Eine weitere Einschränkung der Vertragsfreiheit liegt in der Übervorteilung.
Begriff
- Übervorteilung = Vorliegen eines offenbaren Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.
Grundlage
- OR 21
Voraussetzungen
- Der Tatbestand der Übervorteilung verlangt folgende Voraussetzungen:
- offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung
- Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Übervorteilten
- bewusstes Ausbeuten dieser Beeinträchtigung
Nachfolgend werden die einzelnen Voraussetzungen näher umschrieben
Offenbares Missverhältnis
- Übervorteilung wird nicht bei jedem Missverhältnis angenommen
- Das Missverhältnis muss offensichtlich sein
- Würdigung der gesamten Umstände notwendig
- Richter beurteilt nach freiem Ermessen (Vgl. ZGB 4)
- Bei der Bewertung des Missverhältnisses ist ein objektiver Massstab anzuwenden
- Massgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit
- Bei der Übervorteilung muss die schwächere Partei in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt gewesen sein
- OR 21 Abs. 1 nennt (nicht abschliessend) drei Umstände für die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit:
- Notlage
- Übervorteilte Person stand unter Zwangslage oder Bedrängnis
- Notlage kann persönlicher Natur sein
- Familiäre Situation
- Gesundheit
- Notlage kann wirtschaftlicher Natur sein
- Arbeitslosigkeit
- Schuldenlast
- Notlage kann persönlicher Natur sein
- Übervorteilte Person stand unter Zwangslage oder Bedrängnis
- Unerfahrenheit
- Tragweite und Wirkung des Vertrages können aufgrund fehlendem Sachverstand nicht korrekt eingeschätzt werden
- Leichtsinn
- Übervorteilte Person handelt ohne die gebotenen Vorsicht
- Weiter sind folgende Beeinträchtigungen möglich
- Drogen
- Alkohol
- Medikamente
- Überraschungseffekt
- Geistesschwäche
- Keine Anwendung von OR 21 bei Urteilsunfähigkeit
- Vertrag ist dann nichtig
- Anwendung von ZGB 18
- Vertrag ist dann nichtig
- Keine Anwendung von OR 21 bei Urteilsunfähigkeit
- Notlage
Ausbeutung der Beeinträchtigung
- Ausbeutung
- Entscheidungsschwäche des Übervorteilten muss in Kenntnis des offenbaren Missverhältnisses der Leistung von Übervorteilenden ausgenützt werden
- Vgl. BGE 92 II 168 E. 5
- Entscheidungsschwäche des Übervorteilten muss in Kenntnis des offenbaren Missverhältnisses der Leistung von Übervorteilenden ausgenützt werden
- Anregung zum Vertragsabschluss
- Ausbeutung setzt jedoch nicht voraus, dass der Abschluss des Rechtsgeschäfts vom Übervorteilenden angeregt wurde
Rechtsfolgen der Übervorteilung
- Einseitige Unverbindlichkeit
- Übervorteilung führt zur einseitiger Unverbindlichkeit des Rechtsgeschäfts
- Verwirkungsfrist
- Der Übervorteilte kann sich innerhalb eines Jahres durch einseitige Erklärung vom Vertrag lösen und das schon Geleistete zurückverlangen
- Ohne Anfechtung innerhalb der Frist wird der Mangel geheilt
- Wirkung
- Übervorteilte Partei hat zwei Möglichkeiten
- Unverbindlichkeit des Vertrages verlangen
- Übermässige Leistung reduzieren und Vertrag aufrecht erhalten
- Übervorteilte Partei hat zwei Möglichkeiten
- Schadenersatz
- Die Übervorteilte Partei kann Schadenersatz verlangen
- Haftung nach culpa in contrahendo
- Die Übervorteilte Partei kann Schadenersatz verlangen
Gesetzestext
Art. 21 E. Inhalt des Vertrages / III. Übervorteilung
III. Übervorteilung
1 Wird ein offenbares Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung durch einen Vertrag begründet, dessen Abschluss von dem einen Teil durch Ausbeutung der Notlage, der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns des andern herbeigeführt worden ist, so kann der Verletzte innerhalb Jahresfrist erklären, dass er den Vertrag nicht halte, und das schon Geleistete zurückverlangen.
2 Die Jahresfrist beginnt mit dem Abschluss des Vertrages.
Literatur
- Furrer Daniel / Müller-Chen Markus, Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Auflage, Schulthess (Zürich), Zürich 2012, S. 168 ff.
Judikatur
- Zur Ausbeutung der Beeinträchtigung
Weiterführende Informationen
- Haftung nach culpa in contrahendo