(Personenschadenhaftung der konzessionierten Transportunternehmen in der Schweiz)
Die Haftung für Personenschäden ist nach Transportmittel und Streckeneinsatz zu differenzieren:
Im Einzelnen
Allgemeines
- Strenge Haftung
- Bei Personenschäden gelten strenge Haftungsvorschriften
- Gefährdungshaftung
- In der Schweiz wird davon ausgegangen, dass derjenige, der ein Unternehmen mit besonderen Risiken für Mensch und Umwelt betreibt, für die damit verbundenen Gefahren und Risiken, auch Personenschadenrisiken, einzustehen hat (= sog. „Gefährdungshaftung“)
- Kausalhaftung
- Der Betreiber des gefahren-sensitiven Unternehmens muss für die damit verbundenen Schäden von Gesetzes wegen einstehen
- Haftung des Transportunternehmens für (eisenbahn-)betriebs-charakteristische Schäden unabhängig vom Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung (vgl. EBG 40b)
Haftung im Strassenverkehr
- Grundlagen
- Strassenverkehrsgesetz (SVG), SR 741.101
- Schweizerisches Obligationenrecht (OR)
- Bundesgesetz über die Personenbeförderung (Personenbeförderungsgesetz, PBG; SR 745.1)
- Verordnung über die Personenbeförderung (VPB; SR 745.11)
- Bundesgesetz über die Zulassung als Strassentransportunternehmen (STUG; SR 744.10)
- Bundesgesetz über die Trolleybusunternehmen (TrG; SR 744.21)
- EU-Verordnung (EG Nr. 181/2011) über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr (ABl. L 55 vom 28.02.2011, S. 1-12)
- Rechtsnatur
- Öffentliches Recht
- Haftung aus Vertrag + Haftung des Motorfahrzeughaftpflichtversicherers
- Nebst der Haftung aus (Personentransport-)Vertrag gegenüber den Passagieren haftet auch die Motorfahrzeughaftpflichtversicherung sowie ggf. weitere Versicherungen für Personenschäden (vgl. SVG 58 f.)
- Weitere Detailinformationen
Haftung nach Eisenbahngesetz (EBG)
- Grundlagen
- Eisenbahngesetz (EBG), SR 742.101
- Rechtsnatur
- EBG = zwingendes öffentliches Verkehrsrecht
- Bedeutung
- Sehr wesentlich, da nicht nur die sog. „Infrastrukturbetreiberinnen“, sondern auch alle „Eisenbahnverkehrsunternehmen“ der Eisenbahngesetzgebung unterstehen (vgl. EBG 2)
- Als Eisenbahnverkehrsunternehmen gelten nicht nur die klassischen Eisenbahnen (zB Schweizerische Bundesbahnen (SBB), BLS AG, SOB Südostbahn, Thurbo AG, Rhätische Bahn (RhB), Frauenfeld-Wil-Bahn (fw-bahn) usw.), sondern auch die Strassenbahnbetriebe (zB VBZ, Bernmobil, BVB, TPG usw.)
- Nichtige Freizeichnungen
- Vereinbarung und / oder Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die die Haftpflicht nach EBG wegbedingen oder beschränken, sind nichtig (vgl. EBG 40e Abs. 1)
- OR als ergänzendes Recht des EBG
- Soweit das nichts anderes vorsieht, richtet sich die Haftung nach den Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) über die unerlaubten Handlungen (vgl. EBG 40f)
Haftung von Bergbahnunternehmen
- Grundlagen
- Bundesgesetz über Seilbahnen zur Personenbeförderung (SebG), SR 743.01
- Rechtsnatur
- SebG = zwingendes öffentliches Verkehrsrecht
- Bedeutung
- Bergbahnen sind in der Schweiz als Alpenland und Tourismusnation von starker Verbreitung und grosser Bedeutung
- Als Bergbahnen gelten:
- Luftseilbahnen
- Standseilbahnen
- Skilifte
- ähnliche Transportanlagen mit Seilantrieb (Seilbahnen)
- Haftung für Personenschäden
- Bergbahnunternehmen haften bei Personenschäden nach den Regeln des Eisenbahngesetzes (EBG; Art. 40b – 40f) (vgl. SebG 20)
- Subsidiär sind, soweit das EBG keine Regeln enthält, die Normen des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) über die unerlaubte Handlung anwendbar (SebG 20 i.V.m. EBG 40f)
- Verkehrssicherungspflichten der Seilbahnunternehmen
- Vertrauenshaftung
- In Lehre und Rechtsprechung geht man davon aus, dass derjenige, der eine Gefahr für andere schafft und unterhält, verpflichtet ist, alle zumutbaren Massnahmen zur Verhinderung eines Risikos, aus dem jemand Schaden erleiden könnte, zu ergreifen
- Vertragliche Nebenpflicht
- Die Seilbahnunternehmen sind kraft dieser Vertrauenshaftung in einer Art vertraglichen Nebenpflicht zur Sicherung der Pisten im Winter verpflichtet
- Sicherheitsanforderungen der Justiz
- Die Rechtsprechung hat mit den in der Box erwähnten Gerichtsentscheiden den Rahmen für einen sicherheits- und haftungsbewussten Umgang mit der vertraglichen Nebenpflicht bzw. der „Vertrauenshaftung“ gesetzt
- Es ist zu erwarten, dass durch weitere Fälle die Rechtsprechung verfeinert werden wird
- Vertrauenshaftung
Gesetzestexte
Art. 58 SVG Haftpflicht des Motorfahrzeughalters
Haftpflicht des Motorfahrzeughalters
1 Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet der Halter für den Schaden.
2 Wird ein Verkehrsunfall durch ein nicht in Betrieb befindliches Motorfahrzeug veranlasst, so haftet der Halter, wenn der Geschädigte beweist, dass den Halter oder Personen, für die er verantwortlich ist, ein Verschulden trifft oder dass fehlerhafte Beschaffenheit des Motorfahrzeuges mitgewirkt hat.
3 Der Halter haftet nach Ermessen des Richters auch für Schäden infolge der Hilfeleistung nach Unfällen seines Motorfahrzeuges, sofern er für den Unfall haftbar ist oder die Hilfe ihm selbst oder den Insassen seines Fahrzeuges geleistet wurde.
4 Für das Verschulden des Fahrzeugführers und mitwirkender Hilfspersonen ist der Halter wie für eigenes Verschulden verantwortlich.
Art. 59 SVG Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung
Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung
1 Der Halter wird von der Haftpflicht befreit, wenn er beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt oder grobes Verschulden des Geschädigten oder eines Dritten verursacht wurde ohne dass ihn selbst oder Personen, für die er verantwortlich ist, ein Verschulden trifft und ohne dass fehlerhafte Beschaffenheit des Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat.
2 Beweist der Halter, der nicht nach Absatz 1 befreit wird, dass ein Verschulden des Geschädigten beim Unfall mitgewirkt hat, so bestimmt der Richter die Ersatzpflicht unter Würdigung aller Umstände.
3 —
4 Nach dem Obligationenrecht2 bestimmt sich:
- die Haftung im Verhältnis zwischen dem Halter und dem Eigentümer eines Fahrzeuges für Schaden an diesem Fahrzeug;
- die Haftung des Halters für Schaden an den mit seinem Fahrzeug beförderten Sachen, ausgenommen an Gegenständen, die der Geschädigte mit sich führte, namentlich Reisegepäck u. dgl.; vorbehalten ist das Transportgesetz vom 4. Oktober 1985
Art. 40b EBG Grundsätze
1 Der Inhaber eines Eisenbahnunternehmens haftet für den Schaden, wenn die charakteristischen Risiken, die mit dem Betrieb der Eisenbahn verbunden sind, dazu führen, dass ein Mensch getötet oder verletzt wird oder ein Sachschaden entsteht.
2 Er haftet für Schäden:
- an Sachen in der Obhut der reisenden Person ausschliesslich nach dem Personenbeförderungsgesetz vom 20. März 2009;
- an beförderten Sachen ausschliesslich nach dem Obligationenrecht und den massgeblichen internationalen Vereinbarungen.
3 Soweit die Haftung nach Absatz 2 nicht im Personenbeförderungsgesetz oder im Gütertransportgesetz vom 25. September 2015 geregelt ist, gelten ausschliesslich die vertragsrechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts.
Literatur
- WIEDE ANDREAS, Reiserecht – Schweizer Handbuch zu den Verträgen über Reiseleistungen, Zürich / Basel / Genf 2014, 21 ff.
- KREPPER PETER, Handbuch Tourismusrecht, 2. Auflage, Zürich / Basel / Genf 2014, 110 ff.
Judikatur
- Bahnverkehrsbedürfnisse
- BGE 123 III 317 ff.
- Zugrestaurant SBB und nicht behindertengerechte Beförderung
- BGE 139 II 289
- Sattelschlepper-Chauffeur, der bei HUCKEPACK-Transport aus dem Schlafwagen fällt (SBB-Exkulpation)
- BGE 4A_220/2010 vom 11.10.2010
- Aufspringen auf fahrenden Zug
- BGE 102 II 363
Weiterführende Informationen
- Öffentlicher Reiseverkehr / Kabotageverbot (keine Erlaubnis f. inländischen Transport (VPB 37))