Der Gesetzgeber unterwirft das Einbringen von Gegenständen ins Beherbergungslokal einer verschärften Haftung des Gastwirts, auf die an dieser Stelle näher einzugehen ist:
Begriff
- Gastwirtehaftung = (limitierte) Kausalhaftung als gesetzliche Nebenpflicht zum Gastaufnahme- und Beherbergungsvertrag hinsichtlich jeder Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung eingebrachter Gegenstände und Fahrzeuge der Gäste
Grundlage
- OR 487 ff.
Abgrenzungen
- Beherbergung
- Gastwirtehaftung (siehe nachfolgend)
- Restauration
- Keine Gastwirtehaftung
Rechtsnatur (bei Anvertrauung eines Luxusfahrzeugs ohne Übernachtung)
- Zusatzvertrag nach OR 472
- Vgl. auch BGE 4A_585/2012 vom 01.03.2013
Anwendungsbereich
Gastwirtehaftung
- Grundlage
- OR 487 + 488
- Voraussetzungen
- Gewerbliche Beherbergung
- Wohnen und Übernachten als Hauptpflicht des Gastwirts
- Einbringung von Gegenständen des Gastes
- Allgemein
- Für die Gastwirtehaftung ist die Einbringung eine wesensnotwendige Voraussetzung
- Im Vergleich zur vertraglichen Haftung des Aufbewahrers (OR 472 ff. i.V.m. OR 97 haftet der Gastwirt eben gerade für diejenigen Sachen, die der Gast nicht zum Aufbewahren abgibt
- Sachen
- Ausreichendes Gepäck-Einbringen
- Einstellen der Gepäckstücke in der Eingangshalle des Hotelbetriebes
- Übergabe des Gepäcks an das für den Transfer beorderte Hotelpersonal
- Während der Vertragsverhandlungen im Hotel abgestellte Gepäckstücke
- Kein ausreichendes Gepäck-Einbringen
- Ohne besondere Abrede oder Ankündigung vor der Ankunft versendete Gepäckstücke (vgl. BETTOJA LUCA, a.a.O., 118 + FN 125, S. 247 f.)
- Ausreichendes Gepäck-Einbringen
- Fahrzeuge
- Ausreichendes Einbringen
- Parken in der Hotelgarage, falls die Autoeinstellung mit einer Beherbergung verbunden ist (vgl. BGE 76 II 161, Erw. 4)
- Luxusauto als Kostbarkeit im Sinne von OR 488? (siehe unten)
- umstritten
- BGer hat in BGE 120 II 254, Erw. 2b, ausdrücklich verneint, dass in casu (ein Ferrari) eine Kostbarkeit im Sinne von OR 488 darstelle
- Vgl. hiezu die informativen Erläuterungen von WIEDE ANDREAS, a.a.O., RZ 447 ff.
- Kein ausreichendes Einbringen
- Parken auf einem offenen, unbewachten Parkfeld vor oder hinter dem Hotel ist nicht ausreichend (vgl. BGE 102 II 255, Erw. 2c
- Ausreichendes Einbringen
- Wertsachen im Minisafe des Hotelzimmers
- Definition
- Minisafe = Kleinschliessfach
- Rechtsnatur
- Verbreitete Meinung:
- Mietvertrag nach OR 253 ff. (und nicht Hinterlegungsvertrag; vgl. BGE 95 II 544, Erw. 2)
- A. Mg. (WIEDE ANDREAS, a.a.O., Rz 441)
- = gewöhnliche Nutzung Hotelinfrastruktur, da kein separater Mietvertrag geschlossen werde und keine separate Vergütung geschuldet sei
- Ausnahme
- „Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere“ (vgl. OR 488 Abs. 1) sind von der Kausalhaftung des Gastwirtes ausgenommen
- U.E. ersetzt das zusätzliche Infrastrukturangebot des Minisafes die spezielle Wertsachen-Hinterlegung nach OR 488 beim Gastwirt nicht
- Instruktive Erläuterungen bei WIEDE ANDREAS, a.a.O., RZ 442 ff.
- Verbreitete Meinung:
- Definition
- Allgemein
- Gleichstellung einer Beherbergung
- Kurhäuser (Sanatorien im Hotelbetrieb)
- Mobile Unterkünfte (Auslegung des französisch- + italienisch-sprachigen Gesetzestextes; vgl. WIEDE ANDREAS, a.a.O., Rz 425)
- ausschliesslich privat nutzbares Schlafwagenabteil im Zug
- in Kreuzfahrtschiff unter Schweizer Flagge zugeteilte Schiffskabine (umstritten)
- Keine Anwendung
- im blossen Restaurationsbetrieb
- vgl. BGE 108 II 451 ff. m.w.H.
- vgl. ferner BGE 109 II 236 f. für dort hinterlegte Kleidungsstücke
- im blossen Restaurationsbetrieb
Stallwirtehaftung
- Grundlage
- OR 490
- Anwendungsbereich
- Angesichts der veränderten Mobilitätsverhältnisse nur noch bescheidener Anwendungsbereich (lediglich noch für die Einstellung von Pferden «in Pension»)
- Autoparking?
- Eine übertragene Anwendung auf die Einstellung von Autos in Garagen, Parkings u. dgl. lehnt BGE 76 II 158 Erw. 2 ab
- Anwendung der allgemeinen Vorschriften über die Hinterlegung
- Hinterlegung
- Nur im Falle der Autoeinstellung in der Hotelgarage in Verbindung mit einer Beherbergung gilt die Gastwirtehaftung (siehe oben)
- Eine übertragene Anwendung auf die Einstellung von Autos in Garagen, Parkings u. dgl. lehnt BGE 76 II 158 Erw. 2 ab
Haftungsprinzipien bei Gast- und Stallwirten (OR 487, 490)
- Allgemeines
- Ziele des Gesetzgebers
- Verschärfung der Gastwirtschaftshaftung im Vergleich zu den allgemeinen Haftungsprinzipien
- Unzulässigkeit von Haftungsbeschränkungsabreden
- Nach der herrschenden Lehre zu OR 489 Abs. 2 wird jede Beschränkung der Haftung des Gastwirtes als ungültig betrachtet
- Ziele des Gesetzgebers
- Kausalhaftung
- Grundsatz
- Kausalhaftung bis CHF 1‘000 (OR 487 Abs. 2)
- Zwingende Haftung (OR 489 Abs. 2)
- Grundsatz
- Entlastungsgründe
- Der Gastwirt kann sich von der auf CHF 1‘000 beschränkten Kausalhaftung nur dann entlasten, wenn er nachweist, dass der Schaden verursacht wurde
- durch den Gast selbst
- durch Mitreisende des Gasts
- durch höhere Gewalt
- durch die Beschaffenheit der Sache
- Bei einem Verschulden des Gastwirts haftet er gegenüber dem Gast unbeschränkt (vgl. OR 487 Abs. 2 e contrario)
- Der Gastwirt kann sich von der auf CHF 1‘000 beschränkten Kausalhaftung nur dann entlasten, wenn er nachweist, dass der Schaden verursacht wurde
- Schadenanzeigeobliegenheit / Erlöschen bei Unterlassung sofortiger Anzeige (OR 489 Abs. 1)
- Die Ansprüche des Gastes erlöschen, wenn er den «Schaden nicht sofort nach dessen Entdeckung dem Gastwirte anzeigt» (OR 489 Abs. 1)
- = Verwirkungsfrist
- Beweislastverteilung
- Einbringung des Gegenstandes
- Beweislast des Gasts
- Schadensentstehung in den Räumen des Gastwirts
- Beweislast des Gasts
- Unversehrtheit der Sache beim Einbringen (Sache durfte nicht schon zuvor defekt gewesen sein)
- Beweislast des Gasts
- Höhe des Schadens und schuldhafte Verursachung
- Gast, der mehr als CHF 1‘000 geltend macht, hat zu beweisen
- die schuldhafte Verursachung des Schadens durch den Gastwirt
- die Höhe des Schadens
- vgl. ZGB 8 und BGE 120 II 253, Erw. 2a
- Gast, der mehr als CHF 1‘000 geltend macht, hat zu beweisen
- Verschulden
- Die neuere Lehre geht davon aus, dass für CHF 1‘000 übersteigende Schäden entsprechend der vertraglichen Regelhaftung nach OR 97 ff. das Verschulden des Gastwirts zu vermuten und diesem der Exkulpationsnachweis einzuräumen ist (vgl. WIEDE ANDREAS, a.a.O., S. 134 / Rz 467)
- Einbringung des Gegenstandes
Haftung für Kostbarkeiten» (OR 488)
- Geld und andere Wertgegenstände
- = erhöhtes Risiko
- Gastwirt
- Schaffung einer Verwahrungsmöglichkeit
- Gast
- Benutzung der Verwahrungsmöglichkeit des Wirts
- Hinterlegte oder trotz Hinterlegungsaufforderung des Gasts vom Gastwirt nicht entgegengenommene Kostbarkeiten
- Verschärfte Haftung des Gastwirts nach den Haftungsprinzipien wie oben erwähnt, jedoch ohne ziffernmässige Begrenzung
- Versäumnis des Gasts, eine zumutbare Hinterlegung vorzunehmen
- Keine Ersatzansprüche des Gasts gegen den Wirt, es sei denn, er können ein Verschulden des Wirts nachweisen
Retentionsrecht des Gastwirts an den vom Gast eingebrachten Sachen (OR 491)
- Regelung des Gastwirte-Retentionsrechtes unter Verweisung auf das Vermieter-Retentionsrecht (OR 272)
Gesetzestexte
Art. 487 OR
D. Gast- und Stallwirte
I. Haftung der Gastwirte
1. Voraussetzung und Umfang
1 Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
2 Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Gastwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die Sachen eines jeden einzelnen Gastes nur bis zum Betrage von 1000 Franken.
Art. 488 OR
2. Haftung für Kostbarkeiten insbesondere
1 Werden Kostbarkeiten, grössere Geldbeträge oder Wertpapiere dem Gastwirte nicht zur Aufbewahrung übergeben, so ist er für sie nur haftbar, wenn ihm oder seinen Dienstleuten ein Verschulden zur Last fällt.
2 Hat er die Aufbewahrung übernommen oder lehnt er sie ab, so haftet er für den vollen Wert.
3 Darf dem Gast die Übergabe solcher Gegenstände nicht zugemutet werden, so haftet der Gastwirt für sie wie für die andern Sachen des Gastes.
Art. 489 OR
3. Aufhebung der Haftung
1 Die Ansprüche des Gastes erlöschen, wenn er den Schaden nicht sofort nach dessen Entdeckung dem Gastwirte anzeigt.
2 Der Wirt kann sich seiner Verantwortlichkeit nicht dadurch entziehen, dass er sie durch Anschlag in den Räumen des Gasthofes ablehnt oder von Bedingungen abhängig macht, die im Gesetze nicht genannt sind.
Art. 490 OR
II. Haftung der Stallwirte
1 Stallwirte haften für die Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der bei ihnen eingestellten oder von ihnen oder ihren Leuten auf andere Weise übernommenen Tiere und Wagen und der dazu gehörigen Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Einbringenden selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist.
2 Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Stallwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die übernommenen Tiere, Wagen und dazu gehörigen Sachen eines jeden Einbringenden nur bis zum Betrage von 1000 Franken.
Art. 491 OR
III. Retentionsrecht
1 Gastwirte und Stallwirte haben an den eingebrachten Sachen ein Retentionsrecht für die Forderungen, die ihnen aus der Beherbergung und Unterkunft zustehen.
2 Die Bestimmungen über das Retentionsrecht des Vermieters finden entsprechende Anwendung.
Literatur
- WIEDE ANDREAS, Reiserecht – Schweizer Handbuch zu den Verträgen über Reiseleistungen, Zürich / Basel / Genf 2014, 119 ff. / Rz 421 ff.
- KOLLER ALFRED, BSK OR I, N 8 zu OR 487 (Einbringung als wesentliche Voraussetzung)
- KOLLER ALFRED, BSK OR I, N 5 zu OR 489 (Ungültigkeit einer Freizeichnung)
- KOLLER ALFRED, BSK OR I, N 1 zu OR 487 (Beweislastverteilung)
- BETTOJA LUCA, Der Gastaufnahmevertrag, Diss. Zürich 2000, S. 247 f., FN 125
Judikatur
- BGE 120 II 252 ff.
- BGE 109 II 234 ff.
- BGE 108 II 451 ff.
- BGE 76 II 158, Erw. 2
- BGE 4A_585/2012 vom 01.03.2013