlung
- Fahrlässige Handlung der Mittelsperson
Irrtum bezüglich dem Inhalt
- Begriff
- Inhaltsirrtum = Irrender täuscht sich über Bedeutung der geäusserten Erklärung
- Anwendungsbeispiel
- Irrender sagt Leihe, meint aber Miete
Wesentlichkeit des Erklärungsirrtums
- Bedeutung
- Nur der wesentliche Erklärungsirrtum berechtigt zur Vertragsanfechtung
- Voraussetzungen
- Der Irrtum ist dann wesentlich, wenn man davon ausgehen kann, dass der Irrende die Erklärung nicht abgegeben hätte oder zumindest nicht mit dem Inhalt abgegeben hätte, wenn er den wahren Sachverhalt gekannt hätte (BGE 135 III 537 E. 2)
Gesetzliche Vermutungen der Wesentlichkeit gemäss OR 24 Abs. 1 Ziffer 1 – 3
Irrtum über die Art des Geschäftes (Error in negotio)
- Hauptanwendungsfälle
- Irrender schliesst einen anderen Vertrag, als den eigentlich gewollten
- Irrender schliesst einen Vertrag, obwohl er keinen Vertrag eingehen wollte
- Grundlage
- OR 24 Abs. 1 Ziffer 1
Irrtum über die Sache (Error in corpore)
- Hauptanwendungsfälle
- Irrender schliesst einen Vertrag über eine andere Sache, als eigentlich gewollt
- Bezieht sich auf Identität nicht Eigenschaft der Sache
- Kein Error in corpore bei mangelhafter Sache (vgl. BGE 126 III 59)
- Grundalge
- OR 24 Abs. 1 Ziffer 2
Irrtum über die Person (Error in persona)
- Hauptanwendungsfall
- Irrender schliesst mit einer anderen Person einen Vertrag, als eigentlich gewollt
- Bezieht sich auf Identität nicht Eigenschaft der Person
- Irrender schliesst mit einer anderen Person einen Vertrag, als eigentlich gewollt
- Voraussetzung
- Vertrag muss mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen worden sein
- Persönliche Leistungspflicht
- Vertrag muss mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen worden sein
- Grundlage
- OR 24 Abs. 1 Ziffer 2
Irrtum über den Leistungsumfang (Error in quantitate)
- Hauptanwendungsfall
- Umfang der vereinbarten Leistung ist von erheblich geringerem Umfang als gewollt
- Voraussetzung
- Abweichung zwischen der Leistung, die sich der Irrende vorstellt und der tatsächlichen Leistung, muss erheblich sein
- Nur dann ist der Irrtum ein wesentlicher
- Ob Wesentlichkeit gegeben ist, liegt im Ermessen des Gerichts
- Nur dann ist der Irrtum ein wesentlicher
- Abweichung zwischen der Leistung, die sich der Irrende vorstellt und der tatsächlichen Leistung, muss erheblich sein
Folgen der gesetzlichen Vermutung der Wesentlichkeit
- Wer die vermutete Wesentlichkeit bestreitet, muss dies beweisen
- Da OR 24 Abs. 1 Ziffer 1-3 nur eine Vermutung aufstellt, kann ein Irrtum, der unter diese Bestimmungen fällt, im Einzelfall aber auch unwesentlich sein
Sonderfälle
Unzutreffende Erklärung
- Kein wesentlicher Erklärungsirrtum liegt vor, wenn die Parteien aus Irrtum einen Vertrag falsch bezeichnen.
- Ausschlaggebend ist der übereinstimmende Wille der Parteien.
- Eine Anfechtung des Vertrages aufgrund eines Erklärungsirrtums ist nicht möglich.
Urkunde nicht gelesen oder nicht verstanden
- Bei Unterzeichnung eines Vertrages kommt dieser zustande, auch wenn der Unterzeichnende den Vertrag nicht gelesen oder nicht verstanden hat
Blankounterschrift
- Begriff
- Blankounterschrift = Unterschrift auf ein leeres, noch auszufüllendes Dokument
- Risikotragung
- Wer eine Blankounterschrift ausstellt, trägt aufgrund von Treu und Glaube das Risiko, dass das Dokument nicht so ausgefüllt wird, wie verabredet wurde
- Die Berufung auf einen Erklärungsirrtum ist ausgeschlossen
- BGE 88 II 422 E. 2d.
Rechnungsfehler
- Begriff
- Rechnungsfehler = Vertragspartei verrechnet sich trotz korrekter Berechnungsgrundlage
- Dabei muss die Berechnungsgrundlage Teil des Vertrages sein
- Rechnungsfehler = Vertragspartei verrechnet sich trotz korrekter Berechnungsgrundlage
- Grundlage
- OR 24 Abs. 3 l
- Wirkung
- Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen
- Abgrenzung
- Ist die Berechnungslage nicht Teil der Vertrages und wird nur ein intern, falsch ausgerechneter Preis im Vertrag erwähnt, liegt ein Motivirrtum vor (vgl. OR 24 Abs. 2)
- Keine Berichtigung möglich
- Ist die Berechnungslage nicht Teil der Vertrages und wird nur ein intern, falsch ausgerechneter Preis im Vertrag erwähnt, liegt ein Motivirrtum vor (vgl. OR 24 Abs. 2)
Kalkulationsirrtum
- Begriff
- Kalkulationsirrtum = Irrtum in der Berechnungsgrundlage
- Unterscheidung
- Offener Kalkulationsirrtum
- Definition
- Berechnungsgrundlage war Vertragsinhalt
- Wirkung
- Analoge Anwendung von OR 24 Abs. 3
- Blosse Kalkulationsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen
- Analoge Anwendung von OR 24 Abs. 3
- Definition
- Versteckter Kalkulationsirrtum
- Definition
- Berechnungsgrundlage war nicht Vertragsinhalt
- Wirkung
- Unwesentlicher Motivirrtum ( OR 24 Abs. 2)
- Keine Berichtigung möglich
- Grundlagenirrtum, falls qualifizierte Merkmale nach OR 24 Abs. 1 Ziffer 4 vorliegen
- Anfechtung des Vertrages möglich
- Unwesentlicher Motivirrtum ( OR 24 Abs. 2)
- Definition
- Offener Kalkulationsirrtum
Gesetzestexte
Art. 23 F. Mängel des Vertragsabschlusses / I. Irrtum / 1. Wirkung
F. Mängel des Vertragsabschlusses
I. Irrtum
1. Wirkung
Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat.
Art. 24 F. Mängel des Vertragsabschlusses / I. Irrtum / 2. Fälle des Irrtums
2. Fälle des Irrtums
1 Der Irrtum ist namentlich in folgenden Fällen ein wesentlicher:
- wenn der Irrende einen andern Vertrag eingehen wollte als denjenigen, für den er seine Zustimmung erklärt hat;
- wenn der Wille des Irrenden auf eine andere Sache oder, wo der Vertrag mit Rücksicht auf eine bestimmte Person abgeschlossen wurde, auf eine andere Person gerichtet war, als er erklärt hat;
- wenn der Irrende eine Leistung von erheblich grösserem Umfange versprochen hat oder eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfange sich hat versprechen lassen, als es sein Wille war;
- wenn der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde.
2 Bezieht sich dagegen der Irrtum nur auf den Beweggrund zum Vertragsabschlusse, so ist er nicht wesentlich.
3 Blosse Rechnungsfehler hindern die Verbindlichkeit des Vertrages nicht, sind aber zu berichtigen.
Judikatur
- Zur Wesentlichkeit des Irrtums
- BGE 135 III 537
- Zu Error in Corpore
- Zur Blankounterschrift
- BGE 88 II 422 2d.
- zum Error in corpore bei mangelhafter Sache